"Verblendung"

Von Hans-Ulrich Pönack · 11.01.2012
Mit üppig mehr Budget als bei der skandinavischen Erstverfilmung hat David Fincher Stieg Larssons "Verblendung" erneut verfilmt: Herausgekommen ist ein spannendes Horror-Puzzle um Missbrauch, Gewalt und Gier in den obersten Gesellschaftskreisen - der Aufwand hat sich gelohnt.
Dass binnen so kurzer Zeit bereits das Hollywood-Remake entstand, kommt auch nicht alle Tage vor. Aber der Roman-Stoff, den der im November 2004 im Alter von 50 Jahren verstorbene schwedische Autor Stieg Larsson mit seiner "Millenium"-Trilogie hinterlassen hat, ist einfach zu stark, dass er nur einer skandinavischen Co-Produktion überlassen werden konnte.

Jetzt nun also das Remake mit hochkarätigem Personal: Der kalifornische Drehbuch-Autor Steve Zaillian, 58, zählt zu den Besten seines Fachs ("Zeit des Erwachens"; Gangs of New York"), ist Oscar-Preisträger ("Schindlers Liste"/1994) und selbst Regisseur ("Zivilprozess"/1998; "Das Spiel der Macht"/2005). Der aus Denver/Colorado stammende Regisseur David Fincher, 49, kann auf großartige Spannungsfilme wie "Sieben", "Fight Club"; "Panic Room", "Der seltsame Fall des Benjamin Button" und zuletzt "The Social Network" (2010) verweisen.

Die Geschichte der "Verblendung" ist mittlerweile weitgehend bekannt: Mikael Blomkvist ist ein investigativer Journalist, der gerade vor Gericht eine Niederlage einstecken musste. Ein von ihm im "Millenium"-Magazin veröffentlichter kritischer Artikel über einen mächtigen schwedischen Wirtschaftsboss wurde als Verleumdung abgestraft. Blomkvist steht am Pranger. Da kommt das Angebot von Henrik Vanger, einem der reichsten Industriellen des Landes, gerade recht. Der alte Mann stellt ihn für viel Honorar ein, um eines der düsteren Kapitel seines Lebens endgültig zu klären: Seine geliebte Nichte Harriet verschwand unter mysteriösen Umständen vor mehr als 40 Jahren und gilt "offiziell" inzwischen als tot.

Doch jedes Jahr erhält er an seinem Geburtstag ein vermeintliches Geschenk-Lebenszeichen von ihr. Wirklich von ihr oder erlaubt sich damit irgendjemand einen üblen Dauer-Scherz? Was ist damals tatsächlich passiert? Henrik Vanger (Christopher Plummer) aber warnt Mikael Blomkvist auch: Sie werden es hier "mit der schlimmsten Sippe überhaupt" zu tun haben. Mit Psychos, Nazis, Gewalttätigen, lauter gefährlichen Irren. So eingestimmt macht sich der Journalist in der kalten wie kranken Einöde dieser abgeschotteten Insel-Vanger-Welt ans Aufklärungswerk. Unterstützt wird er dabei, nach und nach, von Lisbeth Salander, einer genauso schrägen wie technisch hochgerüsteten Hackerin, deren Dasein von einem viehischen Bewährungshelfer und Vergewaltiger abhängt.

Kurzum: Missbrauch, Gewalt, Gier in den obersten Gesellschaftskreisen. Sozusagen: Der perverse, widerliche Lust-Gewinn von Männern, die vor allem Frauen hassen.

Natürlich muss sich das schnelle Remake einem Vergleich mit dem unvergessenen Original von neulich stellen. Obwohl - eigentlich auch unfair. Damals bestand das Budget aus gerade mal 13 Millionen Dollar, jetzt hat es um die 100 Millionen Dollar betragen. Damals war vergleichsweise äußerlich (TV-)Biederkeit angesagt, jetzt geht die Visualität schon beim Vorspann (mit schnarrender Led Zeppelin-Musikalität) in die atmosphärischen Vollen. Verweist sogleich auf Härte und seelische Düsternis, und bleibt in dieser coolen Stimmungslage. Mit brillanter wie konsequent eisiger, düsterer Schweden-Optik.

Nach dem etwas unbeholfenen, menschelnden Michael Nyqvist, 51, als Mikael Blomkvist tritt nun "007" Daniel Graig, 43, in den Ring. Athletischer, tougher. Mehr schnüffelnder Kerl als recherchierender Journalist. Von Anfang an: ein harter Hund. Die bis dato unbekannte 28-jährige schwedische Schauspielerin Noomi Rapace war damals als gepeinigte, störrische, bisexuelle Lisbeth Salander die Sensation im Original. An die die Nunmehr-Besetzung, die 26jährige amerikanische Akteurin Rooney Mara nie heranreicht. Dennoch: keine Fehlbesetzung, sondern nur eine akzeptable wie verständliche Schwächung. In diesem Krimi-Karussell und Horror-Puzzle um lauter verkrüppelte Figuren in einer abartigen skandinavischen (Familien)-Welt.

David Fincher hat mit der Neuverfilmung von Stieg Larssons "Verblendung" einen souveränen Spannungsfilm abgeliefert.

USA 2011 - Originaltitel: The Girl with the Dragon Tattoo, Regie: David Fincher, Darsteller: Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer, Stellan Skarsgard, Steven Berkoff, Robin Wright, Yorick van Wageningen, ab 16 Jahren, 158 Minuten

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