Verfassungsschutz betreibt Aussteiger-Hotline für Islamisten

Bernd Wagner im Gespräch mit Alexandra Mangel · 31.05.2011
Der Extremismusexperte Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur bezweifelt den Erfolg des Aussteigerprogramms HATIF, welches der Verfassungsschutz für aussteigewillige Islamisten bereitstellt. Laut Wagner gibt es aber keine andere Behörde, die ein solches Projekt betreuen könnte.
Alexandra Mangel: Hatif, das heißt im Arabischen "Telefon", und so heißt auch die Aussteiger-Hotline, "Heraus aus Terrorismus und islamistischem Fanatismus", die der deutsche Verfassungsschutz vergangenen Juli eingerichtet hat. Von Anfang an gab es Kritik an dieser Zuständigkeit. Bei uns zu Gast ist jetzt Bernd Wagner. Er war früher Kriminalpolizist und er hat vor rund zehn Jahren EXIT gegründet, ein Aussteigerprogramm für Neonazis. Guten Morgen, Herr Wagner!

Bernd Wagner: Ja, einen recht schönen guten Morgen, Frau Mangel!

Mangel: Wie es mit dieser HATIF-Hotline läuft, darüber schweigt der Verfassungsschutz ja – welchen Eindruck haben Sie denn? Funktioniert dieses Programm?

Wagner: Ich denke, dass die Hotline keine Symphonie mit dem Paukenschlag zur Erweckung islamistischer Terroristen und Extremisten ist, gleichwohl denke ich, dass dieses Telefon auch trotzdem eine Möglichkeit bietet, hier Informationen zu gewinnen, aber auch in Krisenlagen, in denen sich einzelne Personen befinden könnten, aber auch deren Familienangehörige Entlastung zu schaffen.

Mangel: Es gab ja von Anfang an Kritik daran, dass nun ausgerechnet der deutsche Verfassungsschutz für diese Hotline zuständig ist, dass sich Islamisten also an die Stelle wenden sollen, von der sie vorher bekämpft worden sind. Ist das Ihrer Meinung nach ein Fehler dieses Konzepts?

Wagner: Es gibt ja gar keine anderen Behörden, bei denen man ein solches Projekt ansiedeln könnte. Stellen Sie sich vor, das würde bei der Polizei sein – die Polizei unterliegt dem Legalitätsprinzip, jede Information muss auf die strafrechtliche Waage gelegt werden, und insofern kann niemand dort Informationen abgeben, die in irgendeiner Weise zur strafrechtlichen Verfolgung beitragen würde. Andere Behörden sind sicherheitspolitisch überhaupt nicht auf die Problemlage eingestellt, sodass letztendlich, wenn man so was vorhat, nur der Nachrichtendienst, sprich das Bundesamt auf der Bundesebene eintreten kann.

Mangel: Aber sind Behörden überhaupt die geeigneten Stellen dafür? Ihr Programm EXIT funktioniert ja auch anders.

Wagner: Ja, es funktioniert leider auch nicht ohne den Staat. Es ist allerdings so, dass auch EXIT Deutschland recht autonom vom Staat daherkommt, gleichwohl bräuchten wir viel mehr Hilfe von staatlichen Behörden, und hier ist ein tiefer Graben, ein tiefer Bruch gesetzt, schon von der Konzeption, die vor allen Dingen der Staat verfolgt.

Mangel: Aber welche Erfahrungen haben Sie denn mit dem Verfassungsschutz als Anlaufstelle für extremistische Aussteiger gemacht, denn der Verfassungsschutz hat ja eine solche Hotline auch für Neonazis eingerichtet – wie erfolgreich läuft das?

Wagner: Wie das erfolgreich läuft, kann ich Ihnen nicht sagen, das müsste der Präsident des Bundesamtes oder sein Pressesprecher darstellen. Gleichwohl haben wir die Erfahrung, dass Neonazis, die beim Verfassungsschutz schon gewesen sind, durchaus diesen wieder verlassen und zu uns kommen, weil sie sich dort nicht gut aufgehoben fühlen.

Mangel: Woran liegt das, was heißt das konkret, nicht gut aufgehoben?

Wagner: Ja, sie haben – da berichten die Neonazis, die ehemaligen Neonazis darüber – immer das Gefühl, dass sie lediglich informationstechnisch ausvernommen werden, dass sie ihre Szenekenntnisse preisgeben und letztendlich bei der Integration in ein Leben nach der Szene, nach den Neonazigruppen dann kaum unterstützt werden. Auch die Sicherheit wird nicht in ausreichendem Maße gewährleistet, weil eine tiefe Zerklüftung auch beim Schutz von Betroffenen dort Platz greift aufgrund der verschiedenen Zuständigkeiten, der verschiedenen Hierarchieebenen und so weiter und so fort. Also es ist ein sehr schwieriges Unterfangen, sich mit dem Nachrichtendienst, aber auch im Bereich der polizeilichen Ausstiegshilfen zu bewegen.

Mangel: Und das dürften alles auch Probleme bei HATIF sein?

