Verbreitete Stereotypen

Von Thomas Klatt · 25.02.2011
Phantom oder reale Gefahr? Geht es nach Studien und Statistiken, dann spielt Antisemitismus in Brandenburg kaum eine Rolle. Dennoch grassieren in weiten Teilen der Gesellschaft judenfeindliche Einstellungen, sagen Experten.
"Ich habe mit mehreren jungen Rechtsextremisten E-Mail-Kontakt. Im Zusammenhang mit Auschwitz habe ich auch einen gefragt, und da hat er zurückgeschrieben, zu Auschwitz kriegst du von mir keine Antwort, weil wenn ich das sagen werde, was ich sagen würde, dann würde ich mich ja strafbar machen."

Der Journalist Peter Huth beobachtet seit Jahren die rechtsextreme Szene in der Uckermark. Viele junge Neonazis kennt er aus dem Gerichtssaal oder aus Internetforen. Dank harter Jugendstrafen der Amtsgerichte und polizeilicher Präsenz an bekannten Neonazi-Treffpunkten traue sich kaum noch ein Brandenburger, offen gegen Juden zu polemisieren, sagt Huth. Für ihn ist aber völlig klar, dass Antisemitismus dadurch nicht zum Randphänomen in der Gesellschaft geworden ist, sondern von der schweigenden Mehrheit mitgetragen wird.

"Wenn ich jemanden frage, bist du Antisemit, wird er sagen: Hast du nen Hau? Das ist die falsche Frage. Nehmen wir mal ein Beispiel, die Fans von Frankfurt Oder FC Victoria, da laufen zwischen den Fans Leute rum, die haben T-Shirts 'Hamas, Hamas, Jews to the Gaz'. Bitteschön, was ist das denn anderes als Antisemitismus. Dass die das machen können, das ist doch Akzeptieren dieser Meinung. Oder wenn ich ins Internet gehe, diese sozialen Netzwerke und jemand sagt, er findet Juden scheiße, der Satan ist der Jude. Wieso regen sich nicht alle auf? Wieso wird das geduldet?"

Antisemitische Einstellungen finde man nicht nur bei rechten, sondern zunehmend auch bei linken Jugendlichen. Bei vielen Argumentationsmustern sei den Menschen oft gar nicht bewusst, dass sie sich typisch antijüdischer Stereotypen bedienten.

"Der Antikapitalismus der heutigen Nazis ist nichts anderes als Antisemitismus. Da gibt es eine Karikatur, die da auftaucht, da steht: Antikapitalismus – Antiimperialismus, und da drunter ist das Bild eines Juden mit Hakennase, dick, fett, auf der Krawatte der Davidstern, Kippa hat er auf und eine dicke Zigarre in der Hand ...auch destroy Israel!"

Antisemitismus herrsche aber längst nicht nur bei radikalen Jugendlichen vor, sondern finde sich gerade auch in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft, sagt Peter Huth.

"In Brüssow haben drei Juden das NS-Regime überlebt. Die wurden da versteckt. Und wenn man die jetzt fragt, ist doch was Tolles, eure Mitmenschen haben die versteckt, dann will man darüber gar nicht reden, da krieg ich dann als Antwort: Gehörst du auch zu denen?"

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2008 behauptet, dass mit 1,1 Prozent Brandenburg den mit Abstand niedrigsten Zustimmungswert für Antisemitismus im ganzen Bundesgebiet aufweist. Ein Wert, auf den sich jüngst die Brandenburger Kultusministerin Martina Münch berufen hat. Für sie existiert nur ein, so wörtlich, "Phantom-Antisemitismus" im Land.

Doch der Leipziger Sozialforscher Elmar Brähler, der die Studie mitverantwortet hat, räumt ein, dass man Antisemitismus kaum realistisch abfragen könne.

"Wir können überhaupt nicht in die Köpfe der Leute hineingucken. Wir stellen Fragen, zum Beispiel die Frage, ob Juden etwas Eigentümliches an sich haben oder zu viel Einfluss haben, so Stereotype."

Gerade beim Thema Juden in Brandenburg habe es einen hohen Wert an Aussageverweigerern gegeben. Statistisch sei am Ende dieser extrem niedrige Wert von 1,1 Prozent herausgekommen. Was die Leute aber wirklich dächten, komme eher beim Thema Ausländerfeindlichkeit zu Tage, sagt Elmar Brähler.

"Sich ausländerfeindlich zu äußern, da gibt es in Deutschland momentan keine Hemmschwelle mehr. Unsere Untersuchung war ja noch vor der Sarrazin-Debatte, das dürfte noch zugenommen haben. Ausländerfeindlichkeit ist en vogue momentan, das kann jeder sagen. Bei dem Antisemitismus, das gehört ja zur Staatsräson, sich nicht so zu äußern."

Und beim Thema Ausländerfeindlich kommt das Land Brandenburg auf über 30 Prozent. Peter Huth:

"Ich sage mal, diese 30 Prozent Fremdenfeindlichkeit kann man auch mit 30 Prozent Antisemitismus zusammenpacken. Es kommt halt mit verschiedenen Gesichtern daher."

Das Brandenburger Innenministerium weist darauf hin, dass die antisemitischen Straftaten in den letzten fünf Jahren rückläufig sind. Dass es laut Polizeibehörde momentan keine konkrete Gefährdung für die sieben jüdischen Gemeinden im Land Brandenburg gibt, ist für Peter Huth aber kein Widerspruch zur breiten antisemitischen Grundhaltung im Land. In Brandenburg herrsche kein Phantom-, sondern ein abstrakter Antisemitismus.

"Verschwörung sucht einen übermächtigen Feind. Das sind die Illuminati, die Juden. Dieser Feind ist abstrakt irgendwo. Wenn alle gemeinsam an diesen Feind glauben, dann schafft es eine Gemeinschaft. Das muss jetzt nicht sein, dass ich jetzt hingehe und Juden klatsche.

Man darf politische Phänomene nicht erst dann wahrnehmen, wenn sie gewalttätig werden. Man glaubt, die Straftaten gehen zurück, die Gewalttaten gehen zurück, das Problem sei gelöst. Nein, der Nährboden, die Ideologie bleibt doch erhalten."