„Vergebung ist wie Hakle feucht“

Von Herbert A. Gornik |
Geglückte kirchliche Rede von der Kanzel kann treffen, verblüffen und trösten. Sie kann auch ins Auge gehen. Am besten hält man es mit der Regel „Kurz, klar und bildhaft reden!“ Oder wie Luther es sagte: „Tritt fest auf. Mach's Maul auf. Hör bald auf!“
Wie muss die kirchliche Sprache beschaffen sein, damit sie die Menschen erreicht? Ich kann eine solche Ein-Millionen-Euro-Frage nur stellen in dem Bewusstsein, lediglich mit Cents antworten zu können. Wie muss die christliche Rede sein, damit sie das Herz wärmt, die Wut kühlt und das Leben wie unter dem Regenbogen Gottes wandern lässt? Bildlich sicher, bildhaft wie zum Beispiel:

„Der Herr ist mein Hirte.“

oder:

„Wie ein Hirsch nach frischem Wasser, so schreit meine Seele nach Dir.“

Ob jemand seine „Hände in Unschuld wäscht“ oder „aus seinem Herzen keine Mördergrube macht“ – wir wissen, fühlen und denken was gemeint ist. Denn aus der Forschung, wie Sätze wirken, erfahren wir: Bilder und bildhafte Formulierungen werden um siebenmal besser verstanden als nur begriffliche Erklärungen. Sie werden ebenso besser behalten und sind viel hilfreicher für die Reflexion des persönlichen Erlebens.

„Kurz, klar und bildhaft reden!“, "

was Joseph Pulitzer als Schreibregel auf den Punkt brachte, gilt auch für die kirchliche Rede. Oder was Luther mit seinem rhetorischen Dreisprung so ausdrückte:

" „Tritt fest auf. Mach`s Maul auf. Hör bald auf!“

Verzichten wir mal einen Monat lang auf Dass-Sätze in der Predigt. Sagen wir nicht:

„Ich glaube fest, dass Jesus auferstanden ist.“

Denn damit sagen wir das Wesentliche, die Hauptsache (Die Sache Jesu geht weiter) an zweiter Stelle und in einem untergeordneten Satz, einem Nebensatz, statt in einem Hauptsatz:

„Jesus ist auferstanden. Das ist mein fester Glaube.“

Der Engel in der Weihnachtsgeschichte hat auch nicht gesagt:

„Ich verkündige Euch, dass eine große Freude da ist, die darin besteht, dass der Heiland geboren ist.“

Nein, Hauptsachen müssen sprachlich freigestellt werden:

„Denn siehe, ich verkündige Euch große Freude: Euch ist heute der Heiland geboren.“

Es gibt sie noch, die schönen Worte – dann predigen und reden wir christlich doch in den bildlichen Formulierungen von damals. Heißt das: nichts ändern, nichts Neues erfinden? So einfach geht es nicht. Die Bibel ist kein verstaubtes Museum, die handelnden Personen sind keine Mumien und jede Zeit und jede Kultur muss sich die biblische Sprache neu aneignen, muss sie vergegenwärtigen und in ihre jeweilige Kultur übertragen.

„Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben.“

Das ist ein Klassiker, aber wer in Alaska lebt, kennt keinen Weinstock und wer in Indonesien in islamisch-alkoholfreier Umgebung lebt, mag so recht keinen. Der darf dann sagen:

„Ich bin der Mangobaum, ihr seid die Früchte.“

Oder:

„Ich bin der Wal. Ihr seid der Tran.“

Die Segensformel bei der Hochzeit

„Möge der Herrgott immer seine schützende Hand ü b e r euch halten“

darf bei Hochseilartisten schon mal umformuliert werden:

„Möge der Herrgott immer seine schützende Hand u n t e r euch halten. "

