Vergessene Ölpest

Von Alexander Göbel · 19.01.2012
Experten sprechen von der größten Ölkatastrophe seit über einem Jahrzehnt: Ende letzten Jahres sind vor der Küste Nigerias Zehntausende Barrel Öl ins offene Meer geflossen. In einer Region, in der poröse oder illegal angezapfte Pipelines ohnehin längst Grundwasser und Ackerböden verseucht haben.
Lucky Amobi steht auf seinem kleinen Acker in der Nähe von Port Harcourt - und starrt ungläubig auf den gigantischen Flammenwerfer. Die Hitze und der Lärm sind kaum zu ertragen. Mehr als 120 solcher Mega-Gasfackeln stehen im Nigerdelta, und die meisten gehören Shell, dem größten Energie-Unternehmen der Welt. Hier wird das Erdgas verbrannt, das nach oben kommt, wenn Öl gefördert wird. Eine billige Methode, um mit dem unerwünschten Nebenprodukt fertig zu werden - anderswo ist das Abfackeln längst verboten, weil Treibhausgase und krebserregende Schwermetalle freiwerden.

"Das Abfackeln ist sehr schlecht für meine Ernte - seit hier dieses große Feuer brennt, will auf meinem Feld einfach nichts mehr richtig wachsen."

Aber das Abfackeln ist nur eine Begleiterscheinung der Ölpest im Delta. Ein schokoladenbrauner Ölfilm liegt auf dem Wasser, Vögel sterben, Fische gibt es hier längst nicht mehr. Klebrige Ölklumpen schwappen auf die Felder, es stinkt nach Petroleum. 6000 Kilometer Ölpipelines durchkreuzen das Nigerdelta im Zickzack - einige sind völlig veraltet. Wegen der Lecks und der immer häufigeren Öldiebstähle kommt es im Durchschnitt fünf Mal pro Woche zu einem massiven "Spill" - zu einer Öl-Havarie.

Seit in Nigeria Öl gefördert wird, sind auf diese Weise viele Millionen Liter schwarzes Gold ins Wasser und in den Boden geflossen - ein Umweltdesaster, für das vor allem der Ölmulti Shell immer wieder Ärger bekommt. Der Konzern fördert allein rund 40 Prozent des nigerianischen Öls: Ein mächtiger Staat im Staate, der sein Geld auf Kosten von Mensch und Umwelt verdiene, sagen die Kritiker. Pressesprecher Bobo Brown von Shell Nigeria wehrt sich - und schiebt den Schwarzen Peter der nigerianischen Regierung zu.

"In Wahrheit sind wir doch nur eine Firma - und keine Parallel-Regierung. Shells Einfluss auf die Regierung Nigerias hat seine Grenzen. Und das ist auch gut so. Denn Shell versteht sich als sozial engagiertes Unternehmen, als 'corporate citizen'."

Tatsächlich hat Shell sich schon vor langer Zeit an der Reinigung der Böden beteiligt und in den verseuchten Gebieten Schulen und Krankenhäuser gebaut. Ein Tropfen auf den heißen Stein, schimpfen die Bewohner. Auch der US-amerikanische Journalist Peter Maass, der Nigerias Ölregion besucht und gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, sieht Shell und die anderen Ölfirmen als Teil der Ursünde im Delta.

Dennoch dürfe man nicht nur allein auf sie mit dem Finger zeigen: Nigerias Elite verdiene ebenfalls - und von diesem Reichtum komme nichts bei den Bürgern an - außer giftigem Ölschlamm.

"In Nigeria ist nicht nur Shell das Problem, Nigerias Regierung ist noch ein viel größeres. Denn sie ist nicht nur an Shell Nigeria zu mindestens 50 Prozent beteiligt, sondern auch an allen anderen Töchtern der Ölkonzerne, die im Delta operieren. Wenn diese Regierung wollte, dann könnte sie die Firmen zwingen, bei der Ölförderung entsprechende Umweltstandards einzuhalten. Und wenn diese Regierung eine bessere wäre, dann wäre auch Schluss mit dieser furchtbaren Korruption, die Millionen und Abermillionen Dollar verschlingt."

Und vielleicht müsste dann auch Bauer Lucky Amobi nicht mehr jeden Tag barfuß in seinem Feld stehen - und den Ölschlamm wegschaufeln, der nebenan aus der alten Pipeline ausläuft - direkt auf sein Gemüse.
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