Verhältnis von CDU und AfD in Sachsen

Umstrittene Annäherung in Bautzen

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Michael Kretschmer, CDU-Spitzenkandidat unterhält sich mit Bürgern im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in Bautzen.
Ministerpräsident Michael Kretschmer als CDU-Spitzenkandidat bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bautzen vor der Landtagswahl im Sommer 2019. © imago images / photothek / Florian Gaertner
Von Bastian Brandau · 28.02.2020
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Bautzen ist eine AfD-Hochburg. Im Stadtrat erreichte die Partei schon gemeinsame Mehrheiten mit CDU, FDP und einem Bürgerbündnis. Es ging um Haushaltsfragen und einen fragwürdigen Friedenspreis. Bröckelt das Tabu jeglicher Kooperation in Sachsen?
"Ich hänge das wirklich nicht hoch", Oberbürgermeister Alexander Ahrens, vor fünf Jahren als parteiloser Kandidat in sein Amt gewählt und später wieder in die SPD eingetreten, bemüht sich um Ausgleich in der komplexen Bautzener Lokalpolitik.
Jahrzehntelang dominierte dort die CDU. Seit den Kommunalwahlen im Mai 2019 aber stellen die Christdemokraten nur noch acht der 30 Stadträte. Die extrem rechte AfD stellt sieben Stadträte. Sechs hat das Bürgerbündnis Bautzen, das bei der OB-Wahl 2015 noch Ahrens unterstützt hatte. In den Jahren danach rückte es unter Einfluss eines Bauunternehmers in Richtung AfD.

Friedenspreis für einen Verschwörungstheoretiker

Was Oberbürgermeister Ahrens nicht "hoch hängen" möchte: In seiner Januar-Sitzung war der Bautzener Stadtrat nicht mehr beschlussfähig. Was war geschehen? Räte von AfD, vom Bürgerbündnis, von der FDP und auch ein Rat aus der CDU verlassen die Sitzung vorzeitig, um zu einer äußerst umstrittenen Preisverleihung zu gehen.
Ein nicht eingetragener Verein, der dem Bürgerbündnis Bautzen im Stadtrat nahesteht, verleiht den "Bautzener Friedenspreis". An den Schweizer Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser. Anders als der CDU-Landrat des Kreises Bautzen bleibt SPD- Oberbürgermeister Ahrens der Verleihung fern. Er sieht die Auswahl der letzten Preisträger als problematisch an:
"Ganser hat sehr interessante Sachen über die Nato geschrieben und über ungerechtfertigte Kriege", sagt Ahrens. "Auf der anderen Seite tritt er eben auch Verschwörungstheorien breit, zum Beispiel zum Thema 9/11, also Anschläge in den USA, aber auch zu Charlie Hebdo. Bei beiden Vorkommnissen stellt er in den Raum oder behauptet das teilweise sogar, dass das quasi sehenden Auges geduldet wurde oder eben von den Regierungen selber inszeniert wurde."

Stadträte verweigern sich der Diskussion

Eine konzertierte Aktion und eine Machtdemonstration sei das Verlassen der Sitzung gewesen, sagen die Grünen um Stadträtin Annalena Schmidt. "Wir gingen davon aus, dass die Stadträtinnen und Stadträte der Stadt Bautzen, Budyšin, ihr Ehrenamt so ernst nehmen, dass sie, auch wenn sie auf die Verleihung wollen, zunächst mal die Stadtratssitzung bis zum Ende führen", sagt Schmidt.
Die Grünen hatten zuvor gemeinsam mit SPD und Linken beantragt, dass sich der Stadtrat Bautzen von eben diesem sogenannten Friedenspreis, der den Namen der Stadt führt, distanzieren solle.
"Dann wäre der Antrag eben auch am 29. Januar in der letzten Sitzung bereits abgestimmt worden", erklärt Schmidt. "Allerdings kam dem die Beschlussunfähigkeit und der - aus meiner Sicht - Abbruch der Stadtratssitzung zuvor. Und deshalb mussten wir heute nochmal über den Antrag abstimmen."
Also in der Sitzung vor eineinhalb Tagen am Mittwochabend, bei der der Stadtrat von Beginn bis Ende beschlussfähig ist. SPD, Grüne und Linke wollen – wie bei Anträgen üblich - auch noch einmal darüber diskutieren. Doch dazu kommt es nicht. Das Bürgerbündnis Bautzen nämlich stellt umgehend einen Antrag zur Geschäftsordnung: sofortige Abstimmung, keine Diskussion. Man habe diesen Weg mit Bedacht gewählt, sagt Karin Kluge, stellvertretende Fraktionsvorsitzende des Bürgerbündnis Bautzen.

