Vergangenheitsbewältigung auf Spanisch
Lange Zeit nach Francos Tod lag über den Verbrechen des Regimes ein Mantel des Schweigens. Viele Spanier glaubten, ein Blick in die Vergangenheit werde den Aufbau der Demokratie gefährden. Erst in den letzten Jahren wurden breitere Debatten zur Vergangenheitsbewältigung geführt. Doch noch immer feiern einige Spanier Franco als nationalen Helden.
Sein letzter öffentlicher Auftritt fand Anfang Oktober 1975 in Madrid statt.
Mit brüchiger Stimme umriss er noch einmal die großen Gefahren, gegen die Spanien kämpfen müsse: von der Verschwörung linker Freimaurer, von Kommunisten und Terroristen handelte Francos Botschaft. Wie überlebt diese Obsessionen inzwischen waren, hat er vermutlich selbst gewusst: dem Diktator liefen Tränen übers Gesicht. Einige Wochen später, am 20. November, hatte die lange Agonie Francos, die auch die Agonie seines Systems war, ihr Ende gefunden.
Das Volk fand seine Sprache schnell wieder. Längst war Francos verschrobenes Gesellschaftsmodell aus Nationalkatholizismus, Syndikalismus und tönerner Propaganda zu einer schlaffen Fessel geworden, die mit dem Tod des Staatschefs einfach abgefallen war. Überaus zügig bildeten oder reorganisierten sich politische Parteien, manche, wie die Kommunistische Partei, tauchten aus dem Untergrund auf. Die konstitutionelle Monarchie unter Juan Carlos I. verabschiedete Ende 1978 ihre bis heute gültige Verfassung. Der Preis für dieses Tempo war hoch: Über lange Jahre hinweg war das öffentliche Gespräch über Franco, über den Bürgerkrieg, über die Verbrechen – und die Verbrecher – des Regimes ein Tabu.
Wie fragil die frische Demokratie war, zeigte der Putschversuch rechter Militärs am 23. Februar 1981: Schießend erstürmten sie das Parlament, der Ausnahmezustand war vorbereitet, in Valencia rollten bereits Panzer durch die Stadt. Erst die klare Absage von König Juan Carlos an die Putschisten erzwang deren Umkehr. Aber für weitere Jahre war die Angst gesät, es könnte besser sein, über die dunklen Seiten des Franquismus zu schweigen. Danach kamen acht Jahre Regierungszeit der konservativen Volkspartei, die sich nicht allzu interessiert zeigte, die Franco-Zeit kritisch aufzuarbeiten. Der Schriftsteller und heutige Botschafter Spaniens bei der UNESCO, José María Ridao,
fasste die restaurative Atmosphäre am Ende jener Jahre in einer zugespitzten Formulierung zusammen.
José María Ridao: "Wir sprechen immer häufiger über die Rekonstruktion der Erinnerung, während in den letzten Jahren nur eines geschehen ist: Die politische Macht in Spanien hat ihre ganze Unterstützung einer Geschichtsinterpretation gewidmet, die identisch ist mit der, die während der Franco-Zeit gültig war. "
Aber noch in jenen Jahren begann ein Journalist, diese verdrängte Seite der Geschichte – im Wortsinn – auszugraben. Emilio Silva suchte die Gebeine seines Großvaters, der 1936 zusammen mit anderen Franco-Gegnern im Nordwesten Spaniens erschossen und verscharrt worden war, um sie in einem würdigen Grab zu bestatten.