Wagner: Das kann man in Analogie so annehmen. Sie müssten sich bloß das Thema Zeugenschutz vorstellen, welche tiefgreifenden Probleme darin stecken, und ich glaube, es ist bei den Neonazis nicht gelöst und das dürfte auch bei den Islamisten ebenso der Fall sein.

Mangel: Wie hoch schätzen Sie denn überhaupt die Zahl der potenziellen Aussteiger aus der islamistischen Szene in Deutschland ein, denn Sie beschäftigen sich im Zentrum Demokratische Kultur ja seit Langem auch mit dem radikalen Islamismus?

Wagner: Ich denke, das ist zahlenmäßig eine Marginalie, es dürften nicht sehr viele sein. Wir haben selber einzelne Ansprachen aus diesem Spektrum, wir haben auch aus dem Bereich der Familien Ansprachen, wo Rat und Hilfe gesucht wird, aber es dürfte eher ein Hilfsinstrument sein, diese Hotline vorzuhalten, und es wird kein strategischer Faktor werden, um Entlastung im Sektor Terrorismus und islamistischer Extremismus zu sein.

Mangel: Wenn Sie das mal mit der Neonaziszene vergleichen, gibt es da andere Hindernisse, die ein Aussteiger aus der islamistischen Szene überwinden muss?

Wagner: Ein ganz großes Problem und Hindernis ist in dem Zusammenhang die Bindung an die Religion, das ist bei deutschen Neonazis nur sehr selten der Fall. Die meisten sind eher atheistisch orientiert oder haben Restbestände oder Kleinbestände von heidnisch-germanischen Orientierungen. Christen sind sehr wenig darunter nach meiner Erfahrung, währenddessen natürlich die Islamisten, wenn sie auch den politischen Islamismus verlassen, bleiben sie doch religiös. Sie bleiben Mohammedaner, und insofern muss natürlich Ausstiegsarbeit auch an diesen Faktor denken und auch eine Rückbindung in Moscheegemeinden suchen, sonst geht das alles gar nicht.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" über die Aussteiger-Hotline HATIF, die der deutsche Verfassungsschutz aussteigewilligen Islamisten anbietet. Zu Gast bei uns ist Bernd Wagner, er hat das Aussteigerprogramm EXIT für Neonazis gegründet. Herr Wagner, Großbritannien macht es ähnlich, wie Sie es eben schon angedeutet haben, es gibt ein Aussteigerprogramm für gewaltbereite Islamisten, das mit Mittlern arbeitet, die eine Verbindung zur Szene aufbauen. Welche Erfahrungen hat man da gemacht? Kann man da was von lernen?

Wagner: Ich denke, der britische Ansatz ist ein sehr passabler. Hier sollte man genau hinschauen und die kommunikativen Techniken sehr genau studieren. Hier lässt sich vieles auch nach Deutschland übertragen, das heißt natürlich, man muss eine tatsächlich funktionale Strategie des Ausstiegs wollen.

Mangel: Was heißt das?

Wagner: Sie müssen sich vorstellen, wenn jetzt eine Kontaktperson beispielsweise mit einem Ausstiegswilligen arbeitet, muss diese Kontaktperson natürlich auch Möglichkeiten haben, eine Stafette in Gang zu setzen, einen etappenhaften Ablauf sicherstellen, sonst geht das nicht. Und das ist in der Zerklüftung der Zuständigkeiten in Deutschland schlechterdings kaum möglich, währenddessen in Großbritannien hier offensichtlich klarere und schlankere und wirksamere Regelungen bestehen.

Mangel: Was für Mittler werden denn da eingesetzt?

Wagner: Da werden natürlich Leute eingesetzt, die Vertrauen auch aufbauen können, die sich in der Lebens- und der Geisteswelt der Betreffenden sehr gut auskennen, die die Problemlagen verstehen. Ohne solche Menschen, das ist auch bei uns im deutschen Nazitum auch so, geht das gar nicht. Die müssen wirklich was von dem Feld verstehen und können nicht nur karitativ vorgehen, sondern müssen sich tief in die Materie hineingearbeitet haben und das auch mental aufgreifen.

Mangel: Wie würden Sie denn jetzt auf der Grundlage Ihrer Erfahrungen bei EXIT, wenn man Sie bitten würde, ein Aussteigerprogramm für Islamisten zu entwickeln, was wäre da für Sie wichtig, wie würden Sie das aufbauen?

Wagner: Da würde ich den Behörden eine Absage erteilen. Wir helfen natürlich auch im Fall von islamistischen Problemen, aber ich würde so ein Programm nicht aufbauen, jedenfalls nicht im privaten beziehungsweise im bürgergesellschaftlichen Bereich, das oblasse ich also wirklich eindeutig dem Staat, weil keine Instrumente beim unkooperativen Verhalten des Staates helfen, und ich habe kein Zutrauen, dass die staatlichen Behörden sich in der Weise so öffnen würden, dass ein bürgergesellschaftlicher Ansatz hier greifen könnte.

Mangel: Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur, er hat das Neonazi-Aussteigerprogramm EXIT gegründet. Mit ihm haben wir über das Aussteigerprogramm HATIF des deutschen Verfassungsschutzes für aussteigewillige Islamisten gesprochen. Herr Wagner, danke schön fürs Gespräch!

Wagner: Ja, bitte schön!