Sorge um den Ruf der Stadt

Ich denke, es ist sehr viel inzwischen über die Friedenspreisverleihung gesagt worden, im positiven wie im negativen Sinne", so Kluge. "Und ich denke, dass wir heute das ganze Thema wahrscheinlich nur zerredet hätten und persönliche Anfeindungen sicherlich von dem einen oder anderen gekommen wären. Das haben wir gemerkt in den Redebeiträgen, die für und wider gekommen sind, und dann, mit Zwischenrufen, die dort getätigt wurden. Diesem ganzen Thema wollte ich wirklich aus dem Wege gehen. Bautzen stellt sich mit diesem Thema in ein nicht wirklich gutes Licht."
Den Antrag nicht einmal zu diskutieren – eine weitere Machtdemonstration der Fraktionen von Bürgerbündnis und AfD, sagt Annalena Schmidt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen:
"Uns ging es nicht darum, nur den Antrag abzustimmen, sondern über ein Thema zu diskutieren, das weite Teile der Bautzener Stadtgesellschaft bewegt - sei es deshalb, weil sie Verschwörungsideologien anhängen, oder weil sie sich um den Ruf der Stadt sorgen, weil sie sich um den Zustand unserer Gesellschaft sorgen. Weil diesen Verschwörungsideologien, die oftmals auch mit Antisemitismus und Rassismus zusammenhängen, eben durch Veranstaltungen dieser Art Vorschub geleistet wird."
Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Bürgerbündnis Bautzen, AfD, FDP und auch Teile der CDU arbeiten an dieser Stelle Hand in Hand. Just die Parteien also, über die die Sächsische Zeitung schon vor der Sitzung schrieb, sie gingen derzeit möglichweise eine neue Allianz im Stadtrat ein.

CDU: Es gibt "Gespräche", keine "Zusammenarbeit"

Von einer Zusammenarbeit mit der AfD könne keine Rede sein, sagt dagegen der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Matthias Knaak mit Blick auf die Debatte um Änderungen zum Haushaltsplan:
"Es ist formal so, es ist ein Antrag der CDU- Fraktion gewesen. Es sind aber inhaltlich Themen aufgegriffen wurden, die in einem Vorgespräch von verschiedenen Fraktionen geäußert worden sind, von der FDP, vom Bürgerbündnis und auch von der von der AfD. Hintergrund war der, dass wir uns in der Haushaltsdiskussion befinden und dass verschiedene Fraktionen immer wieder signalisiert haben: Es wäre uns wichtig, auch nochmal über verschiedene Akzente in einer Überarbeitung des Haushaltes oder eben in Änderungsanträgen miteinander ins Gespräch zu kommen."
Wortklauberei, findet man bei den Grünen. Alle Stadträte hätten im Voraus den gemeinsamen Antrag erhalten, sagt Fraktionsvorsitzender Claus Gruhl:
"Fakt ist, es steht 'Sammelantrag' drüber, und es steht im Text drin, dass es ein gemeinsam erarbeiteter Antrag von den vier Fraktionen gewesen ist. Ich weiß nicht, als was man das anders bezeichnen kann als einen gemeinsamen Antrag. Und es waren vorgesehen vier Unterschriften von allen vier Fraktionen: die CDU, die FDP, das Bürgerbündnis Bautzen und die AfD."

Fallweise Allianzen: AfD mit Bürgerbündnis, FDP und CDU

Die AfD will sich gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur nicht zu ihrer Arbeit im Bautzener Stadtrat äußern. Ein Interview lehnt der Fraktionsvorsitzende ab. Mitschnitte der Stadtratssitzungen untersagt die Stadtverwaltung mit nicht näher spezifiziertem Hinweis auf Vorbehalte in einzelnen Fraktionen.
In der Sitzung selbst fällt auf, dass die sieben ausschließlich männlichen AfD-Stadträte von den anderen Fraktionen getrennt sitzen. Wiederholt betont die AfD ihre eigene Unerfahrenheit in der Ratsarbeit. Doch klar ist: Der sächsische AfD-Landesverband ist voll auf der Linie des völkischen Parteiflügels von Björn Höcke, ein Bautzener Stadtrat trat bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung auf. Bleibt also die Gretchenfrage: Unterläuft die CDU in Bautzen nicht gerade das von der Bundespartei ausgehende Kooperationsverbot mit den Rechtsextremen? Nein, sagt CDU-Politiker Matthias Knaak:
"Also, ich kann es für mich ganz klar sagen, es wird keine gemeinsamen Anträge mit der AfD geben. Was aber wichtig ist, ist, dass wir gerade auf der kommunalpolitischen Ebene auch bei Sachthemen im Interesse der Stadt und auch der weiteren Stadtentwicklung miteinander im Gespräch sein müssen, dass man also auch bestimmte Positionen und Sichtweisen zu Themen austauscht."
Zusammenarbeit, Austausch, Kooperation – wie auch immer man es bezeichnet: Der Antrag bekommt am Ende alle Stimmen von CDU, Bürgerbündnis Bautzen, der FDP – und der AfD. Und damit die Mehrheit.

Grüne: Bürgerliche Parteien "normalisieren" die AfD

Deutlich wird auch, dass es in der Bautzener CDU-Fraktion bei anderen Themen ein heterogenes Abstimmungsverhalten gibt – so als sei die Fraktion ähnlich gespalten wie die Bundespartei derzeit. SPD, Linke und Grüne befürchten, dass sich diese Form der Zusammenarbeit der anderen Parteien mit der AfD verstetigen könnte und es irgendwann nicht mehr "nur" um Machbarkeitsstudien und den Bürgerhaushalt gehen wird. - Grünen-Stadtrat Claus Gruhl:
"Es ist im Grunde genommen eine schleichende Normalisierung beziehungsweise eine schleichende Relativierung der AfD-Politik - oder eine Überführung in die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Die AfD selbst sagt ja immer, sie sind die Mitte der Gesellschaft, hat ja erst wieder Gauland letztes Wochenende gesagt, bürgerliche Mitte, nicht wahr. Und solange wie dort von der eigentlichen bürgerlichen Mitte, so wie wir sie sehen, kein entschiedener Widerstand kommt, oder dort sozusagen die Hand gereicht wird - und sei das nur auf kommunaler Ebene -, da öffnet man sozusagen dieser Unterwanderung Tür und Tor."
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