Verflogene Asche

Von Michael Braun |
Der Eyjafjallajökull bläst weiter Aschewolken in den Himmel, erstmals ist auch der Flughafen von Reykjavik selbst betroffen und wurde geschlossen. Denn der Wind hat gedreht, weht die Aschewolken nun nach Westen.
In Europa hat sich der Flugverkehr wieder normalisiert. Es gibt Zeichen auch der ökonomischen Entspannung: Nachtflugverbote und sonntägliche Fahrverbote für Lastwagen sind gelockert, liegengebliebene Waren können so schneller bei den Empfängern sein, Opel hat in Rüsselsheim die Produktion wieder aufgenommen, die wegen fehlender Teile aus Mexiko ausgesetzt war. Daimler und BMW wollen in Sonderschichten die Ausfälle wieder aufholen, der Flughafenbetreiber Fraport verzichtet auf Parkgebühren für die in Zeiten der Aschewolke notgedrungen abgestellten Flugzeuge. Das Verlangen der Fluggesellschaften, für die Verluste entschädigt zu werden, wird leiser.

Wenigstens das. Diese Forderungen hatten die Grenze zur Unverschämtheit schon überschritten. Denn der Luftraum gehört nicht den Fluggesellschaften. Wenn sie ihn nutzen dürfen, dann nur, wenn die Gefahren kalkulierbar sind. Die Risiken müssen sie zunächst selber tragen.

Die Schadensersatzforderungen waren allenfalls verständlich als taktisches Mittel, den Bundesverkehrsminister und seine europäischen Kollegen unter Druck zu setzen, valide Daten für die Gefahren vorzulegen, die von der Asche ausgingen. Dass es mehrere Tage dauerte, bis ein Forschungsflugzeug notdürftig mit Messgeräten ausgestattet war und zu einem Test- und Messflug starten konnte, wirft kein gutes Licht auf die Luftraumkontrolle. Das muss besser werden. Aber dass im Zweifel nicht die Sicherheit zählt, sondern das Geschäftsinteresse von Lufthansa und Co., das kann auch nicht sein. Die Fluggesellschaften müssen nun damit leben, sich diesem Verdacht ausgesetzt zu haben.

Das und die Suche nach europaweit einheitlichen Grenzwerten für Aschegefahren sind die vordergründigen Lehren aus den flugfreien Tagen. Andere gehen tiefer.

Was in Island passiert, hat zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts zu tun mit Industrialisierung und Globalisierung, nichts mit internationaler Arbeitsteilung, nichts mit der Reiselust der Menschen, nichts mit ihrer Neugier auf fremde Kulturen, die mit Hilfe des Flugzeugs massenweise befriedigt werden kann. Der Eyjafjallajökull wäre auch ohne all das ausgebrochen. Der Luftverkehr litt nicht unter den Folgen einer Krankheit, die er der Welt selber zugefügt hat.

Dennoch wird man wird angesichts der Machtentfaltung der Natur weiter über das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie nachdenken dürfen.

Der Luftverkehr hat einen Anteil von etwa einem Drittel am internationalen Warenaustausch, natürlich dem Wert, nicht dem Volumen nach. Denn Erz und andere Rohstoffe, Maschinen und Autos, alles, was groß und schwer ist, wird mit dem Schiff transportiert. Im Flugzeug werden Post, Luxusgüter und verderbliche Waren gefrachtet, allerdings auch eilige Ersatzteile, ohne die Maschinen ihre Arbeit nicht tun können. Das kann zumindest im Einzelfall zu erheblichen Ausfällen und Schäden führen. Andere Folgen sind lediglich ein Luxusproblem, etwa wenn plötzlich der Red Snapper aus Mexiko oder Indien nicht rechtzeitig in den Edelfischtheken Kontinentaleuropas liegt, weil der Flughafen Frankfurt gesperrt ist. Hier, mitten in Deutschland, und nicht mehr an der Küste, liegt mittlerweile der größte deutsche Fischereihafen, weil die meisten Fische, die wir essen und verarbeiten, nicht mehr direkt aus dem Wasser kommen, sondern erst einmal eine Zwischenstation im Flugzeug machen, bevor sie verzehrt werden.

Brauchen wir den Red Snapper? Und brauchen wir im Winter frische Blumen, die per Flugzeug aus Afrika hergebracht werden? Die Frage ist falsch gestellt. Richtiger wäre zu fragen: Bezahlen wir wirklich den angemessenen Preis dafür, das der Red Snapper bei uns auf dem Teller liegt oder die Kenia-Blumen im Dezember bei uns in der Vase blühen ?

Mit solchen Importen schaffen wir nicht nur Arbeit in anderen Ländern. Wir kaufen damit auch das so rare Wasser dort, das in den Produkten enthalten ist. Aber der Eindruck bleibt, dass wir nur die Blumen oder Böhnchen aus Kenia bezahlen, nicht das darin enthaltene Wasser, das oft illegal aus Grundwasserschichten abgepumpt wird, nicht den Regenwald, der illegalerweise für die Ackerflächen abgeholzt wird, nicht den Umweltverbrauch, der mit dem Transportmittel Flugzeug verbunden ist.

Mit der Aschewolke aus Island hat die Natur auf sich aufmerksam gemacht. Sie hat den Luftverkehr zum Erliegen gebracht. Das kann sich wiederholen. Die Aschewolke sollte Muße zum Nachdenken über die Prioritäten unserer Art zu wirtschaften erzeugen. Auch die Natur hat ihren Preis. Den müssen wir in den Produkten und Lebensweisen unseres Alltags berücksichtigen. Die Effizienz der Marktwirtschaft kann und muss bleiben. Am System müssen wir nicht zweifeln. Aber: Ehrlicher muss es werden.