Verhaltensforscher Frans de Waal

Was Schimpansen und Chirurgen gemeinsam haben

Drei Schimpansen sitzen nebeneinander.
Konfliktmanagement, Kooperation, Konkurrenz - Frans de Waal beobachtet bei Schimpansen menschliche Verhaltensweisen. © imago / Sience Photo Library
Von Volkart Wildermuth · 12.07.2018
"Wir sind letztlich Affen": Das ist das Credo des Primaten-Verhaltensforschers Frans de Waal. Folgerichtig analysierten er und sein Team das Verhalten von Chirurgen im OP mit Methoden der Primatenforschung. Und kamen zu erstaunlichen Ergebnissen.
Ein Verhaltensforscher, der vor allem mit Schimpansen arbeitet, ist auf einer Tagung von Neurowissenschaftlern zunächst ungewöhnlich. Schließlich interessiert er sich im Grunde nicht für die Feinheiten der Nervennetze. Aber Frans de Waal wollte in Berlin vor allem auch neue Perspektiven eröffnen. Den Hirnforschern rät er, ihren Blick zu weiten:
"Hirnforscher konzentrieren sich meist auf einfache, automatische Verhaltensweisen. Aber ich sage, die ganze Bandbreite der menschlichen Emotionen bis hin zu Eifersucht und Liebe findet sich auch bei Nagern. Damit sollten sie sich beschäftigen."

Wühlmäuse sind empathiefähig

Zugegeben ist die emotionale Bandbreite unterschiedlicher Arten recht verschieden. Aber Prärie-Wühlmäuse zum Beispiel finden sich zu Paaren zusammen, die einander ein Leben lang treu sind. Ihre Bindung ist so eng, dass hier der Begriff Liebe zumindest nicht völlig absurd klingt.
"Wenn sie gestresst ist, fängt er an sie zu berühren, sie zu beruhigen", sagt Frans de Waal. Für ihn ein klarer Beleg dafür, dass Wühlmäuse Mitgefühl zeigen und sich umeinander kümmern. Tatsächlich konnten auch Hirnforscher nachweisen, dass bei Menschen und Wühlmäusen hier ganz ähnliche Hormone und Nervenverbindungen aktiv sind: "Das Wühlmausverhalten gleicht also nicht nur oberflächlich der Empathie, es ist der menschlichen Empathie sehr ähnlich."
Zwei Präriewühlmäuse in einem Labor.
Tierische Empathie: Wühlmäuse trösten ihren verstörten Artgenossen© picture-alliance / dpa/ Emory University
Alle Säuger zeigen eine Art emotionale Ansteckung, reagieren auf den Stress der Artgenossen mit eigenem Stress. Einige Arten versuchen dann den anderen zu beruhigen, und besonders soziale Tiere können sich in den Partner tatsächlich hineinversetzten und die eigenen Emotionen sogar regulieren. Das galt lange als Domäne des Menschen. Zum Beispiel soll es allein der Homo sapiens schaffen, Konkurrenzverhalten zugunsten der Kooperation zu unterdrücken.

