Verbraucher haben "keine Lust", sich kritisch mit Apple zu befassen

Kai-Uwe Hellmann im Gespräch mit Christopher Ricke |
Den deutschen Verbraucher interessiere es nicht, wie Apple in Asien produzieren lasse, meint der Konsumforscher Kai-Uwe Hellmann: "Wir haben andere Sorgen, wir haben keinerlei Notwendigkeit, uns damit befassen zu müssen, das ist weit weg."
Christopher Ricke: Eigentlich eine gute Zeit für ein kleines Weihnachtsgedicht: "Kinder kommt und ratet, was im Ofen bratet." Ach nein, Paula, das kannst du besser!

"Sie pusten und prusten, sie gucken und schlucken, sie schnalzen und schmecken, sie lecken und schlecken den Zipfel, den Zapfel, den Kipfel, den Kapfel, den knusprigen Apfel."

Ricke: Dieses Gedicht heißt "Der Bratapfel" und heute heißen die Äpfel irgendwie auf Englisch und kommen schon angebissen unter den Baum, iPhone 5 oder MacBook Pro. Sie stammen aus einem der wertvollsten Unternehmen der Welt und werden, so ein Vorwurf, unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen hergestellt. Die Marke Apple ist unser Thema: Ich spreche mit Professor Kai-Uwe Hellmann, er leitet das Institut für Konsum- und Markenforschung Berlin, er lehrt und forscht an der Bundeswehr-Uni in Hamburg. Professor Hellmann, wird denn Weihnachten für Apple wieder ein Millionengeschäft?

Kai-Uwe Hellmann: Mit Sicherheit ist Weihnachten auch für Apple wieder eine günstige Saison und sie werden großartige Zahlen bekommen, was den Abverkauf betrifft. Es gibt kaum eine Jahreszeit, die sich dafür mehr eignet.

Ricke: Es wird auch besonders viel Geld verdient bei Apple, weil, das ist ja das Besondere, weil diese Geräte teurer sind als die der Konkurrenz, obwohl sie nicht unbedingt besser sind. Das steht zumindest in den Tests, die man lesen kann. Was passiert denn mit den Menschen, dass die bereit sind, für Apple-Produkte extra Geld auszugeben?

Hellmann: Nun, die technische Qualität war in den letzten Jahren überragend im Vergleich mit dem Wettbewerb. Da hat der Wettbewerb in den letzten Jahren aufgeholt. Die Bereitschaft von Apple-Kunden, mehr zu bezahlen, hat eben typischerweise zu tun mit dem, was man eine starke Marke nennt, dass man nämlich auch den Ruf, die Reputation, das Image, die Außenwirkung, das Prestige mitbezahlt, was sich bei diesen Produkten besonders gut zeigt.

Ricke: Es gibt ja Spötter, die sprechen schon von einer Apple-Religion. Schließen Sie sich dem an?

Hellmann: Nein, auf keinen Fall. Der Religionsbegriff, wenn man ihn noch ernsthaft benutzen möchte, sollte reserviert sein für Phänomene, die eine kosmologische Erklärung leisten, die eine Welterklärung leisten können, die sich in der Lage zeigen, vor allem in Krisenmomenten Hilfe zu stellen, Antworten zu geben auf die letzten Fragen des Lebens. All das ist nicht das Geschäftsfeld von Apple.

Ricke: Das Geschäftsfeld von Apple sind Computer, sind Smartphones, sind digitale Helfer. Die werden alle hergestellt, viele davon in Fernost, die allermeisten, und jeder, der Radio hört oder Zeitung liest, weiß, wie miserabel die Arbeitsbedingungen in chinesischen Werken sind, in denen Elektronikartikel hergestellt werden, und zwar nicht nur die von Apple, sondern auch andere. Trotzdem schauen wir nicht richtig hin, sondern freuen uns über neue Computer, über neue Tablets, neue Handys. Was passiert da mit uns?

Hellmann: Dass wir da nicht die Aufmerksamkeit aufbringen, das ist ja nichts Neues. Die Proteste, die wir beobachten konnten Ende der 90er-Jahre mit Nike, haben ja nur ganz wenige Konsumenten wirklich betroffen gemacht und dazu geführt, dass sie nicht mehr Nike gekauft haben.

