Verfassungsrechtler: Großunternehmen entwickeln Sondermoral
Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim zeigt der Telekom-Skandal beispielhaft, wie Großunternehmen eine Sondermoral für sich geltend machen. Viele würde das Fortkommen ihres Unternehmens höher gewichten als rechtsstaatliche Regeln. Die Telekom habe sogar versucht, die Kontrolle an ihren eigenen Machenschaften auszuhebeln.
Joachim Scholl: Täglich weitet er sich aus, der Skandal um die Deutsche Telekom. Immer neue Enthüllungen kommen ans Licht, wie es auch bei früheren Affären dieser Kategorie üblich war. Denken wir an VW, an Siemens, Bestechung und Korruption, oder an den Discounter Lidl, der seine Mitarbeiter überwachen ließ. Jetzt der einstige Staatskonzern Telekom, die bestallte Hüterin des Fernmeldegeheimnisses, was dem Kasus seine besonders bittere Würze gibt.
Am Telefon begrüße ich jetzt Herbert von Arnim, Staatsrechtler, Jurist. An der Verwaltungsfachhochschule Speyer hat er sich bundesweites Renommee erworben mit vielen Publikationen und staatskritischen Büchern. Ich grüße Sie, Herr Professor von Arnim!
Hans Herbert von Arnim: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: In diesen Tagen strebt Ihr jüngstes Buch auf den deutschen Bestsellerlisten nach oben. "Die Deutschlandakte" heißt es im Untertitel. "Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun", das ist der Titel. Das Kapitel Telekom hätte Ihnen wohl noch einen I-Tüpfel geliefert. Bevor wir über die allgemeine Entwicklung dieser rechtsstaatlichen Moral in deutschen Chefetagen sprechen, wie bewerten Sie diesen aktuellen Fall Telekom, Herr von Arnim?
von Arnim: Ja, die Telekom ist ja nicht nur irgendein Unternehmen, sondern halb Deutschland hat diesem Unternehmen seine sensiblen Daten über Telefon und Handy und Internet anvertraut. Und dass eben dieses Unternehmen es nun damit nicht genau nimmt, das ist so etwas wie der Supergau des Bruchs der Privatsphäre und des Datenschutzes. Schlimmer hätte man sich das gar nicht vorstellen können.
Scholl: Nun haben wir eine ganze kriminelle Kette von Rechtsbrüchen in den letzten Jahren in den obersten Rängen der Wirtschaft. Was glauben Sie, hat sich dort eine Art aristokratischer Kaste gebildet, die an diese Punkte, die Sie jetzt auch gerade nennen, zum Beispiel bei der Telekom, dass man wirklich hier eine ganz besondere Verantwortung hat, dass hier gar nicht mehr dran gedacht wird, dass also rechtsstaatliche Prinzipien hier anscheinend weniger zählen?
von Arnim: Ja, man hat den Eindruck, dass sich da in der Spitze von Großunternehmen tatsächlich so etwas wie eine Sondermoral entwickelt hat, die die für alle Menschen geltenden allgemeinen, moralisch-ethischen Grundsätze nicht mehr so gewichtet, wie das eigentlich erforderlich ist. Die große wirtschaftliche Macht, die solche Unternehmensführer haben, es sind ja Gott sei Dank nicht alle, aber die jetzt in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen ist, ja, man hat den Eindruck, dass sie in aller Selbstherrlichkeit ihre eigenen Gesetze machen und das Wohl ihres Unternehmens bzw. ihr eigenes Wohl am Fortkommen und Erfolg höher gewichten als die rechtsstaatlichen Regeln, denen wir eigentlich alle unterworfen sein sollen.
Und das Problem ist ja nicht nur, dass man da versucht, die Regeln nicht einzuhalten, sondern auch die mangelnde Kontrolle in den Unternehmen, die eben diese Unternehmensführer auch immer weiter zu schwächen versuchen. Nehmen Sie die Betriebsräte, die sowohl von Siemens als auch von VW umarmt, das heißt bei VW mit Lustreisen bis hin zu Prostituierten korrumpiert worden sind, die Betriebsräte, die ja die Belange der Arbeitnehmer gegenüber dem Vorstand zu vertreten und die ihn insoweit zu kontrollieren haben.
Auch andere Kontrollorgane werden geschwächt. Nehmen Sie den Aufsichtsrat, der das zentrale Kontrollorgan von Großunternehmen ist. Ja, da besteht die missliche Regel, dass Vorstandsvorsitzende nach Schluss ihres Amtes nahtlos ...
