Vergnügliche Wiederbelebung

Von Holger Hettinger · 15.05.2011
Ein beeindruckender Beleg für die Ungerechtigkeit der Musikgeschichte ist der Komponist Johann Simon Mayr: Im frühen 19. Jahrhundert gefeiert, heute nahezu unbekannt. Derzeit finden in Ingolstadt und Umgebung die 1. Internationalen Simon Mayr Festspiele statt.
Johann Simon Mayr war längst ein berühmter und europaweit anerkannter Komponist, als im Februar 1810 seine Oper "Amore non soffre opposizioni" uraufgeführt wurde – in Venedig, wo man sich besonders gut darauf verstand, einem zahlenden Publikum Erstaunliches zu bieten. Es muss ein Heimspiel gewesen sein für den damals 47-jährigen Komponisten: Er hatte in eine einflussreiche venezianische Familie eingeheiratet, war bestens vernetzt, wie man heute sagen würde, und traf in seinen Erfolgsopern genau jenen Ton aus karikierendem Übermut und emotionaler Tiefe, der auf den Opernbühnen Italiens bejubelt wurde.

200 Jahre danach ist wenig geblieben vom Ruhm des Simon Mayr, der aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Ingolstadt stammt. Seine rund 60 Opern: längst vergessen; seine ebenso zahlreichen Sinfonien sind irgendwo auf der Strecke geblieben, als sich die Musik in Italien zur tragenden Säule des neuen nationalen Selbstbewusstseins erklärte – da hatten die zweifellos charmanten, insgesamt aber unspektakulären Werke eines zugewanderten Deutschen einen schweren Stand.

Derzeit finden in Ingolstadt und Umgebung die "1. Internationalen Simon-Mayr-Festpiele" statt – eine klangvolle Wiederentdeckung der Opern und Kirchenkompositionen des einst europaweit berühmten Auswanderers. Die 1995 gegründete Johann-Simon-Mayr-Gesellschaft setzt mit dem 17-tägigen Festival ein bedeutendes kulturpolitisches Signal – und sorgt für eine vergnügliche Wiederbelebung der Kompositionen Mayrs.

Mayr klingt wie – nun ja: ein bisschen wie Mozart in den heiteren Partien, ein wenig wie Haydn in den tief empfundenen Sakralwerken, den Sinn für mächtige Ensemblewirkungen hat er seinem bedeutend jüngeren Schüler Donizetti mitgegeben – und von Mayrs Verständnis für Timing kann sich so mancher Filmregisseur etwas abschauen.

Der Dirigent und Kirchenmusiker Franz Hauk ist eine der treibenden Kräfte der längst überfälligen Simon-Mayr-Wiederentdeckung – er formuliert es so:

"Mayr war immer ein Bindeglied, und Bindeglieder haben oft – das sehen Sie bei Carl Philipp Emmanuel Bach, zum Beispiel – die haben oft in der Nachwelt ein Schattendasein geführt. Der hat auf der einen Seite den Schritt weg von Cimarosa und vielleicht auch ein wenig von Mozart gemacht, ist aber auf der anderen Seite natürlich noch nicht so ins Süffige gegangen wie Donizetti zum Beispiel."


Die Aufführung von Mayrs Oper "Amore non soffre opposizioni" jetzt am Wochenende war einer der Höhepunkte der Festspiele: ein bestens aufgestelltes Sänger-Ensemble und das Festival-Orchester unter Leitung von Franz Hauk verdeutlichten, warum Mayrs Opern zu seinen Lebzeiten einen derart fantastischen Ruf hatten. Die Handlung der Oper ist vergleichsweise simpel: Ein junger Mann soll verheiratet werden, doch im Haushalt der zukünftigen Braut trifft die muntere Hochzeitsgesellschaft ausgerechnet auf die Verflossene des Bräutigams in spe – unter falschem Namen lebt Elmira mitsamt ihrem Sohn im Haushalt des Policarpo, arbeitet als Zofe. Die Trennung von einst, das wird schnell deutlich, geht auf eine Intrige des Bräutigam-Vaters zurück, der ein Blatt mit der Blanko-Unterschrift des Sohnes zu einem Schmähbrief umfunktioniert hatte. Am Ende findet das Paar zusammen, und alle Intrigenführer bekommen einige Lektionen über die Tiefe der menschlichen Seele mit.

Simon Mayr kleidet diese Geschichte in ein quecksilbrig-munteres musikalisches Gewand, flankiert große Gefühle und niedrige Beweggründe mit Klängen, die Illustration und Interpretationshilfe zugleich sind, und amalgamiert die unterschiedlichsten musikalischen Stile mit Feingefühl und kombinatorischem Witz zu einer rasanten Schussfahrt durch klassizistische und frühromantische Klangwelten. Franz Hauk macht in jedem Takt den Esprit und den Finessenreichtum von Mayrs Partitur deutlich, verdeutlicht im zweiten Akt das grelle Espressivo von Mayrs Klangsprache, und öffnet am Cembalo mit Ragtime-Einlagen das Fenster zur musikalischen Moderne – ganz sicher im Sinne Simon Mayrs.

Das bestens aufgelegte Gesangs-Ensemble folgte den Volten der Partitur lustvoll und mit tiefer darstellerischer Durchdringung – stellvertretend seien hier Monika Lichteneggers strahlend-kraftvolle Elmira erwähnt, und Richard Resch als konfliktbeladener Bräutigam. Regisseurin Lena Kupatz ging eindrucksvoll und bildgewaltig der psychologisierenden Tiefe der Oper nach, ohne die komödiantische Seite zu vernachlässigen, dosierte aber ihre Regieeinfälle ausgesprochen sparsam und ließ die Akteure mit zahlreichen Niedlichkeiten wie dem Schühchen-an-Schühchen-aus-Spiel alleine. Die Figur des Dieners Martorello schien mit seiner Slapstick-Dauergestik einer 50er-Jahre-Klamotte entsprungen – geschenkt, denn Mayrs Musik erzählt doch so viel über das Seelenleben der Akteure.

Ergänzt wurde die musikalische Spurensuche durch ein wissenschaftliches Symposium, bei dem sich Forscher aus Deutschland und Italien über das Werk Simon Mayrs und den Stand der Wiederbelebung seiner Werke austauschten.

Bleib die Frage, was genau es denn war, was die Musik von Simon Mayr in Vergessenheit geraten ließ?!? Franz Hauk findet diese Erklärung:

"Ivor Bolton hat mal gesagt, er benimmt sich so wie eine Elster, pickt mal hier und pickt mal dort, und das fand ich eigentlich ganz interessant, denn es bleibt ja doch irgendwo Mayr, es wird jetzt nicht der reine Mozart – er zitiert hier, und er zitiert auch mal dort, und vermengt es dann in seine eigene Musiksprache."

Dass auch die Bindeglieder der Musikgeschichte in der heutigen Zeit Repertoirewert haben – das beweisen diese Festspiele aufs Eindrucksvollste.

Informationen der 1. Simon Mayr Festspiele
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