Schimpansen haben Sinn für Fairness

Diese These klang für Frans de Waal wenig überzeugend. Deshalb prüfte er sie mit über 20 Schimpansen. Mitten in deren Freigehege stellte der Forscher einen Apparat, der Leckerbissen verteilte. Die gab es aber nur, wenn zwei oder drei Schimpansen genau gleichzeitig an unterschiedlichen Stangen zogen. Kooperation wurde also belohnt, aber keiner der Schimpansen musste kooperieren: "Jeder konnte das Futter stehlen, die anderen wegdrängen oder kämpfen. Das war alles möglich."
Und passierte anfangs auch. Auf Dauer aber veränderte sich das Verhalten in der Schimpansen-Gruppe. "Die Konkurrenz verschwand fast vollständig. Und wir denken, das lag vor allem daran, dass sich die Schimpansen verlässliche Partner suchten", sagt de Waal. "Wer zu egoistisch war, wurde dagegen gemieden. Wir haben sogar Schimpansen gesehen, die Schmarotzer bestraften, genau wie das auch Menschen in ähnlichen Situationen machen."
Schimpansen haben einen Sinn für Fairness. Es komme aber auf den Kontext an. Wenn sich Tiere in vergleichbaren Situationen befinden, dann entwickeln sie auch vergleichbare Emotionen, davon ist Frans de Waal überzeugt. Die scharfe Trennung Mensch-Tier ist deshalb wenig nützlich. Mehr noch: Das Wissen um menschliche Gefühle hilft, das Verhalten von Tieren zu erklären. Umgekehrt hat Frans de Waal die Methoden der Primatenforschung auf Menschen angewandt, konkret auf Chirurgen bei über 200 Operationen im Universitätsklinikum vom Emory.
"Wir haben uns einfach dazugesetzt und beobachtet und so mehr als 6.000 typische Verhaltensmuster gesammelt, die in Operationssälen vorkommen. Und das haben wir dann anschließend mit den Standard-Primatenmethoden analysiert."
Eine Krankenschwester reicht einem Arzt während einer Operation eine Schere.
Auch im OP gilt: Wenn das Geschlecht des "Alpha-Tiers" sich von dem der Assistierenden unterscheidet, funktioniert die Zusammenarbeit am besten.© imago stock&people
Erste Erkenntnis: im Operationssaal wird nicht nur operiert.
"Die technische Kommunikation wie 'Skalpell bitte' oder 'Gib mir diese Nadel' machte nur fünf Prozent der Interaktionen im Operationssaal aus. Die meiste Zeit verbringen die Leute mit Flirten, sie tanzen, sie schreien sich an und es gibt viel Klatsch und Tratsch, zur Zeit sicher über die Fußball WM."

Hierarchie und Geschlecht

Als Primatologe interessiert sich Fans de Waal vor allem für Konflikte in der Gruppe. Manche seiner Ergebnisse sind wenig überraschend. Streit zum Beispiel wird meist über die Hierarchie entschieden. Aber nicht nur: "Eine große Rolle spielt das Geschlecht des Alpha-Tiers, also des leitenden Chirurgen. Wenn der ein anderes Geschlecht hat als die Mehrheit des Teams, gibt es weniger Konflikte und mehr Kooperation."
Ein männlicher Chirurg kommt besser mit einem eher weiblichen Team zurecht, ein weiblicher Chirurg eher mit einem männlichen. Für einen Primatenforscher ist das ganz offensichtlich, schließlich konkurrieren bei Schimpansen die Männchen mit anderen Männchen und die Weibchen mit anderen Weibchen. Zwischen den Geschlechtern gibt es weniger Konflikte. Im Operationssaal ist deshalb die Zusammensetzung der Gruppe entscheidend. Ob das Alpha-Tier männlich oder weiblich ist, spielt dagegen keine große Rolle.
"Das hat uns überrascht, dass es da keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt", so de Waal. "In der Literatur wird über große Unterschiede bei der Aggression, beim Herumschreien und so weiter berichtet. Aber da haben wir nichts gefunden. Männliche und weibliche Chirurgen sind keine verschiedenen Tierarten. Entscheidend ist die Zusammensetzung des Teams."

"Wir sind letztlich Affen"

An einer großen Universitätsklinik wechseln die Teams aber ständig. Frans de Waal würde mehr Stabilität empfehlen. Die Erfahrungen mit menschlichen Emotionen können das Verhalten von Schimpansen erhellen, zumal der Mensch offensichtlich viele soziale Mechanismen mit anderen Primaten teilt. Anders als viele seiner Kollegen plädiert Frans de Waal daher dafür, Begriffe wie Mitgefühl, Liebe, Eifersucht ganz bewusst nicht länger nur noch beim Homo sapiens zu verwenden.
"Wenn man mit Menschenaffen arbeitet, sollte man menschliche Begriffe verwenden. Sie sind uns so ähnlich, und wir sind letztlich Affen. Ich sehe keinen Grund, sprachlich zwischen dem zu unterscheiden, was sie machen und dem, was wir machen."
Mehr zum Thema