Vergessener Geschichtsschreiber
Im 19. Jahrhundert wurde Geschichte zur Wissenschaft undzum eigenständigen Fach an den Universitäten. Ein Zentrum dieser Entwicklung war Berlin, wo Namen wie Leopold von Ranke und Theodor Mommsen sind leuchteten. Ein Dritter aus der Berliner Garde, Johann Gustav Droysen, ist dagegen fast vergessen, wie der renommierte Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler kürzlich feststellte. Dennoch bleibe, meint Wehler, Droysen eine "hochinteressante Schlüsselfigur der deutschen akademischen Welt." Heute vor 200 Jahren wurde er geboren.
" Als Kind hat mich der alte Blücher auf sein Pferd gehoben, "
so erinnerte sich Johann Gustav Droysen an eine frühe Begegnung mit dem preußischen Feldmarschall. Sie soll sich 1811 ereignet haben. Der kleine Reitkamerad des alten Blücher war da gerade drei Jahre alt. Blücher und andere preußische Helden verkehrten im Haus von Droysens Vater, des Garnisonspfarrers der pommerschen Kleinstadt Treptow an der Rega, wo Johann Gustav Droysen am 6. Juli 1808 geboren wurde. Sein Vater hatte sich 1807 bei der Verteidigung der Festung Kolberg gegen Napoleons Truppen als Feldprediger hervorgetan, und Blücher hatte ihn mit dem Amt in Treptow belohnt. Trotz preußisch imprägnierter Kindheit - ein "Hurra-Preuße" ist aus Droysen nie geworden. Zwar verbohrte er sich mit den Jahren in die fixe Idee, Preußen und die Hohenzollern hätten eine "deutsche Berufung", andererseits bewertete er mit weitem Blick den preußischen Befreiungskrieg im Kontext anderer Freiheitsbewegungen in Europa und Amerika. Und er rühmte Napoleon:
" Nie in der Geschichte hat sich menschlicher Verstand in durchgreifenderer Weise gezeigt. "
Solchen Willen zur Neuordnung vermisste Droysen in Preußen. Mit 18 Jahren begann er in Berlin ein Studium der klassischen Philologie und der Philosophie, mit 23 promovierte er über ein Thema aus dem alten Ägypten. Der Vater war früh gestorben; er musste Geld verdienen. Sein Doktorvater brachte ihn als Hauslehrer bei einer angesehenen deutsch-jüdischen Familie unter, den Mendelssohn-Bartholdys. Hier lernte er die Berliner Gesellschaft kennen, doch Geldsorgen bestimmten auch sein Leben als junger Gelehrter. Der Berliner Althistoriker Wilfried Nippel schreibt in seiner kürzlich erschienenen Droysen-Biographie:
" Der junge Altertumswissenschaftler hat ein Werk vorgelegt, dessen Umfang von einer geradezu titanischen Arbeitskraft zeugt. Er veröffentlichte Übersetzungen der Tragödien des Aischylos und der Komödien des Aristophanes, legte seine Geschichte Alexanders des Großen und den ersten Band seiner Geschichte des Hellenismus vor. "
Droysen steckte ein neues Forschungsfeld ab: die vier Jahrhunderte von Alexander bis Caesar, eine Ära, der er den Namen "Hellenismus" gab. Als politischer Kopf nahm er Partei für die Machtentfaltung Alexanders, einen Neuordner, wie später Napoleon. Doch das Kultusministerium honorierte die Leistungen des innovationsfreudigen Droysen nicht. So fand er seinen ersten Lehrstuhl nicht in Berlin, sondern in Kiel. Dort versuchte er, als Publizist die preußische Politik zu beeinflussen und trat für die Loslösung der Herzogtümer Schleswig und Holstein von der dänischen Krone ein. Vergeblich. Im März 1848 ging er nach Frankfurt zur Nationalversammlung. Als Abgeordneter hielt er keine großen Reden, versuchte vielmehr im Hintergrund zu wirken. Nicht primär für bürgerliche Grundrechte, sondern für einen machtgestützten deutschen Einheitsstaat.
" Ja, so sehr kommt es auf Macht und nur auf Macht an, daß selbst die Freiheit werthlos ist ohne sie. "
Doch das Frankfurter Parlament versank in Rhetorik, Droysen ging nach Jena. Er begann sein Monumentalwerk "Geschichte der preußischen Politik" - ein seltsamer Versuch, eine "deutsche Sendung" Preußens bis zurück ins 15. Jahrhundert zu konstruieren.
Endlich, am 1. Oktober 1859, wurde er ordentlicher Professor zu Berlin.
Ein Vierteljahrhundert lehrte Droysen in Berlin, unermüdlich forschend und schreibend bis zum Todesjahr 1884. Sein Biograph Nippel fragt, was von ihm bleibe.
