Verdammte Helden

Von Klaus-Dieter Kottnik · 17.06.2013
Der Pastor Klaus-Dieter Kottnik will nicht nur von Heiligen und gefallenen Engeln umgeben sein. Dass Leute hochgejubelt werden, um sie alsbald vom Sockel zu stoßen, ist für ihn einer aufgeklärten Demokratie nicht würdig: Man sollte Menschen gerade auch wegen ihrer Fehler willen achten, sagt er.
War da was? Durch die Adelung mit Kanzlerinnenhändedruck nach dem unglaublichen Triple-Erfolg des FC Bayern München scheint er wieder nahezu sakrosankt zu sein.

Wochenlang davor wurde er demontiert, Uli Hoeneß, das große Vorbild der Deutschen wurde mit Dreck beworfen und runtergemacht. Jedes Detail seiner Steueraffäre wurde an die Öffentlichkeit gezerrt und mit Häme kommentiert. Im Augenblick gibt es wohl eine Beißhemmung.

Ich frage mich, was da in unserem Lande passiert. Menschen werden nach oben gespült, zu Helden und Heiligen stilisiert, vorbildliche Leistungen, gute Taten werden für den ganzen Menschen gesehen - und alsbald wird der ganze Mensch verdammt.

Leute, wie jener "Sun"-Journalist haben Hochkonjunktur. Von ihm wurde ein Zitat kolportiert: "Ich stehe morgens auf, um wieder einen Menschen zu Fall zu bringen."

Mich erinnert das an die Martin-Luther-Statuen aus der Kaiserzeit. In vielen deutschen Städten sind sie zu sehen. Heroisch steht er mit der Bibel unter dem Arm als Held auf dem Sockel, der Reformator, der Präger der deutschen Sprache und Held der individuellen Verantwortung.

Aber er hatte auch ganz andere Seiten: Antisemitismus, Aufruf zur Gewalt, tiefe innere Zweifel gehörten genauso zu dieser Persönlichkeit. Das ändert nichts an seinen großartigen Leistungen. Vielmehr zeigt es ihn in seiner Begrenztheit. Diese gehört zu jedem Menschen.

Zeit des Bejubelns und Deformierens
Wir haben eine Zeit des Bejubelns und des Deformierens hinter uns. Vielleicht sind wir auch noch mittendrin. Beim Deformieren bleibt oft der letzte Eindruck zurück. Und schwerlich kommt der Deformierte wieder dagegen an. Und wer nicht deformiert wurde, hatte einfach Glück.

Annette Schavans Leistungen als Ministerin in Baden-Württemberg und im Bund sind längst vergessen, es bleibt der verlorene Doktortitel. Christian Wulffs hochgejubelte "Der Islam gehört zu Deutschland"-Rede bleibt verschämt in den Archiven, Bilder aus einem bayrischen Luxushotel bestimmen die ganze Sicht auf den ehemaligen Bundespräsidenten.

Margot Kässmanns Rücktrittsgrund wird dauerhaft zur Negativfolie, die ganz und gar nicht der Pastorin und Altbischöfin gerecht wird. Bushido wurde als Vorzeige-Integrations-Beispiel in den Himmel erhoben. Nun wird der Musiker wegen eines Steuerstrafverfahrens gemieden. Wir können die Beispiele endlos fortsetzen.

Die christliche Theologie unterscheidet zwischen der Person und ihren Taten. Natürlich möchte sie zu guten Taten anreizen, die Bibel ist ein Buch voller Motivationen dafür. Aber die Theologie weiß auch um das Versagen und das Fehlerhafte im Menschen. Beides gehört zusammen.

Sie versucht deshalb, der Persönlichkeit gerecht zu werden. Diese ist ein Wert an sich. Deshalb kann man Fehler kritisieren und verurteilen, Gutes loben und positiv herausstreichen. Aber beides definiert nicht die Person.

Ich wehre mich dagegen, von Heiligen und gefallenen Engeln umgeben zu sein. Ich möchte gute Taten erleben. Und ich will mich mit Fehlern auseinandersetzen. Aber ich will keine Leute sehen, die hochgejubelt und runter gestoßen werden. Beides ist einer aufgeklärten Demokratie nicht würdig.

Wir leben nicht mehr in der Kaiserzeit, sondern in einer Zeit, in der jeder und jede aufgerufen sind, sich mit ihren Gaben, aber auch mit ihren Unzulänglichkeiten in die Gesellschaft einzubringen.

Wir können voneinander durch Gutes und durch Fehler lernen. Aber wir brauchen keine Statuen, an denen wir hochschauen und die vom Sockel gerissen werden müssen. Wenn ein solches Bedürfnis bedient wird, sollten wir uns fragen: "Haben wir sie noch alle?"

Klaus-Dieter Kottnik, geboren 1952 in Stuttgart, arbeitet in Berlin als Prediger, Mediator und Coach. Er berät die Polnische Diakonie und ist Mitglied verschiedener Kuratorien.
Von 2007 bis 2010 war er Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland und in dieser Zeit auch Vizepräsident von "Eurodiakonia". Zuvor leitete er als Vorstandsvorsitzender die "Diakonie Stetten" bei Stuttgart und war Vorsitzender des Bundesverbandes evangelischer Behindertenhilfe.
Klaus-Dieter Kottnik
Klaus-Dieter Kottnik© Diakonisches Werk der EKD