Verhoeven: Filme können politische Signale geben

Der deutsche Filmregisseur Michael Verhoeven ist der Schirmherr des 4. Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte "Perspektive". Er wurde unter anderem durch Filme wie "Die Weiße Rose" (1982) bekannt. Verhoeven ist überzeugt, dass Filme das politische Klima in einem Land verändern können.
Scholl: Alle zwei Jahre findet das Filmfestival "Perspektive" in Nürnberg statt. Ein Filmfestival der Menschenrechte - Kino aus aller Welt, das sich einsetzt für Humanität und kulturelle Verständigung, gegen Krieg, Verfolgung, Diktatur und Diskriminierung. 70 Filme werden zu sehen sein in diesem Jahr. Schirmherr des Festivals ist Michael Verhoeven, Regisseur und Autor zahlreicher sozialkritischer Filme. Mit ihm bin ich jetzt verbunden. Herr Verhoeven, das Engagement für Menschenrechte in allen Ehren, aber können Filme wirklich in diese Richtung politisch wirken?

Verhoeven: Man muss schon sagen, dass eine Fülle von Filmen auch das politische Klima in einem Land verändert, ja. Darum gibt es ja in vielen Ländern Zensur, weil man das nicht will. Also kann man schon davon ausgehen, dass Film etwas bewirkt. Aber ich habe so ein bisschen Sorge, dass auf so ein Festival eben alle die gehen, die dieses Festival auch dringend erwarten und sagen: "Es muss was getan werden für die Menschenrechte in der Welt." Und deswegen habe ich so meine Zweifel, ob das über ein Festival hinausdringen kann, was die Botschaft eines solchen Festivals ist.

Scholl: Das ist ja so ein bisschen das Paradoxe bei solchen Veranstaltungen, dass die Leute dahin gehen, sich davon bewegen lassen, die es eigentlich schon wissen, also preaching to the saved, wie man sagt.

Verhoeven: Aber natürlich darf einen das nicht abhalten so etwas zu machen. Eben weil man die Wirkung nicht kennt, muss man da positivistisch denken und sagen: Ich erwarte mir eine Wirkung. Aus. Und deswegen mache ich das.

Scholl: Sie haben in Ihrer Arbeit ja immer wieder engagierte Themen behandelt. Also ihr bekanntester, populärster Film vielleicht diesbezüglich war "Die Weiße Rose", ein Film über die Geschwister Scholl.

Verhoeven: Und, und einige andere Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf, sage ich schnell dazu, weil die immer vergessen werden.

Scholl: Diese Form von - sagen wir mal historischer Aufklärung -, hat diese Form heute eigentlich noch Bestand im Sinne von gesellschaftlicher Kritik?

Verhoeven: Ja, ich denke schon. Weil wir ja, also ich - kaum möchte ich es aussprechen, in einer Mediengesellschaft leben, ist das doch sehr wichtig, was aus diesen Apparaten, sei es auf großer Leinwand oder zu Hause der Fernseher, was da kommt. Also, sehr viel stärker sind wir eingestellt in dem, was man Meinung nennt, auf das, was uns aus diesen Medien ja, auch Print gehört dazu, beeinflusst. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass diese Entwicklung jetzt weg von Kultur und Politik zu einer nur Unterhaltungseinstellung, also Infotainment und so, dass die vielleicht nur eingebremst wird, und sie wird auch eingebremst. Weil ich gerade gelesen habe, dass die ARD sich entschlossen hat, Kultursendungen früher zu senden und auch mehr Zeit zu geben. Also ich glaube, da ist auch so ein Nachdenkungsprozess in Gang gesetzt.

Scholl: Ich frage das auch vor dem Hintergrund von unseren heutigen aktuellen Konflikten. Wenn man mal die NS-Zeit nimmt, dann kann man sagen, gut, das ist ein Kapitel, mit dem beschäftigen wir uns immer heute noch. Aber da sind auch die Eindeutigkeiten klar. Hier also ist wirklich der Terror, das Böse, und hier ist sozusagen die Aufklärung. Wenn wir in unsere heutige Zeit schauen, der Begriff Menschenrechte hat in anderen Kulturen oftmals einen ganz anderen Klang. Also unser christlich-humanistisches, auch demokratisches Menschenbild wird in anderen Kulturkreisen oftmals abgelehnt. Wie lässt sich da als Filmemacher Position beziehen?

Verhoeven: Ja ich glaube, dass eben in diesen Ländern, die Sie meinen und von denen Sie sprechen, wo halt die Menschenrechte noch sehr klein sind, Film noch eine viel größere Rolle spielt. Und ich glaube, dass da auch in Zirkeln Filme gezeigt werden und dass auf diese Weise es sozusagen eine unterirdische Information gibt, die nicht im großen Kino stattfindet, die findet auch statt, aber dass auch Filme weitergereicht werden, über Kassetten und so. Und dass sich Leute plötzlich nicht mehr allein sehen und mit anderen sich zu sprechen trauen, weil diese Information da ist. Und ich glaube, da hat auch so ein Festival seinen Sinn, dass man hinterher auch mit Leuten darüber spricht, die sich dafür bisher überhaupt nicht interessiert haben.

Scholl: Der Film und die Menschenrechte, darüber sprechen wir mit dem Regisseur Michael Verhoeven im Deutschlandradio Kultur. Gleich das noch mal aufgegriffen: Kann so ein Festival ein politisches Signal sein? Das also wirklich über die Kultur hinausgeht?

