Vereinzelt, verstreut, atomisiert

Dietmar Dath im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.01.2013
Dietmar Dath hält die Maker-Szene für "technisch ganz fantastisch". Bei Arbeitsverhältnissen jedoch, bei denen die Beschäftigten nicht mehr zusammen an einem Ort sind, seien "die Leute extrem leicht ausbeutbar und extrem leicht gegeneinander ausspielbar".
Dieter Kassel: Technisch ist das Ganze ohne Frage sehr spannend, aber wird es wirklich, wie grade gehört, die Welt verändern? Christiane Giesen berichtet.

Hintergrund-Beitrag von Christiane Giesen

Starke Worte grade von Chris Anderson, dem Autor des Buches "Makers – das Internet der Dinge". Werden aber die sogenannten Makers tatsächlich die Welt verändern, und zwar auch noch zum Besseren? Darüber sprechen wir jetzt mit Dietmar Dath, Schriftsteller, im vergangenen Jahr erschien zum Beispiel sein Roman "Pulsarnacht", und Journalist, er arbeitet für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Schönen guten Tag, Herr Dath.

Dietmar Dath: Guten Tag, hallo!

Kassel: Bevor wir darüber reden, wie sie aussehen könnte, diese neue industrielle Revolution, erst mal ganz grundsätzlich die Frage: Sehen Sie denn aufgrund dieser Makers-Bewegung eine industrielle Revolution auf uns zukommen?

Dath: Na ja, das Ding hat natürlich wie jeder Vergleich ein Holzbein, das hinkt. Das Problem mit der industriellen Revolution war ja, dass sie sich nicht auf das reduzieren lässt, was da technisch passiert ist, während diese Prognosen, die es damit vergleichen, jetzt immer damit spielen, genau aus dem technischen Tatbestand, dass da jetzt in vielen Haushalten irgendwas stehen wird, was irgendwas produziert, eine soziale Veränderung abzulesen. Tatsache ist ja, dass diese Dampfmaschine, der wir die industrielle Revolution verdanken, zunächst mal auch zu so einer Überlegung Anlass gegeben hätte.

Man hätte nämlich sagen können: Ah, wunderbar, da wird die Muskelkraft jetzt abgeschafft oder ersetzt, das heißt, die Leute werden sehr viel kürzer arbeiten. Interessanterweise war es aber ganz anders, einige Leute haben sehr viel mehr gearbeitet, nämlich sich den Takt in Zukunft von den Maschinen vorgeben zu lassen, ist ja nicht unbedingt angenehm. Und sehr viele andere Leute wurden einfach rausgeschmissen, wurden arbeitslos. Das heißt, das, was zunächst mal in der Maschine angelegt ist, muss halt auch sozial gemacht werden, und da habe ich so meine Zweifel.

Kassel: Manche in der Bewegung, also in dieser Makers-Bewegung, sind da aber sehr optimistisch. Ich habe zum Beispiel in einem amerikanischen Blog wirklich den Satz gefunden: Nach Sozialismus und Kapitalismus ist das jetzt der dritte Weg, und dies wird nun endlich ein Weg zum Wohle der Menschheit werden.

Dath: Der dritte Weg, der ist mehrfach ausgerufen worden. Das war dann immer entweder ein Weg zu relativ schlimmen Depravierungserscheinungen, die dann am Ende ja auch dazu geführt haben, dass man den Ostblock zugemacht hat, oder eben ganz einfach zum hundsgewöhnlichen Kapitalismus, den man schon kennt. Das Problem damit ist nämlich, dass in dem Moment, wo irgendwas auf irgendwas umgestellt wird, sich diese Wertverhältnisse und die Abhängigkeitsverhältnisse natürlich einfach verändern, aber nicht schlicht abgeschafft werden.

Insofern wird die Frage sein, wenn also die alte Fabrik nicht mehr der Punkt ist, was wird dann der Punkt. Na ja, dann werden vielleicht die Patente der Punkt oder dann werden vielleicht gewisse Rohstoffe der Punkt, aber in der Tat ist nicht davon auszugehen, dass ... also selbst die Optimistischsten unter den Maker-Leuten sagen nicht, dass es eine Maschine gibt, die jetzt alles herstellen kann.

Das heißt, ich habe vielleicht jetzt irgendwas zuhause, was mir jetzt die Turnschuhe macht oder so, aber nicht mein komplettes Bedarfsgüterwirtschaften wird dann von dieser Maschine übernommen, das heißt, ich muss immer noch Brötchen kaufen, das heißt, ich muss immer noch irgendwoher die Miete aufbringen, wenn mir keine Wohnung gehört und so weiter.