Emilio Silva: "Wir begannen am 28. Oktober 2000 mit einer Gruppe von Archäologen und Forensikern, das Massengrab zu öffnen. Tatsächlich fanden wir die Überreste von dreizehn Körpern. Meine eigentliche Absicht war, meinen Großvater identifizieren zu lassen und seine sterblichen Überreste dann neben meiner Großmutter zu bestatten. Aber noch während der Arbeiten kamen Leute aus der Gegend, um uns die Geschichten ihrer Familien zu erzählen. Es waren Geschichten, die meiner sehr ähnelten. Wir beschlossen dann, uns zu organisieren, um auch diesen Leuten zu helfen, die sterblichen Überreste ihrer Angehörigen zu finden. "
Seitdem hat der "Verein zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" fast dreißig Grabstellen in praktisch allen Landesteilen Spaniens geöffnet und die dort Verscharrten per DNA-Analyse identifiziert, auf eigene Initiative und auf eigene Rechnung. Seit im März 2004 eine sozialistische Minderheitsregierung in Spanien regiert, bessern sich die Aussichten für die ehemaligen Opfer des Regimes und deren Nachfahren: Eine interministerielle Kommission wurde eingesetzt, die eine juristische und moralische Rehabilitierung der Franco-Opfer in die Wege leiten soll. Derweil bleibt Spaniens Rechte nicht untätig.
Franco hat nicht die Demokratie, sondern die Revolution besiegt, sagt der revisionistische Publizist Pío Moa, der sich vom Linksextremen zum Apologeten Francos gewandelt hat. Franco hat Spanien vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt, der eine fürchterliche Katastrophe für das Land bedeutet hätte. Er hat Spanien als ein wirtschaftlich aufstrebendes und vor allem als ein politisch gemäßigtes Land hinterlassen. Das hat den Übergang zur Demokratie ermöglicht. Es war der Reformer-Flügel des Franquismus, der diesen Übergang getragen hat. Und Franco hat die längste Friedensperiode eingeleitet, die Spanien in den vergangenen zwei Jahrhunderten hatte.
Moa und seinesgleichen argumentieren mit der Spekulation, die Spanische Republik wäre Stalin in die Hände gefallen, Francos Putsch habe das Land davor bewahrt. Keines seiner Argumente ist neu – schon unter Franco wurde selbstverständlich versucht, das Wirken des Diktators auf diese Weise ins rechte Licht zu setzen. Am Verlauf der historischen Tatsachen ändern solche Argumente allerdings wenig, auch wenn sie sich derzeit gut verkaufen. Mit seinem erfolgreichsten Buch, "Die Mythen des Bürgerkriegs", erzielte der Autor eine Auflage von bisher fast zweihunderttausend Exemplaren.
Mit brüchiger Stimme umriss er noch einmal die großen Gefahren, gegen die Spanien kämpfen müsse: von der Verschwörung linker Freimaurer, von Kommunisten und Terroristen handelte Francos Botschaft. Wie überlebt diese Obsessionen inzwischen waren, hat er vermutlich selbst gewusst: dem Diktator liefen Tränen übers Gesicht. Einige Wochen später, am 20. November, hatte die lange Agonie Francos, die auch die Agonie seines Systems war, ihr Ende gefunden.
Das Volk fand seine Sprache schnell wieder. Längst war Francos verschrobenes Gesellschaftsmodell aus Nationalkatholizismus, Syndikalismus und tönerner Propaganda zu einer schlaffen Fessel geworden, die mit dem Tod des Staatschefs einfach abgefallen war. Überaus zügig bildeten oder reorganisierten sich politische Parteien, manche, wie die Kommunistische Partei, tauchten aus dem Untergrund auf. Die konstitutionelle Monarchie unter Juan Carlos I. verabschiedete Ende 1978 ihre bis heute gültige Verfassung. Der Preis für dieses Tempo war hoch: Über lange Jahre hinweg war das öffentliche Gespräch über Franco, über den Bürgerkrieg, über die Verbrechen – und die Verbrecher – des Regimes ein Tabu.
