Vera Regitz-Zagrosek, Ärztin für Gendermedizin

Frauen sind zäher als Männer

30:03 Minuten
Eine Frau mit einem Tropf liegt im Krankenhausbett und zeigt im Bildvordergrund die mano cornuta.
Frauen sind zäher als Männer, sagt die Gendermedizinerin Frau Dr. Vera Regitz-Zagrosek. © Eyeem / Grlls Mnmxms
Moderation: Ulrike Timm · 11.09.2019
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Frauen werden auf andere Weise krank als Männer. Dieses Phänomen untersucht die Ärztin Vera Regitz-Zagrosek, sie leitet das einzige Institut für Gendermedizin in Deutschland. Eines ihrer Ziele: maßgeschneiderte Therapien für Frauen.
Frauen ticken nicht nur anders als Männer – sie zeigen bei Krankheiten auch andere Symptome und reagieren oft auch unterschiedlich auf Medikamente. Warum dies so ist – und was daraus folgen sollte – das ist das Forschungsfeld von Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek. Die Medizinerin leitet seit 2003 das Institut für Gendermedizin an der Charité in Berlin, das einzige seiner Art in Deutschland.

"Verstehen wir nicht – das ist ’ne Frau"

Regitz-Zagrosek erinnert sich noch gut an ihre erste Begegnung mit dem Thema in den 90er Jahren: Sie arbeitete am Herzzentrum München, eine junge Frau wurde eingeliefert, schwerstkrank – alles sah nach einem Herzinfarkt aus. Die Patientin zeigte jedoch nicht die typischen Symptome, wie sie bei Männern vorkommen. "Wir konnten uns das damals nicht erklären. Und der leitende Oberarzt ging aus dem Raum und sagte: 'Verstehen wir nicht – das ist ’ne Frau.'"
Die Patientin starb. Heute weiß Regitz-Zagrosek: Frauen gehen anders mit Herzinfarkten um als Männer. "Die Frauen sind nicht konditioniert, bei allen Brustschmerzen schon an einen Herzinfarkt zu denken und die klassischen Symptome zu beschreiben." Frauen klagten eher unspezifisch über Müdigkeit, Übelkeit, gingen oft zu spät zum Arzt – und verschenkten dadurch wertvolle Zeit.

Selbst die Versuchsmäuse sind männlich

"Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrer Biologie: Jede Hirn-, Herz-, Leberzelle ist bei Frauen und Männern unterschiedlich", sagt Regitz-Zagrosek. Die medizinische Forschung ignoriere den Geschlechtsunterschied jedoch weitestgehend. Selbst Tierversuche werden ausschließlich an männlichen Versuchsmäusen vorgenommen:
"Und wenn die männliche Maus – und zwar die junge männliche Maus – der Prototyp aller Dinge ist, dann heißt das: Wir bilden gerade die Männer zwischen 18 und 35 Jahren in unseren Tiermodellen ab. Und für diese Gruppe entwickeln wir Medikamente, testen wir Medikamentenwirkungen, Nebenwirkungen, Sicherheit."

Medizin als Gleichstellungsthema

Tests an weiblichen Mäusen würden nicht gemacht, weil die Forscher befürchten, dass der Zyklus der Mäuseweibchen die Ergebnisse der Experimente beeinflussen könnte.
Das bedeutet letztlich aber, "dass die Frauen oft schlechter versorgt werden, die billigeren Medikamente bekommen, weniger Interventionen bekommen, später behandelt werden." Medizin ist auch politisch – ein Gleichstellungsthema.
Porträt der auf Gendermedizin spezialisierten Ärztin Vera Regitz-Zagrosek.
Die Ärztin Vera Regitz-Zagrosek ist auf Gendermedizin spezialisiert.© Wiebke Peitz
Vera Regitz-Zagrosek will mit ihrer Forschung die Medizin für beide Geschlechter verbessern: "Gendermedizin ist nicht nur für Frauen. Sie ist auch sehr wichtig für die Männer. Zum Beispiel gelten Depressionen als eine typische Frauenerkrankung und werden bei Männern oft unterschätzt oder nicht richtig diagnostiziert." Auch Osteoporose komme bei älteren Männern vor. "Und die Männer lehnen es oft ab, eine solche Frauenkrankheit zu haben." Hier wiederum würden die Medikamente an Frauen getestet, und es sei schwerer, Männer damit zu behandeln.

Das Rätsel der weiblichen Zähigkeit

"Wir Frauen sind zäher gemacht", sagt Regitz-Zagrosek - das zeigten Versuche an weiblichen und männlichen Zellen. Aber auch nach 15 Jahren Forschung gibt es noch keine Antwort, warum das so ist: "Ich möchte wissen, warum die Frauen länger leben und ich möchte wissen, wie wir die Schutzmechanismen der Frauen identifizieren können, um Frauen und Männern besser zu helfen."
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