Verhoeven: Bin ich sehr skeptisch, also zumindest bei uns. Wir sind sehr abgehärtet. Also unser Fernsehprogramm, das - wenn man mal vom Irakkrieg absieht - wo ja also sehr wenig gezeigt wurde, weil die sehr clever das behandelt haben. Die Medien waren ja da sozusagen "embedded", also ins Bett mit reingenommen. Und da war natürlich die Erwartung, dass man etwas sieht, was einen erschreckt, die war gering. Da ist also etwas passiert, was die Lehre aus dem Vietnamkrieg war, wo man alles gesehen hat, und dadurch auch sehr viel Proteste waren. Aber, ich glaube, dass wir mit diesen Bildern so vertraut sind, dass schon sehr viel passieren muss - also man muss sich sehr stark selber disziplinieren, um diese Berichte, die wir im Fernsehen sehen oder auch in solchen Filmen, dass man das nicht so als Unterhaltungsfutter nimmt. Weil man sich ja auch an diese Inhalte gewöhnt. Man weiß es ja im Grunde, dass das alles passiert. Zum Beispiel ja, jetzt hat die UNO es nicht geschafft, Menschenrechte überhaupt als Programm durchzusetzen, nicht einmal das ist geschafft worden. Also das heißt doch, dass zumindest auch in politischen und in öffentlichen Debatten die Menschenrechte zu kurz kommen. Insofern ist so ein Festival nicht umsonst.

Scholl: Da sind wir natürlich auch wieder bei diesem Thema auch der unterschiedlichen kulturellen Auffassungen. Also wir haben in diesem Zusammenhang auch einen Mord erleben müssen: Der niederländische Filmemacher Theo van Gogh wurde von einem Extremisten umgebracht wegen eines Films über die Missachtung der Frau in islamischen Gesellschaften. Nun hat kein islamischer Staat diese Tat begrüßt. Aber van Goghs Film wurde schärfstens kritisiert.

Verhoeven: Von allen Seiten oder mehreren Seiten …

Scholl: Von mehreren Seiten, die gesagt haben, hier findet eine Verletzung kultureller Werte statt. Also ihm ging es um Menschenrechte, ja! Das macht ja eigentlich auch so ein bisschen dieses schillernde Spektrum deutlich. Wie kann man denn hier noch eine Art von, ja, eindeutiger Aussage treffen, in einem Film?

Verhoeven: Ja ach Gott, das muss man halt...

Scholl: Gar nicht...

Verhoeven: Doch, ich meine jeder hat ja seinen... doch, jeder hat ja auch seinen Stil - ich arbeite sicher anders als der unglückliche Herr van Gogh gearbeitet hat. Jeder hat seinen Stil. Und wahrscheinlich hat er nicht im Traum daran gedacht, dass ihn das sein Leben kostet, ja. Aber, das ist halt ein heikles Thema, wo man auch weiß, dass einen - dass die arabische Welt sich wirklich gekränkt fühlt, und dann vielleicht auf Rache sinnt oder so. Aber ich finde es auf jeden Fall gut, wenn man auch so mutig ist, nicht an die Folgen zu denken oder nicht an die persönlichen Folgen zu denken. Also auch nicht spekuliert, sondern einfach das macht, was man glaubt, machen zu müssen. Als Filmemacher glaube ich, ist das das einzige Rezept.

Scholl: Ein weiteres heikles Feld ist auch der Nahe Osten. Ein Schwerpunkt Ihres Festivals heißt: "Darstellung und Rezeption des Nahostkonflikts im Film". Ein Workshop soll stattfinden. Wer wird hier mit wem diskutieren?

Verhoeven: Ja, das weiß ich leider selber noch nicht, weil ich kann leider nur die ersten zwei Tage daran teilnehmen. Aber ich glaube auch, dass das der heikelste Punkt überhaupt ist, weil wir ja doch uns verpflichtet haben, die offizielle Politik Israels - auch aus unserer Geschichte heraus - zu unterstützen. Und weil wir dann bestimmte Dinge auch wahrscheinlich mit Vorsicht berühren, also. Aber das - ich finde das in Ordnung, ja, das sind wir auch unserer Geschichte schuldig und das finde ich in Ordnung. Aber, natürlich wäre es gut, wenn man freier über bestimmte Dinge sprechen könnte, ohne immer daran zu denken, ob das jetzt politisch korrekt ist, ja. Ich glaube also ein Filmemacher, der hat die Chance, nicht unbedingt, wenn er im Fernsehen arbeitet, weil da so viele Menschen sind, die wieder Angst haben und das dann auch wieder abbiegen vorher. Aber im Kino hat man schon eher die Chance, und insbesondere bei Festivals, mit Filmen ein Statement zu machen. Ein ganz starkes Statement. Ich erinnere an die "Weiße Rose" damals, Anfang der achtziger Jahre, als ich den Bundesgerichtshof angegriffen habe, weil er den so genannten Volksgerichtshof, also dieses Freislersche Mordinstrumentarium, ja zum ordentlichen Gericht erklärt hat. Das hat einen Skandal hervorgerufen. Aber schon zehn Jahre später hat der Bundesgerichtshof selbst eine viel stärkerer Kritik geübt, zu der ich niemals in der Lage gewesen wäre. Ich denke aber, wenn ich damals nicht so stark in die Öffentlichkeit getreten wäre, und hätte diese Kritik nicht geübt, dann hätte auch der Bundesgerichtshof die Selbstkritik nicht gefunden.

Scholl: "Perspektive." Zum vierten Mal findet das Filmfestival der Menschenrechte in Nürnberg statt. Heute beginnt es. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur war Schirmherr und Regisseur Michael Verhoeven. Danke Ihnen und alles Gute, Herr Verhoeven.

Verhoeven: Ja danke, wiedersehen.

Service:

"Perspektive" - 4. Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte findet vom 26. September bis 5. Oktober 2005 statt.