Verhinderte Reform

Warum Arbeitgeber Minijobber noch immer prellen

Gebäudereiniger laufen mit ihren Arbeitsmaterialien am Gürtel in ein Gebäude.
Viele Gebäudereiniger arbeiten in einem Minijob. Eine Erfahrung von Minijobbern: Die Arbeitsmenge wird erhöht, die Stundenzahl aber nicht. © picture alliance / dpa-ZB / Ralf Hirschberger
Von Andreas Baum  · 02.05.2017
Mehr Arbeit für denselben Lohn oder dubiose Abzüge: Das sind Erfahrungen in einem Minijob. Eine Studie bestätigt unlautere Methoden gegenüber einem Großteil der sieben Millionen Minijobber. Vor einer Reform habe die Politik aber zu viel Angst, beklagen Gewerkschaften.
Andreas Döhnert in seiner Neubauwohnung in einem Vorort von Berlin anzutreffen, ist gar nicht so einfach: Normalerweise ist er ab fünf Uhr morgens unterwegs – und an bestimmten Wochentagen erst gegen 23 Uhr zu Hause. Heute aber ist Sonntag.
"Ich bin beruflich Gebäudereiniger, angelernter Gebäudereiniger seit 20 Jahren. Mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen."
Bis Anfang der 90er-Jahre arbeitete Döhnert in seinem eigentlichen Beruf als Kabelwerker. Sein Betrieb wurde nach der Wende von Siemens gekauft und geschlossen. Seit er Gebäudereiniger ist, reicht das Geld nicht mehr.
"Neben meiner Vollzeitbeschäftigung in den letzten 15, 16 Jahren habe ich immer auch einen Minijob dazu. Weil das Einkommen innerhalb der Gebäudereinigung trotz der Vollzeit nicht ausreicht und ich mir im Schnitt so 200 bis 300 Euro dazu verdienen muss."
Zwischen 5.30 Uhr und 15 Uhr ist Andreas Döhnert für die Reinigung einer Schule verantwortlich. Von seinem Vollzeitjob bleiben ihm am Monatsende 1200 Euro netto. Der Minijob – zweimal die Woche an den Abenden – ist für ihn unverzichtbar. Er fährt mit dem eigenen Auto nach Berlin und putzt Treppenhäuser und Büros. Ein Knochenjob, mit fatalen Folgen.
"Die Kollegen, die ich schon seit langer, langer Zeit kenne, haben alle gesundheitliche Schäden."
Typisch für Gebäudereiniger sind Probleme mit der Halswirbelsäule, den Schultern, den Armen, Handgelenken und Knien. Bei Döhnert löste der Stress vor einigen Jahren einen Schlaganfall aus. Übers Hamburger Modell kam er Schritt für Schritt wieder zurück in den Beruf. Heute nimmt er – anders als viele seiner Kollegen – kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Missbrauch bei den Minijobs zu benennen.
"Die Anforderungen sind teilweise, dass man pro Stunde tausend Quadratmeter manuell mit der Hand reinigen muss. Dazu kommt der psychische Druck, dass man diese Arbeit schaffen muss, von den Vorgesetzten. Weil dann kommt gleich die Aussage: Dann muss ich mal überlegen, ob dann der Arbeitsvertrag weiterläuft."

Minusstunden statt bezahlter Überstunden

Bei vielen Minijobs ist das die Regel: Die Arbeitsmenge wird erhöht, die Stundenzahl aber nicht. Nur wenige Minijobber trauen sich, wie Döhnert, den Lohnbetrug anzuprangern. Sie haben Angst.
"Der Druck wird insofern ausgeübt: Ja, lieber Kollege, das musst du schaffen. Das schafft ihr schon, liebe Kollegen. Egal ob da zehn Kollegen sind oder fünf Kollegen. Die Vorgesetzten verlangen einfach, dass man die Leistung schafft, egal unter welchen skurrilen Bedingungen."
Der Missbrauch, sagt Döhnert, hat Methode.
"Der Arbeitgeber beim Minijob – mein aktueller nicht, aber in früheren Jahren – hat mehr Möglichkeiten, fehlerhaft Abrechnungen zu bereinigen oder mehr Leistung zu verlangen als Minijob, weil dort Mitbestimmung und Mitsprache noch viel weniger vorhanden ist."
Viele Minijobber wissen nicht, dass ihnen Urlaubsgeld und Krankengeld zusteht, auch Nachtzuschläge und ein Ausgleich für Fahrtzeiten. Statt Überstunden zu bezahlen, notieren manche Arbeitgeber sogar Minusstunden. Auch Döhnert wurde so behandelt.
"Und, jetzt kommt der Gipfel der Frechheit: Pro Monat wurden sieben Prozent pauschal abgezogen. Warum auch immer. Daraufhin habe ich juristische Geltendmachung vorangetrieben und hab dann nach circa fünf Monaten nochmal nachbezahlt bekommen."
Döhnert klagte, viele Male - und er gewann. Meist ging es um seine Vollzeitstellen, aber auch manchen Minijob-Arbeitgeber zog er vor Gericht. Alles in allem hat Döhnert nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren 42.000 Euro erstritten. Die Firmen zahlten, änderten ihre Praxis aber nicht.
"Der Arbeitgeber praktiziert diesen Lohn- und Sozialversicherungsbetrug seit vielen, vielen Jahren und heute noch."

