Verfechter des lichtvollen Klangs

Von Holger Hettinger |
Otmar Suitner beherrschte alle Schattierungen des Leisespielens. Der gebürtige Innsbrucker ging 1960 in die DDR und wurde Chef der Staatskapelle Dresden, vier Jahre später wurde er Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und blieb es bis 1991. Nun ist er im Alter von 87 Jahren gestorben.
In den 60er-Jahren nannten ihn einige Musiker der Staatskapelle Berlin den "Piano-Beatle". Nicht, weil Otmar Suitner den Pilzköpfen aus Liverpool besonders nah gewesen wäre, sondern weil er das Orchester in seinem unverkennbaren Tiroler Singsang immer zum Leisespielen ermahnt hatte: "Piano, piano bitte!".

Wer alle Schattierungen des Leisespielens beherrscht, bewältigt auch das Laute souveräner, geht gezielter mit den Ausbrüchen um. Nun ist es nicht so, als hätten solche Vorstellungen ein besonders exotisches Klangbild hervorgebracht. Vielmehr hat das Zurückgenommen-Kultivierte Otmar Suitners Image als "kapellmeisterlicher Dirigent" geprägt.

In den 70er-, 80er-Jahren, zur Blütezeit von Suitners künstlerischer Potenz, galt das als Schimpfwort – mit dem Begriff "kapellmeisterlich" qualifizierte man das ab, was handwerklich gediegen daherkam, mit Betonung auf notenmäßiger Korrektheit, dafür aber mit wenig Inspiration.

Hört man sich heute, mit dem Abstand von gut drei Jahrzehnten, Suitners Deutungen von Strauss, Mozart und Wagner an, dann merkt man überdeutlich, dass der Vorwurf des "kapellmeisterlichen" nicht stimmen kann. Im Gegenteil: Anders als die glamourösen Interpretationen eines Herbert von Karajan klingen Suitners Interpretationen frisch und zeitlos.

Otmar Suitner: "Ich liebe natürlich Mozart, ich habe am Mozarteum studiert und bin Mozart sehr verbunden. Ich habe fast alles aufgenommen, jedenfalls fast alles."

Am Salzburger Mozarteum war Clemens Krauss sein Lehrer – jemand, der als Anwalt für die Musik von Richard Strauss gekämpft hat. 1942 trat er seine erste Stelle an: Er wurde Ballettrepetitor in seiner Heimatstadt Innsbruck. 15 Jahre später wurde er Generalmusikdirektor der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.

Doch schon drei Jahre danach, im Sommer 1960, hatte Suitner die Gelegenheit, vom rührigen Provinzorchester in Ludwigshafen als Chef zur Staatskapelle Dresden zu wechseln. Suitner sah darin weniger ein Engagement in der DDR, als vielmehr die Möglichkeit, an die Spitze des Orchesters zu kommen, das so viele Werke seines Idols Richard Strauss uraufgeführt hatte. Seine Tiroler Verwandtschaft hielt ihm vor, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben.

Vier Jahre lang arbeitete Suitner an der Semperoper – die alten Dresdner sprechen heute noch mit Hochachtung von ihm. 1964 war ein markantes Jahr in Suitners Karriere: Er debütierte in Bayreuth mit einem spektakulären "Tannhäuser", und er wechselte nach Ost-Berlin, als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden.

Als Politikum hat er diese Berufung nie empfunden – auch, weil er seinen eigenen Kopf immer durchsetzen konnte, Widerstände weglächelte und seinen Sturkopf hinter der charmanten Küss-die-Hand-Attitüde des gebürtigen Österreichers stets trefflich verstecken konnte. So setzte er gegen Widerstände Pfitzners "Palästrina" auf den Spielplan, machte um offizielle Parteiveranstaltungen einen Bogen und dirigierte die DDR-Nationalhymne genau ein einziges Mal – und zwar so schlecht, dass er eine Rüge von Walter Ulbricht kassierte. Und als Otmar Suitner zweimal mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet wurde, spendete er das Geld der katholischen Kirche.

"Prima la musica" – die Musik zuerst: Mit dieser Devise umschiffte Suitner alle kulturpolitischen Klippen, behielt seine künstlerische Autonomie. "Meine herrliche Kapelle" nannte Suitner sein Berliner Orchester, dessen Klangbild er bis zum Ende seines Engagements 1990 prägte. Die samtigen Streicher, der Hang zur tänzerischen Bewegtheit, die federnden Schlüsse – diese Markenzeichen, die Suitner der Staatskapelle beibrachte, lassen sich auf vielen Aufnahmen aus dieser Zeit nachvollziehen. Der "lichtvolle Klang" war sein Ideal, transparent, durchhörbar, warm.

""Ich bin doch Österreicher, daher bin ich für den südlichen Klang, zum Beispiel die Besten sind die Wiener Philharmoniker. Ich habe immer versucht, dass die Klänge rund und weich sind."

Dass er nach 1990 aufhören wollte, lag zum großen Teil an seiner Parkinson-Erkrankung, die seine Hände zittern ließ – für einen Dirigenten wie Suitner, der mit minimalem körperlichem Einsatz und mit subtilster Zeichengebung arbeitet, ein Schicksalsschlag. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass er sich zu Unrecht beschuldigt sah, wenn er in der Nachwendezeit als Handlanger der DDR-Kulturpolitik geschmäht wurde.

Es mag wie eine Ironie der Geschichte wirken, dass ausgerechnet ein so ergebener Diener musikalischer Kunstwerke wie Otmar Suitner zuletzt mit seinem Privatleben für Schlagzeilen sorgte. In einem Film seines Sohnes Igor Heizmann spricht Suitner über sein Doppelleben, seinen Spagat zwischen seinem Ost-Berliner Dasein an der Seite seiner Frau, und dem West-Berliner Leben mit seiner Geliebten und dem gemeinsamen Sohn.

Wie jetzt bekannt wurde, ist Otmar Suitner am vergangenen Freitag gestorben. Er wurde 87 Jahre alt.