Verflixter Schatten der Hitlerei

Von Peter Ambros · 17.07.2013
Drei Mal in der Woche tagt das Oberlandesgericht München im Prozess gegen Beate Zschäpe und einige Unterstützer der Gruppe "NSU". Es wird deutlich, dass die Mordserie früher hätte gestoppt werden können. Schriftsteller Peter Ambros wird ungeduldig und mahnt, Konsequenzen zu ziehen.
In München wird getagt und getagt, und man hört immer seltener davon, worüber. Das ist auch weiter kein Wunder, wenn man bedenkt, dass nach einer Entscheidung des Loses nicht der "Spiegel", sondern die "Brigitte" zur Berichterstattung über den NSU-Prozess akkreditiert werden durfte. Wäre diese ganze Geschichte nicht zum Heulen, müsste man darüber lachen.

Das Problem der Republik sind nicht die Morde an den Ausländern. Die geschehen immer wieder auch anderswo, hierzulande wahrscheinlich öfter, als wir ahnen, weil die Richter nur zu oft "keinen ausländerfeindlichen Hintergrund" für solche Straftaten erkennen, und so erfahren wir gar nichts davon.

"Keinen ausländerfeindlichen Hintergrund" erkannte auch die ermittelnde Polizei im Fall NSU. Sie bezichtigte vielmehr jahrelang die Opfer der Zugehörigkeit zur Mafia oder zum Drogenmilieu, teilweise hielt sie die Hinterbliebenen für die Mörder - all das, obwohl der Verfassungsschutz Bescheid wusste. Und hier beginnt das Problem der Republik.

Behörde ohne Aufgabe
Rein vom Begriff her ist der Verfassungsschutz eine Behörde ohne Aufgabe. Denn die Bundesrepublik Deutschland besitzt keine Verfassung. Die Eltern des Grundgesetzes sahen in den damals zu gründenden beiden Scheinrumpfstaaten ein Provisorium, für das sie den guten Namen "Verfassung" zu verschwenden nicht bereit waren.

Erst ein demokratisch gewähltes gesamtdeutsches Parlament sollte eines Tages eine wirkliche Verfassung für das deutsche Volk verabschieden. Helmut Kohl entschied anders, und die DDR war nun - wie einst Österreich - angeschlossen.

Da die Firma also sowieso schon unter einem falschen Namen läuft, können wir sie gleich schlicht "Die Firma" nennen und werden damit so ziemlich ihren Methoden gerecht, derer sie sich in den letzten Monaten vielfach bedient hat. Die parlamentarische Demokratie versuchte die offensichtlichen Übergriffe des Geheimdienstes zu kontrollieren, der Geheimdienst setzt sich zur Wehr.

Demokratisch reagieren
In einer solchen Situation pflegt es die Aufgabe einer demokratischen Regierung zu sein, demokratisch zu reagieren. Angela Merkel entschied anders. Es liegt mir fern, ihr böse Absichten zu unterstellen. Das wäre schon mehr, als was man mit leichter Feder auf die Schippe nehmen kann. Ich vermute hier eine krankhafte Neurose bei der Behandlung xenophober Serienmorde.

Das hatten wir schon einmal! Die wirklichen Täter des Holocaust, die SS-Bestien, sind nach 45 aus den KZs nach Hause zurückgekehrt und haben dort friedlich weiter gelebt, ohne den Namen zu ändern. Die deutsche Justiz machte kaum Anstalten, sie zu belangen. Anstatt die Täter zu bestrafen, wurde der Opfer gedacht. Wie am 23. Februar 2012 im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Irgendwie scheint der verflixte Schatten der Hitlerei dieses arme Deutschland immer wieder einzuholen.

Peter Ambros, Jahrgang 1948, studierte Soziologie, Geschichte und Judaistik in Bratislava, Jerusalem und Berlin, arbeitete als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin unter Heinz Galinski (1986-1998), als Direktor am Prager Jüdischen Museum (1999-2001) und anschließend als Referent des Oberbürgermeisters von Chemnitz und war dort stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde (bis 2012). Er ist Mitherausgeber der Reihe "Lesecher-Judentum in Mitteleuropa" des Thelem-Verlages. Jüngste Buchveröffentlichung: "Das wortreiche deutsche Schweigen" (Argument Verlag Hamburg, 2013)
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