Kirchliche Rede ist bisweilen unverständlich, weil sie, wie man das in Glaubenszirkeln nennt, „kanaanäisch“ redet. Solche formelhaften, sinnentleerten, trockenen Formulierungen kennen Sie alle. Machen Sie einmal die Probe aufs Exempel und übersetzen Sie die folgenden Formeln in Ihre heutige Sprache, in das heutige Umgangsdeutsch, ohne den geistlichen Gehalt zu verkleinern: „Vom Ruf Gottes erreicht“ / „Auf dem Boden der Schrift das Evangelium verkünden“ / „Mit Lobpreis und Anbetung vor seinen Altar“ / „Ich habe mich bekehrt“ / „Durch Sündenerkenntnis zur Buße gekommen“ / „Rein- gewaschen im Blut des Lammes“ / „Den Sühnetod Jesu annehmen“ / „Er gab sich zum Opfer für mich“ / „Eine tiefe Heilsgewissheit“ / „Jesus nachfolgen und Gottes Führung vertrauen“ / „Das Wort aussähen und die Früchte des Geistes ernten“ / „Eingebaut als lebendiger Stein in seinen Tempel“ / „Im Glauben zur Heiligung hinan wachsen“ / „Eingeladen zum Tisch des Herrn“.

Wenn wir christliche Begriffe vergegenwärtigen wollen, müssen wir uns ebenso vor Trivialisierungen hüten wie vor Denkverboten. Nicht alles, was modern klingt, ist auch substanziell:

" „Wenn Du bereust, drückt Gott die Delete-Taste!“ „Jeder braucht mal eine Escape-Taste!“

Manche halten alles für möglich wie die „Toyota-Christen“. Das sind Die-alles-schön-alles-gut-alles-schick-Finder:

„Wenn das deine Meinung ist, ist es doch gut!“ „Muslime im Pfarrhaus ist doch geil!“ „Find ich gut, wenn die Pfarrerin einen Hindu heiratet!“ „Wir haben doch alle den gleichen Gott!“

Genauso inhaltlich verkümmert und kurios kommen „Die-Immer-dankbaren“ daher. Es gibt in kirchlicher Rede eine Inflation der Dankbarkeit:

„Ich habe erleben dürfen“ und „ich durfte erfahren“: „Ich bin dankbar für dieses Taxi, dass der Herr uns geschickt hat.“ „Ich bin sehr dankbar für den Dienst, den Sie Herr Klempner, an meinem Siphon getan haben.“

Sprachlich entwertet wird die kirchliche Rede oft durch eine spirituelle Überhöhung von Alltäglichkeiten. Immer ist alles irgendwie geführt und Gott gewollt. „Die-frisch-Bekehrten- und-ständig-darüber-reden-müssenden“ sind anstrengend:

„Der Herr hat es wieder so wunderbar gefügt, dass ich zur grünen Jacke noch eine gelbe Hose gefunden habe.“

Genauso anstrengend sind die ständigen „dogmatischen Richtigsteller“:

„Es heißt, ‘Ich glaube an den heiligen Geist’, nicht an den ‘windigen’ Geist.“ „Wir müssen auch bei der Frage, ob Christen tanzen sollten, den eschatologischen Vorbehalt einbeziehen.“

Auf der Suche nach griffigen neuen Bildern griff schon so mancher daneben. In einer katholischen Morgenandacht textete ein Theologe:

„Die Beichte ist wie Hakle feucht. Sie beseitigt nachhaltige Verschmutzungen im seelischen Glaubensbereich.“

Ein evangelischer Mitbruder wollte die Psalmen-Sprache aktualisieren und nannte den guten Hirten:

„Der Herr ist mein Systemadministrator. Mir wird nichts abstürzen.“

Ein anderer wollte Jesus solidarisch mit den vernichteten jüdischen Glaubensbrüdern,

„lieben bis zur Vergasung.“

Auch ein muslimischer Texter vor dem Herrn hatte die Haltung verinnerlicht:

„Wer nicht auffällt, fällt durch“, "

und griff für das geistliche „Wort zum Tage“ tief in die Bildertrickkiste. Er ließ Gott durch einen Vogelschiss sprechen: Die rote Soße der verbotenerweise gekauften und auf einem Tisch abgestellten Currywurst fand er, als er mit dem Besteck kam,

