Verführung zum Konsum

So kurz vor dem Jahreswechsel ein paar entscheidende Fragen: Sind Sie ideologisch gewappnet für 2010? Haben Sie das passende Rüstzeug für ein weiteres Krisenjahr? Sind Sie auf der Höhe der Zeit, die eine kapitalistische, von Wettbewerb und Konkurrenzdruck bestimmte ist? Anders gefragt: Haben Sie ein Konzept, wie Sie sich, Ihre Ideen und Ihre Arbeitskraft im nächsten Jahr verkaufen wollen?
Falls nicht, dann gehen Sie bei Bobby Clark in die Schule. Der junge Mann ist die Hauptfigur von Clancy Martins Schelmenroman. Sein Beruf: Schmuckverkäufer. Sein Ziel: Möglichst vielen Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen und dabei möglichst wenig zu investieren.

Von diesem Zauberer der Verführung durch Konsum kann man einiges lernen: Wie man gefälschte Rolex-Uhren vertickt; wie man überteuerte Colliers losschlägt; wie man am Telefon geprellte Kunden hinhält und ihnen auch noch das Gefühl gibt, an ihrer Misere selbst schuld zu sein.

Vor allem aber begreift man bei der Lektüre dieses rasanten Erzähldebüts, wie weit man das Verwertungsdenken treiben kann: "Man darf sich nie dafür schämen, dass man ein Verkäufer ist", sagt Jim, der Bruder des Helden, selbst ein begnadeter Händler. "Denken Sie mal an eine Mutter, die ihrem Kind vom Weihnachtsmann erzählt. Sie lügt nicht. Das ist Verkaufen!"

Wer sich gruselt vor so viel merkantiler Abgebrühtheit, der kommt dennoch bei diesem Buch auf seine Kosten (- um mal im Sprachbild zu bleiben). Martin balanciert nämlich seine Schilderungen vom korrupten Business und schnellen Geld mit einer komplexen Beziehungsdramatik aus. Da gibt es eine vertrackte Dreiecksbeziehung zwischen den beiden Schmuckhändlern und Lisa, in der Drogen und die Gier nach Geld eine fatale Rolle spielen. Es gibt das Liebesabenteuer der sogenannten Polackin, einer gewaltbereiten Uhrenspezialistin, die sich auch von Gangstern nicht den Schneid abkaufen lässt.

Und dazu jede Menge kurioser Nebenfiguren - Dealer, Zuhälter, Schieber, aber auch Spiritisten und schmuckvernarrte Millionäre - die doch alle ein Programm verfolgen: die Nachfrage zu steigern und Mehrwert zu erzeugen.

Martin hat seine eigene Biografie in diesen Text hineingewoben: Er war selbst Schmuckverkäufer, bevor er Philosophieprofessor wurde. Heute forscht er über Nietzsche, das passt insofern, als ein nihilistischer Zug dieses Buch durchweht. Metaphysische Werte sind obsolet in dieser Verkäuferwelt, Gott ist durch den Mammon, Ethik durch Cash ersetzt.

Aber dann ist da auch diese zweite Tonart, die "Verkaufen" zu einem untergründig wehmütigen Buch macht. Melancholisch sind diese Figuren gezeichnet, hinter all den Klunkern, dem Glamour des falschen Lebens glimmt doch ein schwacher Funke der Aufrichtigkeit und Sehnsucht nach einem richtigen Leben im falschen.

Gerade deshalb ist das Buch ein kleines Juwel.

Besprochen von Daniel Haas

Clancy Martin: Verkaufen
Aus dem Amerikanischen von Robin Detje
Berlin Verlag
317 Seiten, 19,90 Euro