Reformpläne liegen längst in der Schublade

Im März veröffentlichte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen eine Studie: Mehr als die Hälfte der sieben Millionen Minijobber hatte noch nie Urlaubsgeld bekommen, hieß es dort; und nur 29 Prozent erhielten Krankengeld.
"Drei von vier kriegen eben nicht was andere Beschäftigte haben, wenn sie krankheitsbedingt ausfallen, nämlich ihr Geld."
Rainer Schmeltzer, SPD-Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, stellte die Minijobstudie vor.
"Wir reden hier von gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, die weiterhin von einem Großteil der Arbeitgeber den Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmern verwehrt werden. Minijobber sind Teilzeitbeschäftigte. Minijobber sind aber keine Arbeitnehmer zweiter Klasse."
Zwar zeigt die Studie auch, dass sich die Verhältnisse verbessert haben – vor allem durch den Mindestlohn. Alarmierend für die Gewerkschaften aber ist, wie erpressbar Minijobber sind. Viele von denen, die ihre Rechte kennen, fordern sie nicht ein. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach will, dass sich das ändert.
"Entscheidend ist, dass die Arbeitszeiten sauber erfasst werden und dass auch Überstunden erfasst werden und dass Überstunden eben auch bezahlt werden."
Die Politik, sagt Buntenbach, tut sich schwer mit einer Minijobreform – zu groß ist die Angst, diejenigen zu verprellen, die von ihnen zu profitieren glauben. Die Pläne, wie sie reformiert werden können, liegen längst in den Schubladen der Gewerkschaften. Nur geändert hat sich seit Jahren nichts.
"Bei der Sozialversicherungspflicht ist unser Vorschlag, dass es eine Gleitzone gibt, zwischen 0 und 800 Euro, in der am Anfang der Anteil der Arbeitgeber an den Sozialversicherungsbeiträgen erheblich höher ist und der für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer niedrig, und das wächst dann so zusammen, dass wir am Ende von den 800 Euro eine paritätische Finanzierung haben."

Weg aus der Sackgasse Minijob

Der Vorteil dieses Modells, so Buntenbach: Arbeitgeber haben ein Interesse daran, die Arbeitszeiten von Minijobbern auszudehnen, weil dann die Sozialbeiträge sinken. Bislang ist es genau umgekehrt: Minijobs sind ein Sackgasse für viele Beschäftigte, sagt Carola Reimann, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion:
"Was wir sehen ist, dass das in der Vielzahl Frauen betrifft. Zwei Drittel dieser Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Das atmet so das Rollen- und Gesellschaftsbild und das Frauenbild vergangener Jahrzehnte: der Mann als Alleinverdiener, die Frau als Zuverdienstperson. Das ist eine Falle, eine Minijobfalle, weil das keine Perspektive eröffnet, weder auf ein gutes Einkommen im Arbeitsleben, geschweige denn auf eine gesicherte Rente."
Auch die SPD will das Gleitmodell der Gewerkschaften: Vom ersten Euro an sollen Abgaben gezahlt werden, anfangs vor allem von den Arbeitgebern, ab 800 Euro von beiden paritätisch. Außerdem fordert sie ein Verbandsklagerecht für die Gewerkschaften, damit Fälle wie der von Andreas Döhnert besser durchgefochten werden können.
"Der Hemmschuh ist, dass wir eine große Koalition haben und da zwei Koalitionspartner zusammenkommen, die diese Dinge durchaus unterschiedlich sehen. Und leider ist es uns in den Koalitionsverhandlungen nicht gelungen, diese Dinge durchzusetzen."
Die SPD, versichert Carola Reimann, wird die Minijobs im Bundestagswahlkampf zum großen Thema machen.
(abr)
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