Vergessener Held

Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wird oft nur der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg genannt, seine Mitverschwörer sind fast vergessen, darunter Joachim Kuhn. Er besorgte den Sprengstoff, geriet später an der Ostfront in sowjetische Kriegsgefangenschaft und klagte in der Bundesrepublik vergeblich auf Entschädigung. Peter Hoffmann setzt ihm ein stilles Denkmal.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg gehört heute zu den großen Heroen der deutschen Geschichte. Der militärische Widerstand kennt vor allem seinen Namen. Vielleicht noch Henning von Tresckow oder Ludwig Beck. Aber Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Friedrich Olbricht, Werner von Haeften - die drei Mitverschwörer, mit denen gemeinsam Claus Schenk Graf von Stauffenberg noch in der Nacht nach dem gescheiterten Attentat im Hof des Berliner Bendlerblocks erschossen wurde? Oder gar Joachim Kuhn?

Kaum ein Historiker hat sich an der Aufarbeitung des militärischen Widerstandes so abgearbeitet wie Peter Hoffmann: geboren 1930 in Dresden und Jahrzehnte an nordamerikanischen Universitäten lehrend. Nach seinem Standardwerk "Widerstand, Staatsstreich, Attentat" (1969), "Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder" (1992) und "Stauffenberg und der 20. Juli" (1998) nun also "Stauffenbergs Freund - Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn". Ein Werk, das sich nicht nur unermüdlichem Forschungseifer verdankt, sondern vor allem auch der großen Politik. Auf Drängen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl bekam dieser 1997 bei einem Staatsbesuch in Russland von Präsident Boris Jelzin Akten zum 20. Juli, die Jahrzehnte unter sorgsamem Verschluss des sowjetischen Sicherheitsapparates gelagert worden waren - darunter auch das, was Joachim Kuhn, zum Teil durch Folter erpresst, in sowjetischer Gefangenschaft ausgesagt hatte.

Unter den vielen tragischen Schicksalen des 20. Juli wird das Joachim Kuhns als eines der besonders tragischen in Erinnerung bleiben. Als der Mann, der den Sprengstoff für das Attentat auf Hitler besorgte. Als der Mann, der, gemeinsam mit Henning von Tresckow an der Ostfront, nach gescheitertem Attentat und Staatsstreich, diesen zweiten großen Helden des militärischen Widerstandes zwischen die kämpfenden Linien fuhr, wo Henning von Tresckow Selbstmord beging. Von Peter Hoffmann in dürren, trockenen Sätzen geschildert, die umso drastischere Bilder im Kopf des Lesers erzeugen.

Joachim Kuhn - der Generalstabsoffizier, der selber nicht zum eigenhändigen Töten Hitlers bereit, zum Selbsttod auch nicht fähig war - setzte sich ab hinter die Kampflinien, geriet in sowjetische Gefangenschaft und wurde erst 1956 in die Bundesrepublik entlassen. Die Tragik seines Lebens setzte sich hier fort als Kampf des vermeintlichen Deserteurs gegen die Mühlen von bundesrepublikanischer Justiz und Verwaltung, die genau jene ehemaligen treuen Diener des Nazi-Staates aufgebaut hatten, den wegzubomben Joachim Kuhn mithelfen wollte.

Im Gegensatz zu anderen Widerständlern verweigerte sich Joachim Kuhn der Zeitgeschichtsschreibung, auch dem Historiker Peter Hoffmann, der 1972 von ihm an der Haustür seiner Berliner Wohnung abgewiesen wurde. Es war eine Trug- und Wahnwelt, in die Joachim Kuhn sich immer mehr versponn. Er starb am 6. März 1994 in einem bayerischen Pflegeheim.

Kein Leben für einen bunten Hollywoodfilm vielleicht, eher für ein stilles Drama auf der Theaterbühne: zu sehr "eine Tragödie mit Aufstieg, Höhepunkt, Peripetie und Sturz", wie Peter Hoffmann bilanziert - der sich jeder Heroisierung enthält, aber auch jeder fahlen Dramatisierung. Er lässt in lakonischen Sätzen, nüchternen Fakten den Grusel für sich selber sprechen.

Herausgekommen ist ein Buch, das mehr ist als nur eine weitere Facette zur Literatur über den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Es ist vielleicht nicht die ideale Einstiegslektüre für die jungen Rekruten, die heute am 20. Juli im Hof des Bendlerblocks ihr Gelöbnis ablegen. Aber es ist eine gute Vorbereitung und vorzügliche Animation für den fortgeschrittenen Leser, die voluminösen Bände von Peter Hoffmann (noch) mal zur Hand zu nehmen.

Rezensiert von Klaus Pokatzky

Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn
Verlag C.H.Beck, 2007
246 Seiten, EUR 24,90