Verein Sportler für Organspende

Zeigen, dass die Organspende funktioniert

07:51 Minuten
Franziska Liebhardt hält ihren Organspendeausweis in die Höhe. Sie trägt ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift Germany.
Franziska Liebhardt ist Mitglied bei Sportler für Organspenden. Ihr wurde gerade zum zweiten Mal eine Lunge transplantiert. Corona hat hat das Warten auf ein Spenderorgan noch schwerer als sonst gemacht, berichtet die zweimalige Paralympics-Siegerin, © Sportler für Organspende e.V.
Franziska Liebhardt im Gespräch mit Thomas Wheeler · 07.06.2020
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Weltmeister, Olympiasieger, Grand-Slam-Champion - der von prominenten Mitgliedern getragene Verein "Sportler für Organspende" unterstützt die Idee der Organspende. Ein Netzwerk hilft dabei, dass transplantierte Kinder wieder Schulsport machen dürfen.
Thomas Wheeler : Franziska Liebhardt ist zweimalige Paralympics-Siegerin in der Leichtathletik und hat ihre sportliche Karriere 2016 beendet. Die 38-Jährige hatte kürzlich ihre zweite Lungentransplantation und setzt sich als Vorstandsmitglied im Verein Sportler für Organspende für einen offeneren Umgang mit der Thematik in Deutschland ein. Am 6. Juni war in Deutschland "Tag der Organspende", den es seit 1983 gibt. Gab es ein zentrales Thema in diesem Jahr?
Die Initiatoren der Aktion "Sportler für Organspende" Franz Beckenbauer und Hans Wilhelm Gäb, langjähriger Präsident des Deutschen Tischtennis Bundes sowie der mehrmalige Olympiasieger im Skispringen, Jens Weißflog und Geher-Olympiasieger Hartwig Gauder (v.l.) präsentieren einen Organspenderausweis 1997.
Sportler für Organspende blickt auf eine langjährige Initiative zurück.© dpa/ Werner Baum
Liebhardt: Der Tag der Organspende fand coronabedingt in diesem Jahr als virtueller Tag der Organspende statt. Das Motto war "Richtig. Wichtig. Lebenswichtig." Es ging um Begegnungen mit Menschen, deren Schicksale eng mit der Organspende verbunden sind.
Wie jedes Jahr war der Tag der Organspende traditionell auch ein Tag des Dankes gegenüber den Organspendern und ihren Angehörigen. Es ist ein Tag der Aufklärung und des Anstoßes für jeden Einzelnen, sich mit dem wichtigen Thema Organspende auseinanderzusetzen.

Corona und das Warten auf ein Spenderorgan

Thomas Wheeler: Sie selbst haben fast acht Monate auf ihre zweite Lungentransplantation warten müssen. Welcher Prozess ist da bei Ihnen abgelaufen, bevor Ihnen die Medizinische Hochschule in Hannover Bescheid gab, dass es ein fremdes Organ für Sie gebe?
Liebhardt: Es ist eine schwere Zeit. Durch Corona war ich auch in einer sogenannten Schutzquarantäne. Das heißt, ich durfte meine Wohnung nicht verlassen: Nur die allernötigsten Personen durften rein, zum Beispiel der Pflegedienst, der Sauerstofflieferant. Die eigene Familie durfte aber nicht rein.
Es ist schwer, denn man sitzt zu Hause und darauf hofft, dass das Telefon klingelt. Man weiß letztendlich nicht, wann es klingelt, ob man morgens früh losfährt zur Operation, ob man die nächste Nacht noch durchschläft oder ob dann jemand anruft. Also es ist sehr belastend.
Thomas Wheeler: Sie sind Vorstandsmitglied der Sportler für Organspende, die Wilhelm Gäb, der ehemalige Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes 1996 nach einer eigenen Organtransplantation gründete. Das ist mittlerweile 24 Jahre her. Wo stehen wir augenblicklich bei diesem Thema?
Gruppenfoto prominenter Sportler, die sich für den Verein Sportler für Organspende engagieren.
Mehr als 100 Olympiasieger, Welt- und Europameister engagieren sich im Verein Sportler für Organspende.© Sportler für Organspende e.V.
Liebhardt: Deutschland ist beim Thema Organspende leider immer noch ein Entwicklungsland. Das ist sehr schade, obwohl sehr viele Organisationen sich bemüht haben, etwas zum Positivem zu verändern. Was die Organspenderzahl angeht steht Deutschland immer noch auf der Liste der europäischen Länder ganz unten. Das ist natürlich traurig, dass wir da in 24 Jahren noch nicht wirklich weitergekommen sind.
Thomas Wheeler: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Liebhardt: Es liegt daran, dass die Politik sehr rigide ist und sich kaum was bewegt. Wir haben das Gefühl, dass in der Politik gar nicht richtig wahrgenommen wird, dass jeden Tag Menschen auf den Wartelisten versterben.
Verschiedene Faktoren spielen da eine Rolle: Fehlende oder zu wenig Aufklärung, zu wenig Anerkennung für die Spender und ihre Familien; und die politische Situation, die das Thema auch nicht wirklich voranbringt.