Scholl: In den Aufsichtsrat gehen.
von Arnim: ... in den Vorsitz des Aufsichtsrats überwechseln. Und dann, wenn irgendwas Schlimmes rauskommt, das, was sie früher selbst pexiert haben, kontrollieren sollen. Ein Beispiel ist Heinrich von Pierer, der Vorstandsvorsitzende von Siemens war, dann in den Aufsichtsratsvorsitz überwechselte. Und als dann ab Ende 2006 gegen Siemens wegen riesiger Korruptionsfälle die Staatsanwaltschaft ermittelte, sollte er selbst das kontrollieren und aufdecken, was unter seiner eigenen Ägide passiert war. Das war nur ein Beispiel.
Scholl: Aber, Herr von Arnim, wie erklären Sie sich denn diese Entwicklung? Sie sagen: Sondermoral. Wie hat die sich gebildet, oder war sie schon immer da, nur haben wir es nicht gewusst?
von Arnim: Nun, es hat sich ganz allgemein in den letzten Jahrzehnten der Bundesrepublik eine Art Wertewandel ergeben. Früher hatte man mehr Gemeinsinn, mehr Pflicht- und Akzeptanzwerte. Das ist zurückgetreten, und jetzt haben wir immer mehr Individualismus, Selbstentfaltung. Das erfasst an sich alle Bereiche in der Republik. Aber bei den Wirtschaftsbossen mit ihrer großen Macht kann das leicht zur Selbstherrlichkeit führen, die dann die allgemeinen Regeln nicht mehr einhält.
Wir haben diese Entwicklung ja etwa auch im Sport. Auch dort ist eine Entwicklung hin zum Profitum zu beobachten, und das hat zu dem Auswuchs geführt, dass jetzt Regelverletzungen, etwa Schwalben machen oder die Notbremse ziehen, alles schwere Regelverletzungen, sogar im Training dieser Profis eingeübt wird. Das hängt damit zusammen, dass eben vom Erfolg in diesen Bereichen die ganze wirtschaftliche und berufliche Existenz abhängt.
Und diese Entwicklung schlägt aber auch in die Wirtschaft, auch in die Politik durch. Und in der Wirtschaft ergeben sich deswegen besondere Auswüchse, weil dort die Kontrollen relativ gering sind, die Kontrollen, die von den Spitzenfunktionären in der Wirtschaft ganz gezielt ausgeschaltet werden. Zwei Beispiele habe ich genannt.
Ein weiteres Beispiel, das direkt mit der Telekom zusammenhängt, ist der Versuch, den Aufsichtsrat zu bespitzeln, also das eigene Kontrollorgan, ist der Versuch, die Medien zu bespitzeln, also die öffentliche Kontrolle, die manchmal über Fehlentwicklungen, auch in Telekom berichtete, kaltzustellen. Da ist ganz generell der Versuch zu beobachten, die Kontrolle an den eigenen Machenschaften auszuhebeln.
Scholl: Telekom, Lidl und Co, über die Moral unserer Wirtschaftseliten unterhalten wir uns hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim. Herr von Arnim, nun erregen sich viele Gemüter schon lange über die hemmungslose Bereicherungsmentalität unserer Wirtschaftseliten. Sie haben es so unter dem soziologischen Terminus des immer stärkeren Individualismus gefasst. Aber diese Erregung gleitet an den Betreffenden ab wie Wasser von der Fettschicht. Der Rechtsbruch allerdings, das ist doch schon eine andere Qualität. Hier drohen Anklage, Gericht, Verurteilung. Trotzdem kommen die Verstöße allenthalben vor. Hat die rechtsstaatliche Sanktion gar kein Gewicht mehr?
von Arnim: Nun, wenn es wie hier rauskommt, dann ist die Karriere der Betreffenden zu Ende. Bei Zumwinkel, dem nun persönlich Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, haben wir das ja gesehen.
Bei VW musste Hartz, der große Hartz, der sogar den Sozialreformen unter Schröder den Namen gegeben hat, musste zurücktreten. Er kam zwar mit einer Bewährungsstrafe davon, ein Deal seiner Verteidigung mit Staatsanwaltschaft und Gerichten führte dazu, was eigentlich sehr überraschend war. Denn die Kleinen pflegt man zu hängen, aber die Großen lässt man offenbar laufen. Aber immerhin, seine Karriere ist zu Ende.
