Verhaltensforschung

Wie Vögel das Singen lernen

06:33 Minuten
Vier Zebrafinken (Poephila guttata, Taeniopygia guttata) im Käfig auf einer Stange
Zebrafinken sind eigentlich in Australien zu Hause, doch sie eignen sich auch besonders gut für die Verhaltensforschung. © picture alliance / blickwinkel/McPHOTO
Von Georg Gruber · 16.04.2020
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Bei den Zebrafinken lernen die Jungtiere vom Vater den Gesang. Der ist bei allen Vögeln eng verbunden mit dem Sexualhormon. Verhaltensforscher hoffen, daraus sogar Schlüsse über den Menschen ziehen zu können.
"Ich geh mal kurz rein und schau, ob ich in dem Nest ein paar Jungtiere finde."
Manfred Gahr öffnet die Tür zu einer Vogelvoliere, 2 Meter hoch, 6 Meter lang. An einer Seite sind kleine hölzerne Nistkästen. Der Ornithologe greift vorsichtig hinein.
"Der ist wahrscheinlich heute geschlüpft."
Auf seiner Hand liegt ein winziger Vogel, er sieht mehr aus wie ein Wurm, noch ohne Federn, ein bisschen Flaum, kaum größer als ein Zwei-Euro-Stück
"Der bettelt jetzt. Und Sie sehen da solche Muster im Rachen, artspezifische Muster, so dass dann der Zebrafink nur ein Zebrafinkenjunges füttert und nicht irgendein anderes Junges."
Zebrafinken sind eigentlich in Australien zu Hause.
"Ich leg ihn mal wieder rein."

Nicht alle Vogelarten singen

Im Max-Planck-Institut für Ornithologie werden die kleinen Singvögel schon seit vielen Jahren gezüchtet, weil sie sich besonders gut eignen für die Verhaltensforschung, erklärt der Neurobiologe. Seit 30 Jahren schon beschäftigt sich der Wissenschaftler mit dem Gesang von Vögeln.
"Der mit den roten Backen ist das Männchen, und das Tier, das keinen roten Backenfleck hat, ist das Weibchen. Die brüten dann auch abwechselnd und später lernen die Jungtiere vom Vater den Gesang, weil die Weibchen nicht singen."
Weltweit gibt es rund 10.000 Vogelarten, nicht alle singen, zum Beispiel der Storch oder der Specht. Bestimmte Rufe sind angeboren, um zu warnen oder um Futter zu erbetteln. Rund die Hälfte der 10.000 Vogelarten muss ihre Gesänge erlernen - und sie machen das so ähnlich wie Menschen das Sprechen lernen: Sie hören zu, speichern die Laute im akustischen Gedächtnis und versuchen sie zu imitieren.
"Im Prinzip können die Tiere auch Kunstlaute lernen. Man kennt ja diese schönen Beispiele, wo Stare irgendwelche Klingeltöne imitieren. Das ist dann sicher nichts Natürliches, aber es zeigt einfach, dass die Tiere ein breites Spektrum an Vorbildern imitieren können."

Der Gesang ist saisonal verschieden

In unseren Breiten sind es meist die Männchen, die singen, es gibt Ausnahmen wie Rotkelchen und Star. In den Tropen singen auch die Weibchen. Der Gesang ist saisonal verschieden, viele Vogelarten singen vor allem im Frühjahr und im Frühsommer.
Aber: Was genau singen die Vögel? Übermitteln sie mit dem Gesang auch Sinn-Einheiten? Darüber weiß man noch wenig, sagt der Verhaltensbiologe Henrik Brumm, der auch in Seewiesen forscht.
"Höchstwahrscheinlich sagen die Vögel alle dasselbe. Zum Beispiel: Ich bin eine Kohlmeise in Fortpflanzungsstimmung. Oder ich bin ein Schilfrohrsänger in Brutstimmung. Aber der Schilfrohrsänger, der das besonders elaboriert und variantenreich machen kann, ist besonders attraktiv für die Weibchen."
Henrik Brumm hat den Einfluss von Stadt- und Straßenlärm auf die Kommunikation und das Verhalten der Vögel untersucht: Sie singen lauter, beginnen früher am Morgen, um vor dem Berufsverkehr auf sich aufmerksam machen zu können. Und: Sie geraten unter Stress.
"Wenn Jungvögel lautem Verkehrslärm ausgesetzt werden, kommt es zu einer Beschädigung der Chromosomen. Dadurch wird höchstwahrscheinlich die Lebenserwartung begrenzt. Ganz ähnliche Effekte gibt es beim Menschen, durch chronischen Stress, der ist für uns schädlich, macht uns krank. Und höchstwahrscheinlich passiert dasselbe auch bei Vögeln."

Vögel werden in ihrem sozialen Umfeld beobachtet

In den Versuchen in Seewiesen bekommen die Vögel kleine Sender, um sie ungestört in ihrem sozialen Umfeld beobachten zu können. Zusammen mit einem Mikrofon werden sie den Tieren wie ein Rucksack umgebunden, sagt die Elektrophysiologin Lisa Trost.
"Der Rucksack sitzt so auf dem Rücken des Vogels mit dem Mikrofon nach unten gewandt, das heißt, alles was der Vogel sagt wird dann direkt aufgenommen ins Mikrofon und weiter geschickt."
"Und welches Gewicht hat das dann?", fragt der Reporter?
"Das ist zusammen 0,6 Gramm, mit Batterie hat er 0,6 Gramm."
"600 Milligramm ist vernachlässigbar für einen Vogel, 600 Milligramm frisst er auch mal auf einen Sitz, das stört die Tiere weiter nicht", meint Manfred Gahr.

Sender messen die Gehirnströme der Vögel

Mit einem anderen Sender können die Gehirnströme gemessen werden.
"Entweder sitzen die Elektroden direkt im Gehirn, dort wo man auch die Aktivität der Gehirnzentren vermutet, die dann mit dieser Vokalisation zu tun hat. Oder sie sitzen auf der Oberfläche, sogenannte Oberflächenelektroden und zeichnen dann wie ein EEG Oberflächenaktivitäten auf."
Mit Hilfe dieser Untersuchungen wollen die Wissenschaftler verstehen, wie sich das Gehirn saisonal umbildet, in Abhängigkeit von dem Sexualhormon Testosteron. Und hoffen auf Erkenntnisse, die sich eventuell auch auf den Menschen übertragen lassen.
"Das menschliche Gehirn ist natürlich anders aufgebaut wie ein Vogelgehirn. Uns geht es aber eigentlich um die Konzepte. Die Gesänge stehen für ein Verhalten, das Hormon gesteuert auftritt. Hormon gesteuerte Verhaltensweisen gibt es auch beim Menschen. Das sind wahrscheinlich weniger unsere Sprache, aber andere Verhaltensmuster, die mit unserem eigenen Sexualverhalten zu tun haben. Was man lernen kann, ist wie Sexualhormone dynamisch das Gehirn umbilden. Und wir denken, dass das in ähnlicher Weise auch bei anderen Wirbeltieren passiert."
Der Gesang der Zebrafinken kann uns also vielleicht dabei helfen, den Menschen besser zu verstehen.
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