" Nicht viel. "
Eine "Totgeburt" seien die mehr als 7000 Seiten der "Geschichte der preußischen Politik", mehr Geschichtstheologie als Wissenschaft. Paradox, dass Droysen gerade für Geschichte als Wissenschaft viel getan hat, für die Selbständigkeit als Fach neben Jura und Philologie. Und für eine Methodik, die über das reine Sammeln von Fakten hinausgeht. Auf das Verstehen der Zusammenhänge kam es ihm an. So tat er erste Schritte zu dem, was man heute Hermeneutik nennt. Eine Theorie aus einem Guss hinterließ er jedoch nicht: Seine Schrift "Historik" ist ein Mosaik aus Einzeltexten geblieben. Ein übergroßer Preußentraum steckte in ihm, aber er war auch ein anregender Konzeptkünstler der Geschichte.
so erinnerte sich Johann Gustav Droysen an eine frühe Begegnung mit dem preußischen Feldmarschall. Sie soll sich 1811 ereignet haben. Der kleine Reitkamerad des alten Blücher war da gerade drei Jahre alt. Blücher und andere preußische Helden verkehrten im Haus von Droysens Vater, des Garnisonspfarrers der pommerschen Kleinstadt Treptow an der Rega, wo Johann Gustav Droysen am 6. Juli 1808 geboren wurde. Sein Vater hatte sich 1807 bei der Verteidigung der Festung Kolberg gegen Napoleons Truppen als Feldprediger hervorgetan, und Blücher hatte ihn mit dem Amt in Treptow belohnt. Trotz preußisch imprägnierter Kindheit - ein "Hurra-Preuße" ist aus Droysen nie geworden. Zwar verbohrte er sich mit den Jahren in die fixe Idee, Preußen und die Hohenzollern hätten eine "deutsche Berufung", andererseits bewertete er mit weitem Blick den preußischen Befreiungskrieg im Kontext anderer Freiheitsbewegungen in Europa und Amerika. Und er rühmte Napoleon:
" Nie in der Geschichte hat sich menschlicher Verstand in durchgreifenderer Weise gezeigt. "
Solchen Willen zur Neuordnung vermisste Droysen in Preußen. Mit 18 Jahren begann er in Berlin ein Studium der klassischen Philologie und der Philosophie, mit 23 promovierte er über ein Thema aus dem alten Ägypten. Der Vater war früh gestorben; er musste Geld verdienen. Sein Doktorvater brachte ihn als Hauslehrer bei einer angesehenen deutsch-jüdischen Familie unter, den Mendelssohn-Bartholdys. Hier lernte er die Berliner Gesellschaft kennen, doch Geldsorgen bestimmten auch sein Leben als junger Gelehrter. Der Berliner Althistoriker Wilfried Nippel schreibt in seiner kürzlich erschienenen Droysen-Biographie:
" Der junge Altertumswissenschaftler hat ein Werk vorgelegt, dessen Umfang von einer geradezu titanischen Arbeitskraft zeugt. Er veröffentlichte Übersetzungen der Tragödien des Aischylos und der Komödien des Aristophanes, legte seine Geschichte Alexanders des Großen und den ersten Band seiner Geschichte des Hellenismus vor. "
Droysen steckte ein neues Forschungsfeld ab: die vier Jahrhunderte von Alexander bis Caesar, eine Ära, der er den Namen "Hellenismus" gab. Als politischer Kopf nahm er Partei für die Machtentfaltung Alexanders, einen Neuordner, wie später Napoleon. Doch das Kultusministerium honorierte die Leistungen des innovationsfreudigen Droysen nicht. So fand er seinen ersten Lehrstuhl nicht in Berlin, sondern in Kiel. Dort versuchte er, als Publizist die preußische Politik zu beeinflussen und trat für die Loslösung der Herzogtümer Schleswig und Holstein von der dänischen Krone ein. Vergeblich. Im März 1848 ging er nach Frankfurt zur Nationalversammlung. Als Abgeordneter hielt er keine großen Reden, versuchte vielmehr im Hintergrund zu wirken. Nicht primär für bürgerliche Grundrechte, sondern für einen machtgestützten deutschen Einheitsstaat.
" Ja, so sehr kommt es auf Macht und nur auf Macht an, daß selbst die Freiheit werthlos ist ohne sie. "
Doch das Frankfurter Parlament versank in Rhetorik, Droysen ging nach Jena. Er begann sein Monumentalwerk "Geschichte der preußischen Politik" - ein seltsamer Versuch, eine "deutsche Sendung" Preußens bis zurück ins 15. Jahrhundert zu konstruieren.
Endlich, am 1. Oktober 1859, wurde er ordentlicher Professor zu Berlin.
Ein Vierteljahrhundert lehrte Droysen in Berlin, unermüdlich forschend und schreibend bis zum Todesjahr 1884. Sein Biograph Nippel fragt, was von ihm bleibe.
" Nicht viel. "
Eine "Totgeburt" seien die mehr als 7000 Seiten der "Geschichte der preußischen Politik", mehr Geschichtstheologie als Wissenschaft. Paradox, dass Droysen gerade für Geschichte als Wissenschaft viel getan hat, für die Selbständigkeit als Fach neben Jura und Philologie. Und für eine Methodik, die über das reine Sammeln von Fakten hinausgeht. Auf das Verstehen der Zusammenhänge kam es ihm an. So tat er erste Schritte zu dem, was man heute Hermeneutik nennt. Eine Theorie aus einem Guss hinterließ er jedoch nicht: Seine Schrift "Historik" ist ein Mosaik aus Einzeltexten geblieben. Ein übergroßer Preußentraum steckte in ihm, aber er war auch ein anregender Konzeptkünstler der Geschichte.