Die öffentlichen Kontrollen sind ja nicht zahnlos. Man muss nur ganz gezielt darauf beharren, dass die allgemeinen Gesetze gelten, die Rechtsstaatlichkeit gilt, und dass die auch für die Großkopfeten, für Wirtschaftsbosse, gelten. Deswegen versuchen die ja derartige Dinge auch unter Decke zu halten, weil sie wissen, wenn es rauskommt wie jetzt bei Telekom, dann gibt es doch scharfe Sanktionen, die sowohl dem Unternehmen als auch der verantwortlichen Führung sehr wehtun.
Scholl: Was bedeutet das eigentlich für unser Demokratieverständnis, für unser Bewusstsein auch von Verfassungstreue und von Rechtsstaat, wenn gerade die Spitzen der Gesellschaft, prominente Leute, reiche Leute, einflussreiche Leute, die eigentlich ein Vorbild sein sollen, sich so verhalten?
von Arnim: Ja, da muss man ergänzen, dass Derartiges ja nicht nur in der Wirtschaft zu beobachten ist, sondern auch in der Politik. Auch in den Parteien merken wir, wenn es rauskommt, oft, dass da eine Sondermoral besteht, dass die, die für die Parteien etwas pexieren, parteiintern sogar noch dafür belohnt werden.
Diese Sondermoral sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik, die hat eine geradezu zerstörerische Wirkung auf das Vertrauen der Menschen in Wirtschaft und Politik, diese beiden großen Säulen unserer sozialen Marktwirtschaft, unseres Rechtsstaats. Da muss ganz entschieden gegengesteuert werden ohne alle Rücksichten. Denn das kann auf Dauer das Staats- und Wirtschaftsverständnis unserer Bevölkerung unterlaufen.
Und auch das Gefühl, dass die Großen, wenn sie denn erwischt werden, mit Geldstrafen davonkommen, während man die Kleinen für ähnliche Delikte ins Gefängnis schickt, der klassische Satz sich hier bestätigt, die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Auch das ist etwas, was natürlich das Vertrauen der Menschen in unsere demokratische, unsere marktwirtschaftliche Gesellschaft zu unterminieren droht.
Scholl: Wobei man noch hinzufügen könnte, dass eben Geldstrafen Leute von dieser Vermögensklasse wirklich nicht besonders kratzt. Über die Moral unserer Wirtschaftseliten, das war Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler von der Verwaltungshochschule Speyer und Autor des Buches "Die Deutschlandakte - Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun", soeben im Bertelsmann Verlag erschienen. Herr von Arnim, herzlichen Dank für das Gespräch!
von Arnim: Ich bedanke mich, Herr Scholl!
Am Telefon begrüße ich jetzt Herbert von Arnim, Staatsrechtler, Jurist. An der Verwaltungsfachhochschule Speyer hat er sich bundesweites Renommee erworben mit vielen Publikationen und staatskritischen Büchern. Ich grüße Sie, Herr Professor von Arnim!
Hans Herbert von Arnim: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: In diesen Tagen strebt Ihr jüngstes Buch auf den deutschen Bestsellerlisten nach oben. "Die Deutschlandakte" heißt es im Untertitel. "Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun", das ist der Titel. Das Kapitel Telekom hätte Ihnen wohl noch einen I-Tüpfel geliefert. Bevor wir über die allgemeine Entwicklung dieser rechtsstaatlichen Moral in deutschen Chefetagen sprechen, wie bewerten Sie diesen aktuellen Fall Telekom, Herr von Arnim?
von Arnim: Ja, die Telekom ist ja nicht nur irgendein Unternehmen, sondern halb Deutschland hat diesem Unternehmen seine sensiblen Daten über Telefon und Handy und Internet anvertraut. Und dass eben dieses Unternehmen es nun damit nicht genau nimmt, das ist so etwas wie der Supergau des Bruchs der Privatsphäre und des Datenschutzes. Schlimmer hätte man sich das gar nicht vorstellen können.
