Vereinigung von Spiritualität und Rationalität

Der bekannteste Psychoanalytiker Indiens, Sudhir Kakar, plädiert in seinem Band "Freud lesen in Goa" dafür, in der Psychoanalyse die östliche Spiritualität mit dem westlich-aufklärenden Ansatz zu verbinden.
Ein Hinweis in Hinsicht der Biografie des Autors Sudhir Kakar ist besonders deshalb erlaubt, weil dieser neben "Fallgeschichten" berühmter Gurus auch seine eigene anführt, um die Berührungspunkte zwischen einem westlich-aufgeklärten und einem indisch-spirituellen Weltbild zu schildern. Sein Vater war westlich "rationalistisch" orientiert, seine Mutter religiös – und nahm den kleinen Kakar zu Festen und Ritualen mit. Diese erfolgreich sublimierte Mutter-Vater-Konstellation ist der Resonanzraum, auf dem Kakar das einzige westlich-aufklärende, therapeutische Ritual – die Psychoanalyse - mit den Psychotechniken spiritueller Gurus kombiniert.

Zunächst analysiert Kakar gut Freudianisch die spirituellen Biografien von Baghwan, später Osho genannt, dem tibetischen Heiligen Drukpa Kunley und Mahatma Gandhi. Dabei wendet er Schlüsselbegriffe wie Begehren und Empathie auf spirituelle Handlungen und Wachstumsprozesse an. Das klingt befremdlich, überzeugt aber im analytischen Detail.

In den "Fallgeschichten" wendet Kakar das psychoanalytische Instrumentarium an und wird jeweils dort absichtlich diffus beziehungsweise hoch metaphorisch, wenn die spirituelle Dimension das Transzendente erreicht. Der Psychoanalytiker wurde dazu ausgebildet, "dem Heiligen und Spirituellen zu misstrauen" – so erscheint eine Erleuchtung im westlichen Jargon als hysterisch-manische Phase. Die Fluchtpunkte von spirituellem Wachstumsprozess und analytischer Heilung belässt Kakar in der Sphäre der Andeutung.

Kakar resümiert: "... gewisse spirituelle Übungen können das Potenzial des Analytikers zur einfühlenden Identifikation signifikant verstärken." Wie genau so ein spirituell-analytisches Trainingsprogramm das aussehen könnte, überlässt der Autor einstweilen dem Leser.

Jener schreibt elegant und uneitel, und er hat ein ernstes Anliegen, von dem er überzeugt ist: Der Westen darf seine spirituellen Potenziale nicht brachliegen lassen, und Asien stünde ein wenig analytische Rationalität in individuellen und kollektiven Heilungsprozessen auch gut an.

Konsequent in seiner synthetischen Ambition kritisiert er das abgewendete Gesicht in der Psychoanalyse. Ja er geht sogar soweit, die Psychoanalyse als Meditationspraxis zu bezeichnen: "Die Psychoanalyse selbst kann als einzigartige, moderne meditative Praxis verstanden werden, einzigartig in ihrer Betonung einer Meditation, die zu zweit statt allein ausgeübt wird."

Östliche Spiritualität solle Teil der analytischen Ausbildungsdisziplin werden – schon deshalb, weil gemeinsames Ziel der Meditationsschulen eine Verstärkung der Empathie ist.

Eine so freundliche, unterhaltsame, humorvolle und luzide Kampfschrift – denn eine solche ist Kakars Buch in Grunde – hat man schon lange nicht lesen können. Vielleicht sollte die Hochzeit von Westen und Osten auf dem therapeutischen Sektor vorangehen. Kakars warmherzige Prosa ist geeignet, ihr den Weg zu leiten.

Rezensiert von Marius Meller

Sudhir Kakar: Freud lesen in Goa. Spiritualität in einer aufgeklärten Welt
Übersetzt von Katharina Kakar
Verlag C. H. Beck, München 2008
188 Seiten, 19, 90 Euro