Wie fragil die frische Demokratie war, zeigte der Putschversuch rechter Militärs am 23. Februar 1981: Schießend erstürmten sie das Parlament, der Ausnahmezustand war vorbereitet, in Valencia rollten bereits Panzer durch die Stadt. Erst die klare Absage von König Juan Carlos an die Putschisten erzwang deren Umkehr. Aber für weitere Jahre war die Angst gesät, es könnte besser sein, über die dunklen Seiten des Franquismus zu schweigen. Danach kamen acht Jahre Regierungszeit der konservativen Volkspartei, die sich nicht allzu interessiert zeigte, die Franco-Zeit kritisch aufzuarbeiten. Der Schriftsteller und heutige Botschafter Spaniens bei der UNESCO, José María Ridao,
fasste die restaurative Atmosphäre am Ende jener Jahre in einer zugespitzten Formulierung zusammen.
José María Ridao: "Wir sprechen immer häufiger über die Rekonstruktion der Erinnerung, während in den letzten Jahren nur eines geschehen ist: Die politische Macht in Spanien hat ihre ganze Unterstützung einer Geschichtsinterpretation gewidmet, die identisch ist mit der, die während der Franco-Zeit gültig war. "
Aber noch in jenen Jahren begann ein Journalist, diese verdrängte Seite der Geschichte – im Wortsinn – auszugraben. Emilio Silva suchte die Gebeine seines Großvaters, der 1936 zusammen mit anderen Franco-Gegnern im Nordwesten Spaniens erschossen und verscharrt worden war, um sie in einem würdigen Grab zu bestatten.
Emilio Silva: "Wir begannen am 28. Oktober 2000 mit einer Gruppe von Archäologen und Forensikern, das Massengrab zu öffnen. Tatsächlich fanden wir die Überreste von dreizehn Körpern. Meine eigentliche Absicht war, meinen Großvater identifizieren zu lassen und seine sterblichen Überreste dann neben meiner Großmutter zu bestatten. Aber noch während der Arbeiten kamen Leute aus der Gegend, um uns die Geschichten ihrer Familien zu erzählen. Es waren Geschichten, die meiner sehr ähnelten. Wir beschlossen dann, uns zu organisieren, um auch diesen Leuten zu helfen, die sterblichen Überreste ihrer Angehörigen zu finden. "
Seitdem hat der "Verein zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" fast dreißig Grabstellen in praktisch allen Landesteilen Spaniens geöffnet und die dort Verscharrten per DNA-Analyse identifiziert, auf eigene Initiative und auf eigene Rechnung. Seit im März 2004 eine sozialistische Minderheitsregierung in Spanien regiert, bessern sich die Aussichten für die ehemaligen Opfer des Regimes und deren Nachfahren: Eine interministerielle Kommission wurde eingesetzt, die eine juristische und moralische Rehabilitierung der Franco-Opfer in die Wege leiten soll. Derweil bleibt Spaniens Rechte nicht untätig.
Franco hat nicht die Demokratie, sondern die Revolution besiegt, sagt der revisionistische Publizist Pío Moa, der sich vom Linksextremen zum Apologeten Francos gewandelt hat. Franco hat Spanien vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt, der eine fürchterliche Katastrophe für das Land bedeutet hätte. Er hat Spanien als ein wirtschaftlich aufstrebendes und vor allem als ein politisch gemäßigtes Land hinterlassen. Das hat den Übergang zur Demokratie ermöglicht. Es war der Reformer-Flügel des Franquismus, der diesen Übergang getragen hat. Und Franco hat die längste Friedensperiode eingeleitet, die Spanien in den vergangenen zwei Jahrhunderten hatte.
Moa und seinesgleichen argumentieren mit der Spekulation, die Spanische Republik wäre Stalin in die Hände gefallen, Francos Putsch habe das Land davor bewahrt. Keines seiner Argumente ist neu – schon unter Franco wurde selbstverständlich versucht, das Wirken des Diktators auf diese Weise ins rechte Licht zu setzen. Am Verlauf der historischen Tatsachen ändern solche Argumente allerdings wenig, auch wenn sie sich derzeit gut verkaufen. Mit seinem erfolgreichsten Buch, "Die Mythen des Bürgerkriegs", erzielte der Autor eine Auflage von bisher fast zweihunderttausend Exemplaren.