Scholl: Nun haben wir eine ganze kriminelle Kette von Rechtsbrüchen in den letzten Jahren in den obersten Rängen der Wirtschaft. Was glauben Sie, hat sich dort eine Art aristokratischer Kaste gebildet, die an diese Punkte, die Sie jetzt auch gerade nennen, zum Beispiel bei der Telekom, dass man wirklich hier eine ganz besondere Verantwortung hat, dass hier gar nicht mehr dran gedacht wird, dass also rechtsstaatliche Prinzipien hier anscheinend weniger zählen?
von Arnim: Ja, man hat den Eindruck, dass sich da in der Spitze von Großunternehmen tatsächlich so etwas wie eine Sondermoral entwickelt hat, die die für alle Menschen geltenden allgemeinen, moralisch-ethischen Grundsätze nicht mehr so gewichtet, wie das eigentlich erforderlich ist. Die große wirtschaftliche Macht, die solche Unternehmensführer haben, es sind ja Gott sei Dank nicht alle, aber die jetzt in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen ist, ja, man hat den Eindruck, dass sie in aller Selbstherrlichkeit ihre eigenen Gesetze machen und das Wohl ihres Unternehmens bzw. ihr eigenes Wohl am Fortkommen und Erfolg höher gewichten als die rechtsstaatlichen Regeln, denen wir eigentlich alle unterworfen sein sollen.
Und das Problem ist ja nicht nur, dass man da versucht, die Regeln nicht einzuhalten, sondern auch die mangelnde Kontrolle in den Unternehmen, die eben diese Unternehmensführer auch immer weiter zu schwächen versuchen. Nehmen Sie die Betriebsräte, die sowohl von Siemens als auch von VW umarmt, das heißt bei VW mit Lustreisen bis hin zu Prostituierten korrumpiert worden sind, die Betriebsräte, die ja die Belange der Arbeitnehmer gegenüber dem Vorstand zu vertreten und die ihn insoweit zu kontrollieren haben.
Auch andere Kontrollorgane werden geschwächt. Nehmen Sie den Aufsichtsrat, der das zentrale Kontrollorgan von Großunternehmen ist. Ja, da besteht die missliche Regel, dass Vorstandsvorsitzende nach Schluss ihres Amtes nahtlos ...
Scholl: In den Aufsichtsrat gehen.
von Arnim: ... in den Vorsitz des Aufsichtsrats überwechseln. Und dann, wenn irgendwas Schlimmes rauskommt, das, was sie früher selbst pexiert haben, kontrollieren sollen. Ein Beispiel ist Heinrich von Pierer, der Vorstandsvorsitzende von Siemens war, dann in den Aufsichtsratsvorsitz überwechselte. Und als dann ab Ende 2006 gegen Siemens wegen riesiger Korruptionsfälle die Staatsanwaltschaft ermittelte, sollte er selbst das kontrollieren und aufdecken, was unter seiner eigenen Ägide passiert war. Das war nur ein Beispiel.
Scholl: Aber, Herr von Arnim, wie erklären Sie sich denn diese Entwicklung? Sie sagen: Sondermoral. Wie hat die sich gebildet, oder war sie schon immer da, nur haben wir es nicht gewusst?
von Arnim: Nun, es hat sich ganz allgemein in den letzten Jahrzehnten der Bundesrepublik eine Art Wertewandel ergeben. Früher hatte man mehr Gemeinsinn, mehr Pflicht- und Akzeptanzwerte. Das ist zurückgetreten, und jetzt haben wir immer mehr Individualismus, Selbstentfaltung. Das erfasst an sich alle Bereiche in der Republik. Aber bei den Wirtschaftsbossen mit ihrer großen Macht kann das leicht zur Selbstherrlichkeit führen, die dann die allgemeinen Regeln nicht mehr einhält.
Wir haben diese Entwicklung ja etwa auch im Sport. Auch dort ist eine Entwicklung hin zum Profitum zu beobachten, und das hat zu dem Auswuchs geführt, dass jetzt Regelverletzungen, etwa Schwalben machen oder die Notbremse ziehen, alles schwere Regelverletzungen, sogar im Training dieser Profis eingeübt wird. Das hängt damit zusammen, dass eben vom Erfolg in diesen Bereichen die ganze wirtschaftliche und berufliche Existenz abhängt.
Und diese Entwicklung schlägt aber auch in die Wirtschaft, auch in die Politik durch. Und in der Wirtschaft ergeben sich deswegen besondere Auswüchse, weil dort die Kontrollen relativ gering sind, die Kontrollen, die von den Spitzenfunktionären in der Wirtschaft ganz gezielt ausgeschaltet werden. Zwei Beispiele habe ich genannt.