Vorbilder aus dem Sport

Thomas Wheeler: Sie hatten die Sportlerinnen und Sportler angesprochen. Welchen Stellenwert hat dieses Thema unter denen?
Liebhardt: Die Sportler, die bei uns engagiert sind, haben sich natürlich sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und engagieren sich pro Organspende. Sie versuchen, ihren bekannten Namen auch für unseren Verein und für das Thema zu nutzen, um etwas Positives zu bewirken. Karl-Heinz Rummenigge ist dabei, Matthias Steiner, Fredi Bobic, Kristina Vogel, Felix Neureuther und zum Beispiel auch das Tischtennis-Ass Patrick Franziska, der auch relativ neu bei uns dabei ist.
Thomas Wheeler: Wilhelm Gäbs Nachfolger war der kürzlich verstorbene Geher Hartwig Gauder, der auch mit einem transplantierten Herzen Höchstleistungen erzielte. Wie wichtig sind solche Menschen als Vorbilder?
Liebhardt: Wir glauben, dass es wichtige Vorbilder sind. Sie zeigen: Organspende funktioniert, man kann nach einer Organspende ein gutes Leben haben und auch sportlich wieder aktiv sein. Unser verstorbener Vorstandsvorsitzender Hartwig Gauder hat das sehr gut gezeigt.
Für Menschen auf den Wartelisten, die eine Durststrecke überstehen müssen, kann es hilfreich sein, wenn sie Menschen vor sich haben und sehen, was möglich ist, wenn man sich nach einer gut überstandenen Organspende durchkämpft – dass man eben hinterher auch wieder ein gutes, normales Leben haben kann.

Kinderhilfe Organtransplantation

Thomas Wheeler: Sie engagieren sich nicht nur für die Sportler für Organspende, sondern auch für die Kinderhilfe Organtransplantation. Was steht für Sie dabei im Vordergrund?
Liebhardt: Die Kinderhilfe Organtransplantation ist 2004 von den Sportlern für Organspende gegründet worden, weil immer wieder Schicksale von organtransplantierten Kindern oder deren Familien an uns herangetragen wurden. Wir haben festgestellt, dass es keine übergreifende Hilfsorganisation für diese Familien von den Sportlern für Organspende. Die Kinderhilfe versucht, unbürokratisch und schnell Familien zu helfen, die organkranke oder transplantierte Kinder haben und durch das soziale Netz fallen. Wir unterstützen mit Geld, Erholung und mit gutem Rat. Wir ermöglichen Therapien in den Kliniken, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden. KiO springt dann ein, wenn die Leistungen der Krankenkassen und unser soziales Netzwerk endet.
Thomas Wheeler: Wie muss ich mir das vorstellen: Gibt es eine hohe Hürde für transplantierte Kinder und deren Eltern, sportlich aktiv zu sein?
Liebhardt: Wir wundern uns bei KiO immer wieder, dass viele Kinder zum Beispiel auch im Schulsport befreit werden. Doch von gesundheitlicher Seite besteht eigentlich kein Grund, warum ein transplantiertes Kind, dem gutgeht, keinen Sport machen sollte. Wir haben das Gefühl, dass es oft an den Lehrkräften liegt, die sich unsicher sind und sich das nicht zutrauen oder ein Risiko sehen, wo es keines gibt – und die Verantwortung nicht übernehmen wollen.
Wir greifen da immer gern auf unser mit medizinischem Fachpersonal besetztes Kuratorium zurück: Die Ärzte sagen, ihr müsst da keine Angst haben, da besteht keine Gefahr. Sie schreiben im Zweifel auch ein ärztliches Attest, damit die Kinder am Schulunterricht teilnehmen können.
Thomas Wheeler: Wie ist die Bereitschaft in Vereinen, transplantierte Kinder und Jugendliche aufzunehmen?
Liebhardt: Es gibt Vereine, die völlig unkompliziert sind. Dort sind die Kinder ganz normal im Vereinsleben integriert. Die Eltern sagen dort, das Kind ist transplantiert, auf das und das muss man achten - dann läuft das. Es gibt aber auch Vereine, die da ängstlich sind und sich erst mal nicht trauen. Manche können schon durch die Eltern aufgeklärt werden und manche sagen, ach, nee, damit wollen wir lieber nichts zu tun haben. Aber man muss sagen, die meisten Kinder sind ganz regulär im Vereinsleben integriert.
Thomas Wheeler: Welche Bedeutung hat der Organspendenausweis für Sie?
Liebhardt: Der ist sehr wichtig. Gerade nach der Entscheidung des Bundestages gegen die sogenannte Widerspruchslösung ist er umso wichtiger. Denn man dokumentiert den eigenen Willen im Falle seines Hirntods – im Übrigen auch durch ein Nein, wenn man nicht spenden möchte. Das wissen viele Menschen gar nicht. Der Organspendeausweis lässt den Menschen jegliche Wahlmöglichkeit und erspart den Angehörigen im Falle des plötzlichen Todes viel Leid. Deswegen halte ich den für sehr wichtig.
Für noch wichtiger als die Dokumentation im Ausweis halte ich die mündliche Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende in der eigenen Familie, am besten in regelmäßigen Abständen. Wenn alle über den mutmaßlichen Willen des jeweils anderen Bescheid wissen, tauchen im Fall der Fälle keine Unklarheiten auf, die in einer schwierigen Situation nur zusätzliches Leid verursachen würden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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