" „grün-gelb verziert“: „Ein Vogel hatte etwas unter sich gelassen. Da wusste ich – Allah wollte mir ein Zeichen geben.“

Geglückte kirchliche Rede betrifft mich, sie verblüfft mich, sie tröstet mich. Bei der Wortwahl sollen sich Menschen geachtet fühlen und verstanden wissen. Große zeitgenössische Prediger wie Traugott Giesen in Keitum auf Sylt, Jörg Zink in Stuttgart oder Rudolf Schulz in Köln wussten und wissen das. In Bildern denken und predigen – das ist immer wahrhaft subversiv und revolutionär:

„Gottes Regenbogen hat einen Trauerrand“. "

Gegen jeden Personenkult wendet sich ein Bild wie:

" „Vor Gott stehen wir alle in der gleichen Reihe“. "

Systemkritisch und herrschaftskritisch ist die Formulierung:

" „Nur eine Ameise hält das Blätterdach des Waldes für das Universum.“

Im Bewusstsein, dass wir uns hier immer nur mit dem vorletzten, nie mit den letzten Dingen beschäftigen können:

„Die Sterne leuchten, auch wenn wir sie nicht sehen.“

Wenn das so klar ist, warum werden denn nicht mehr Bilder verwendet? Starke Bilder galten als oberflächlich und einfach – durch den konservativen Pietismus besetzt.

„Niemand kann tiefer fallen als in die geöffnete Hand Gottes“ (nach Arno Pötzsch) "

und

" „Gott schreibt selbst auf krummen Linien gerade“

– das war in vielen aufgeklärten Ohren Hohn angesichts der Ferne, der Unnahbarkeit, der Unerkennbarkeit und Fremdartigkeit Gottes. Mit dem Pietismus wurde auch sein Anliegen, die persönliche Gottesbeziehung, an den Rand gedrückt. Und mit beiden wurde auch die christliche Mystik in die Tonne getreten mit ihrem Anliegen, sich dem fernen Gott mit seelischen Bildern zu nähern. Nun steht eine Neuentdeckung der Mystik unter dem Begriff „Spiritualität“ an – also spirituelle Bilder finden, die mehr ausdrücken als den schieren Begriff. Und es steht eine Rehabilitierung des Pietismus unter dem Begriff „persönliche Verantwortung“ an – also Beziehung stiftende Bilder finden, die uns berühren:

„Gottes Hand ist wie ein Brutkasten, in dem menschliches Leben nachreifen kann.“

Als Trostbild für das unsägliche Leid beim Tod eines Säuglings, auf dem ja auch die Verheißung einer „Fülle des Lebens“ liegt. Keine Angst vor Patch-Work-Religion:

„Mit einem richtigen Gebet bist du nie in der falschen Kirche.“

Und kirchenkritisch:

„Eine Kirche soll Gottes Wohnzimmer, nicht sein Museum sein.“

Es verfügt nicht jeder über die rhetorische Kraft eines Walter Jens, aber orientieren können wir uns an ihm, wenn es um eine kleine Vision für unser Leben geht. Geglückte Rede betrifft mich, sie verblüfft mich, sie tröstet mich:

„Wäre es denn wirklich ein Gewinn ..., ein Gewinn für den Menschen, wenn er unsterblich wäre, statt — wie bald! — zu vergehen und plötzlich dahin zu müssen? Wäre es ein Gewinn für ihn: nicht in der Zeit zu sein, sondern unvergänglich wie – vielleicht – ein Stein oder ein ferner Stern? Liegt nicht gerade in der Vergänglichkeit, und vor allem, im Wissen darum, seine ihn auszeichnende unvergleichliche Kraft?“

Solche geglückte christliche Rede ist stimmig, auch wenn wir nicht wissen können, ob es stimmt, sondern glauben dürfen: Es stimmt.

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