Ein weiteres Beispiel, das direkt mit der Telekom zusammenhängt, ist der Versuch, den Aufsichtsrat zu bespitzeln, also das eigene Kontrollorgan, ist der Versuch, die Medien zu bespitzeln, also die öffentliche Kontrolle, die manchmal über Fehlentwicklungen, auch in Telekom berichtete, kaltzustellen. Da ist ganz generell der Versuch zu beobachten, die Kontrolle an den eigenen Machenschaften auszuhebeln.
Scholl: Telekom, Lidl und Co, über die Moral unserer Wirtschaftseliten unterhalten wir uns hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim. Herr von Arnim, nun erregen sich viele Gemüter schon lange über die hemmungslose Bereicherungsmentalität unserer Wirtschaftseliten. Sie haben es so unter dem soziologischen Terminus des immer stärkeren Individualismus gefasst. Aber diese Erregung gleitet an den Betreffenden ab wie Wasser von der Fettschicht. Der Rechtsbruch allerdings, das ist doch schon eine andere Qualität. Hier drohen Anklage, Gericht, Verurteilung. Trotzdem kommen die Verstöße allenthalben vor. Hat die rechtsstaatliche Sanktion gar kein Gewicht mehr?
von Arnim: Nun, wenn es wie hier rauskommt, dann ist die Karriere der Betreffenden zu Ende. Bei Zumwinkel, dem nun persönlich Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, haben wir das ja gesehen.
Bei VW musste Hartz, der große Hartz, der sogar den Sozialreformen unter Schröder den Namen gegeben hat, musste zurücktreten. Er kam zwar mit einer Bewährungsstrafe davon, ein Deal seiner Verteidigung mit Staatsanwaltschaft und Gerichten führte dazu, was eigentlich sehr überraschend war. Denn die Kleinen pflegt man zu hängen, aber die Großen lässt man offenbar laufen. Aber immerhin, seine Karriere ist zu Ende.
Die öffentlichen Kontrollen sind ja nicht zahnlos. Man muss nur ganz gezielt darauf beharren, dass die allgemeinen Gesetze gelten, die Rechtsstaatlichkeit gilt, und dass die auch für die Großkopfeten, für Wirtschaftsbosse, gelten. Deswegen versuchen die ja derartige Dinge auch unter Decke zu halten, weil sie wissen, wenn es rauskommt wie jetzt bei Telekom, dann gibt es doch scharfe Sanktionen, die sowohl dem Unternehmen als auch der verantwortlichen Führung sehr wehtun.
Scholl: Was bedeutet das eigentlich für unser Demokratieverständnis, für unser Bewusstsein auch von Verfassungstreue und von Rechtsstaat, wenn gerade die Spitzen der Gesellschaft, prominente Leute, reiche Leute, einflussreiche Leute, die eigentlich ein Vorbild sein sollen, sich so verhalten?
von Arnim: Ja, da muss man ergänzen, dass Derartiges ja nicht nur in der Wirtschaft zu beobachten ist, sondern auch in der Politik. Auch in den Parteien merken wir, wenn es rauskommt, oft, dass da eine Sondermoral besteht, dass die, die für die Parteien etwas pexieren, parteiintern sogar noch dafür belohnt werden.
Diese Sondermoral sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik, die hat eine geradezu zerstörerische Wirkung auf das Vertrauen der Menschen in Wirtschaft und Politik, diese beiden großen Säulen unserer sozialen Marktwirtschaft, unseres Rechtsstaats. Da muss ganz entschieden gegengesteuert werden ohne alle Rücksichten. Denn das kann auf Dauer das Staats- und Wirtschaftsverständnis unserer Bevölkerung unterlaufen.
Und auch das Gefühl, dass die Großen, wenn sie denn erwischt werden, mit Geldstrafen davonkommen, während man die Kleinen für ähnliche Delikte ins Gefängnis schickt, der klassische Satz sich hier bestätigt, die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen. Auch das ist etwas, was natürlich das Vertrauen der Menschen in unsere demokratische, unsere marktwirtschaftliche Gesellschaft zu unterminieren droht.
Scholl: Wobei man noch hinzufügen könnte, dass eben Geldstrafen Leute von dieser Vermögensklasse wirklich nicht besonders kratzt. Über die Moral unserer Wirtschaftseliten, das war Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler von der Verwaltungshochschule Speyer und Autor des Buches "Die Deutschlandakte - Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun", soeben im Bertelsmann Verlag erschienen. Herr von Arnim, herzlichen Dank für das Gespräch!
von Arnim: Ich bedanke mich, Herr Scholl!