Ricke: Nike kurz erklärt: Das war die Geschichte Kinderarbeit.

Hellmann: Das war im Grunde die gleiche Region, Asien, Südostasien, wo unter sehr fragwürdigen Bedingungen eben diese Turnschuhe gefertigt wurden, und es waren Subunternehmer, die dort die Verantwortung dafür übernommen hatten, und das kam heraus und dann war Nike an den Pranger gestellt. Vergleichbare Bedingungen haben wir mit dieser direkten Zurechenbarkeit auf Apple noch nicht, denn dahinter steckt ja Foxconn und die produzieren für sehr viel mehr Unternehmen, und da ist es dann schwieriger, allein einen Konzern in dieser Weise verantwortlich zu machen.

Warum wir uns damit nicht näher befassen? Wir haben keine Lust dazu. Wir haben andere Sorgen, wir haben keinerlei Notwendigkeit, uns damit befassen zu müssen, das ist weit weg und man nimmt sich ja auch einen Riesenspaß. Man nimmt sich ein Riesenvergnügen, wenn man sich nicht mehr solche Produkte leisten wollte, aus politischen oder moralischen Motiven heraus.

Ricke: Solche Produkte sind auch in China selbst ein Marktschlager. Dort, wo man nahe ist an den Produktionsstätten, wo man es eigentlich auch weiß, vielleicht sogar erleben kann, da gibt es Tumulte, wenn neue Apple-Produkte kommen. Da passiert doch mit den Chinesen offenbar auch etwas, was wir in Europa kennen, obwohl die viel näher dran sind.

Hellmann: Ja, es geht ja nicht um eine rein regionale Frage der Distanz. Es geht nicht nur darum, ist das jetzt unmittelbar vor meiner Haustür, sondern es hat damit zu tun, welche Notwendigkeit besteht, dass ich Bezug nehme, dass ich Stellung beziehe, dass ich direkt in meiner Erfahrung davon betroffen bin, und das ist natürlich für viele chinesische Konsumenten genauso wenig der Fall wie hier in Europa.

Ricke: Apple war vor zehn, vielleicht auch vor 20 Jahren noch einmal der Computer aus dem Reich des Guten, der sozusagen antrat im Kampf gegen das Monopol des Bösen. Damals wurde Microsoft so beschrieben. Das hat ja irgendwann gedreht, aber nicht in der Wahrnehmung der Menschen.

Hellmann: Doch, auch in der Wahrnehmung der Menschen. Zumindest ist Apple nicht mehr Underdog, was ja der Fall war und was ja dann zu dieser extremen Treue der verbliebenen Apple-Kunden und Nutzer geführt hat. Der Dreh hat längst eingesetzt, ähnlich wie bei Google, die sich ja auch am Anfang als klein dargestellt haben und als ein Unternehmen, das mit der Formel "don’t be evil", sei nicht böse, durchaus positive Schlagzeilen gemacht haben. Inzwischen hat sich bei Google viel geändert und die Formel hat so nicht mehr Bestand. Und genauso ist bei Apple festzustellen, dass sie nicht mehr Underdog sind, dass sie nicht mehr Subkultur darstellen, sondern sie sind Mainstream geworden und haben insofern auch ja nicht ihre Tradition verraten, aber sie sind nicht mehr in dieser Tradition zu verorten.

Ricke: Wie halten Sie es denn persönlich, Professor Hellmann, mit Computer und mit Smartphone?

Hellmann: Mit Computern, das ist ein notwendiges Arbeitsmittel. Selbst bin ich aber kein Apple-Nutzer. Und wer nicht Apple-Nutzer ist, der hat im Grunde gar keine starken Marken mehr zur Verfügung und kann letztlich frei wählen unter den verfügbaren, sich technisch allen gleichenden Angeboten.

Ricke: Professor Kai-Uwe Hellmann, er leitet das Institut für Konsum- und Markenforschung in Berlin. Vielen Dank, Herr Hellmann, und einen guten Tag.

Hellmann: Danke schön.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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