Und das heißt, ich muss tauschen, und wenn das so eins zu eins stimmen würde, dass in dem Moment, wo ich ein Ding in meiner Wohnung stehen habe, das mir hilft, irgendwas zu produzieren, ich ab dem Moment unabhängig bin und mein eigener Herr und was da sonst noch für Fantasien dranhängen. Dann ist ja auch nicht einzusehen, warum irgendwelche Schuster Adidas kaputtmachen können oder so, das können sie ja auch nicht. Das heißt, Adidas durch die Massenproduktion kann halt einfach auch billiger produzieren. Und in dem Moment, wo überhaupt getauscht wird, also nicht jeder alles produzieren kann, was er braucht, wird eben doch wieder die Frage, wer kann die Bedingungen für den Tausch diktieren, und das kann meistens nicht das Schneiderlein und das Schusterlein zu Haus allein.

Kassel: Aber wird denn das, was Sie jetzt gerade die alte Fabrik genannt haben, also die große Massenproduktion, sei es nun in China oder meinetwegen auch noch in Europa oder in den USA, wird denn das wirklich verdrängt werden durch diese Homemaking-Szene?

Dath: Na ja, das wäre natürlich tatsächlich die zweite problematische Frage. Also man hat ja beispielsweise auch geglaubt, als das Kabelfernsehen eingeführt werden sollte, dass jetzt die großen News-Outlets – also die selbe Aufregung, die um die Bloggerszene mal irgendwann existierte, dass man sagte, das ist jetzt das Ende der Gatekeeper und der Monopolisten und der Meinungsmacher, das hat man schon beim Kabelfernsehen erzählt. Der Schwarz-Schilling, der das damals in Deutschland eingeführt hat, hat gesagt, jetzt wird jeder selber senden und man braucht keine "Tagesthemen" und keine "Tagesschau" mehr und pipapo, und der kleine Mann sozusagen erobert jetzt den Fernsehschirm. Und dieser kleine Mann hieß dann aber RTL und Sat.1 und so weiter.

Und genau so heißt der kleine Mann, der jetzt in dieser Internetwirtschaft das sagen hat, eben unter Umständen Google oder Facebook oder so was. Und ich glaube, solche kleinen Männer werden sich halt auch bei der Makerei bald rausstellen. Das sind dann die mit den Lizenzen für die Programme, das sind die mit den Lizenzen für die Bauteile der Maschinen und so weiter.

Das heißt, dass die Fabrik sozusagen nicht mehr am Stadtrand steht und den Dreck irgendwie direkt in den einzigen Fluss, den wir bei unserer Stadt haben, schüttet, heißt nicht, dass es die Fabrik in der Form nicht mehr gibt. Genau so wenig, wie die Tatsache, dass es den Mann mit den Zylinderhut und der goldenen Taschenuhr und dem Wanst und der Weste, wo die Taschenuhr drinsteckt, nicht gibt, heißt, dass es auch keine Kapitalisten mehr gibt.

Kassel: Aber davon abgesehen, dass es natürlich tatsächlich sein könnte, dass diese 3D-Druckszene oder was auch immer dann im Wohnzimmer steht, auch wieder von Google oder Apple oder irgendjemand anders dominiert wird, bleiben wir doch mal bei diesem interessanten Vergleich mit dem Kabelfernsehen in der ganz frühen Phase und diesen Ideen des – gibt es ja lange nicht mehr – des Bundespostministers Christian Schwarz-Schilling damals: Ist es nur daran gescheitert, dass dann eben einige wenige Konzerne und Presseverlage das an sich gerissen haben, oder gab es nicht – und hier sehe ich jetzt eine Parallele zu dieser Maker-Szene – auch was anderes? Man ist damals davon ausgegangen, dass genau so viele Leute, die Fernsehen gucken wollen, auch Fernsehen machen wollen. Und die Idee dieser echten Makers ist ja nicht, dass ich mir irgendeinen Schuh nach irgendeiner Vorlage ausdrucke, sondern dass ich idealerweise vorher den ganzen Schuh entwerfe. Glauben sie, dass eine Mehrheit von Menschen dazu überhaupt die Lust haben wird?

