Verführung in Warhols Factory

Von Uwe Friedrich · 10.12.2010
Der lakonische Witz, der bissige Humor in Igor Strawinskys neoklassizistischer Oper "The Rake’s Progress" interessieren den Regisseur Krzystof Warlikowski nicht einmal am Rande. Er will die wahren Charaktere hinter den schablonenhaften Figuren entdecken.
Und so verdirbt dieser Tom Rakewell ganz ernsthaft sich und andere. Dazu verlegt Warlikowski die Handlung gemeinsam mit seiner Bühnenbildnerin Malgorzata Szczesniak aus dem barocken London in das New York der 70er-Jahre.

Nick Shadow ist nun nicht mehr der personifizierte Teufel mit Pferdefuß, sondern Andy Warhol mit der charakteristischen weißen Perücke. Er verführt den naiven Tom Rakewell unter großer Anteilnahme der Fans allerlei Geschlechts in seiner Kunst-Factory. Tatsächlich wirkte der Pop-Art-Künstler ja äußerst manipulativ auf seine Gemeinde, auch nahm man dort es mit Sitte und Anstand nicht so genau in den wilden Vor-Aids-Zeiten. Bis zu Pause geht das Konzept sehr gut auf, verkörpert der vokal arg grobschlächtig polternde Gidon Saks den schmierigen Künstler mit zweifelhaften Absichten äußerst überzeugend. Der Tenor Florian Hoffmann singt mit etwas zu kurzer Höhe den noch unschuldigen Jugendlichen, der sich mit gerade erst angelernten obszönen Gesten in die Hose greift, und spielt sehr glaubwürdig den inneren Zwiespalt eines jungen Mannes, der zusehends Gefallen zu finden an den sexuellen Ausschweifungen der Großstadt.

Doch spätestens nach der Pause wird der polnische Regisseur Krzystof Warlikowski zum Opfer seiner persönlichen Obsessionen. Statt Tom und den Warhol-Teufel nun Siebdrucke und Suppendosen signieren zu lassen, bringt er im zweiten Teil eine verquaste Religionsebene hinzu, mit Abendmahl und blutendem Herzen. Wenn es schließlich ans Sterben geht und Nick Shadow nach einem Jahr und einem Tag auf dem Friedhof die Rechnung präsentiert, zeugt die tuntige Teufelskarikatur im Paillettenanzug allenfalls von schwulem Selbsthass, jedenfalls nicht vom Erkenntnisschrecken am Ende eines verpfuschten Lebens.

Zum Schluss geht auch Ingo Metzmacher am Pult der sehr elegant spielenden Staatskapelle die Luft aus. Im ersten Teil hatte er bei einem elegischen Grundton vor allem auf Präzision und Klangschönheit geachtet, half auch der für diese Rolle etwas zu schmalstimmigen Anna Prohaska immer wieder, die Ann Truelove vokal ordentlich über die Bühne zu bringen. Doch diese Partitur braucht deutlich mehr rhythmischen Biss und musikalischen Witz, um über drei Stunden zu tragen. Baba the Turk mit einem Countertenor zu besetzen statt mit einem Mezzosopran, erweist sich dabei als ebenso schlechte Idee wie die elektronische Verstärkung des Cembalos in der Friedhofsszene.

All das ist einem letztlich nicht zu Ende gedachten Regiekonzept geschuldet, wie es immer wieder vorkommt, wenn ein Regisseur seine Ideen wichtiger nimmt als die Partitur. So schleppt sich die moralisierende Geschichte recht mühsam dem Ende entgegen, ohne dass irgendjemand wirklich traurig wäre über Toms schreckliches Ende im Irrenhaus.