Dath: Ja, das ist eben der Punkt: Was ist denn das, was einen daran hindert, die Lust zu haben? Wenn man zum Beispiel den Privatsender betreiben muss nach so und so viel Stunden Lohnarbeit, dann hat man natürlich weniger Lust da drauf und auch weniger sprühende Ideen dabei als jemand, der das hauptberuflich macht und dafür bezahlt wird. Das heißt in der Tat, wer wen bezahlt, wer wem gehört und wem was gehört, wird halt weiterhin die Frage bleiben, solang überhaupt noch irgendwas irgendwem gehört.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit dem Schriftsteller und Journalisten Dietmar Dath über die Frage, ob denn diese Maker-Szene wirklich die Welt verändern wird. Sie sehen das alles so negativ, aber die Leute, die das ...

Dath: Ich sehe das überhaupt nicht negativ, ich sehe das technisch ganz fantastisch und sozial unglaublich naiv, was diese Leute machen. Ich sehe das so, dass es wie immer tatsächlich so ist, dass die Dampfmaschine tatsächlich das Potenzial hat, die Arbeitszeit für alle runterzusetzen. Nur, was ich negativ sehe, ist, dass sozusagen aus einem gegebenen Sein, also aus einer Möglichkeit, die in der Maschine steckt, dann auch immer sozial ein Sollen folgt, also dass es dann auch wirklich so gemacht wird.

Ich glaube, das große Problem ist, dass tatsächlich diese neuen Arbeitsverhältnisse, die man ja in den nicht materiellen und nicht produktiven Bereichen der Wirtschaft, also in dieser ganzen Telekom-Geschichte und in allem, was man mit dem berühmten mobilen, digitalen Büro machen kann, schon erlebt hat, dass die atomisiert sind, also dass die Leute sozusagen nicht mehr zusammen in einer Fabrik sitzen, wo sie dann wenigstens sich gewerkschaftlich oder sonst wie organisieren können, sondern dass das sich miteinander abstimmen, dass das nun mal nötig ist, um gegen einen Konzern aufzustehen, um irgendwas durchzusetzen, immer schwieriger wird, je vereinzelter, verstreuter, atomisierter die Leute sind.

Also Arbeitsverhältnisse, in denen die Leute tatsächlich nicht mehr zusammen an einem Ort sind, sondern die so modularisiert sind, machen die Leute extrem leicht ausbeutbar und extrem leicht gegeneinander ausspielbar, und da bin ich tatsächlich pessimistisch. Das heißt, da müsste irgendjemand ansetzen, und ich bin sehr enttäuscht, dass die Piratenpartei das zum Beispiel nicht versucht hat mit ihrer Klientel, die tatsächlich über solche Ich-und-mein-Laptop-im-Café-Arbeitsverhältnisse bereits definiert waren.

Kassel: Jetzt wiederhole ich mich ein bisschen, wir haben ja angefangen mit Chris Anderson, der einen Bestseller geschrieben hat zu diesem Thema, zumindest in Amerika. Da stellt sich, wie ich finde, immer gerade bei technischen Dingen die Frage nach dem Hype, also das ist auch ein bisschen noch mal die Frage, mit der wir angefangen haben. Wird das die Welt so sehr verändern, wie es manche jetzt glauben, im Sinne von: Ist das wirklich so bedeutend, was da jetzt passiert, in welche Richtung auch immer?

Dath: Oh je, das sind so Frage, da müsste ich jetzt wissen, was morgen passiert. Bedeutend daran ist, dass wieder mal ein Potenzial aufscheint, das sozusagen denen Unrecht gibt, die sagen, das ist ja doch immer alles nur derselbe Mist.

Auf der anderen Seite, wenn es gelingt, das in die alten Kanäle wieder zu leiten, dann war es derselbe Mist und wird derselbe Mist gewesen sein. Das heißt, die Frage nach dem Hype würde ich eigentlich gerne zurückgeben, sowohl an die, die ihn betreiben wie an diejenigen, die ihn kritisieren, nämlich wenn es dir zu gelogen vorkommt, mach es halt wahr.

Kassel: So gesehen geben Sie es an uns zurück, wir berichten ja auch die ganze Woche drüber und machen diesen Hype mit. Das kann man, das sage ich jetzt ganz offen, im Internet nachlesen unter dradio.de, und man kann es bei uns im Radio das nächste Mal schon heute Nachmittag hören in "Elektronische Welten", 16:55 Uhr widmen wir uns wieder dem Thema Makers. Jetzt haben wir das gemacht im Gespräch mit dem Schriftsteller und Journalisten Dietmar Dath. Herr Dath, ich danke Ihnen für Ihre Zeit!

Dath: Alles klar, herzlichen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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