Ver-rückt in Bordeaux

02.02.2009
In Yoko Tawadas Roman "Schwager in Bordeaux" passiert wenig, im Mittelpunkt stehen die Gedankenblitze der Protagonistin, die in die Beinah-Hafenstadt Bordeaux reist. Das Buch bezaubert durch grazile Wortgewandtheit und überraschende Perspektiven.
Was für ein merkwürdiges, ja verrücktes Buch: Des Merkens würdig und in seinen überraschenden Perspektiven ver-rückt. Freilich muss man keine Angst haben, dass nun literarisierte "Worte zum Sonntag" auf den Leser herabdonnern würden, ein bedeutungshuberndes "Türen öffnen/Brücken überwinden/ Grenzen überschreiten".

Nicht bei Yoko Tawada, nicht bei diesem 1960 in Tokio geborenen und seit Jahren in Hamburg und Berlin lebenden Glücksfall der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Welche Geschichte wird in ihrem neuen Roman "Schwager in Bordeaux" erzählt? Die Ich-Erzählerin Yuna reist eines Tages nach Bordeaux, wo der Schwager ihrer Hamburger Freundin Renée ein Haus besitzt, jedoch aufgrund einer Asienreise abwesend sein wird. Yuna kommt also an in der französischen Beinahe-Hafenstadt - darin ihrem Hamburg vergleichbar, das ja ebenfalls nicht direkt am Meer liegt -, und als sie aus dem Zug steigt, schießen ihren folgende Gedanken durch den Kopf:

"Der Hof vom Bahnhof klang wie Huf. Ein schwarzes Pferd stand vor der Brasserie. Es galoppierte los und verschwand geräuschlos in der Glaswand."

Was aber wäre, wenn diese Assoziationen keineswegs "schießen" würden, weder durch Yunas alias Yokos Kopf noch hinunter auf das bedruckte Weiß der Buchseiten? Was, wenn sie stattdessen eher gleiten, scheinbar mühelos und lapidar, auf modeste Weise über sich selbst erstaunt und die ungeahnten Möglichkeiten des Deutschen, des vermeintlich doch so unsinnlich Spröden?

Vielleicht sollte man ja an dieser Stelle eine zweite Entwarnung geben: In diesem Roman genannten Zauberbuch, in dem nicht allzu viel passiert - Yuna erinnert sich in ihrem temporären neuen Domizil an Hamburger Bekanntschaften und Erlebnisse, am Schluss betritt sie dann das Hallenbad von Bordeaux -, in dem sich alles mit nachdrücklicher Sanftheit durch Sprache und Sprachspiel entwickelt, blubbert in keiner Zeile Elfriede Jelinekscher Vokabelbrei. Auch den Leser letztlich paralysierende Dauer-Poetismen à la Friederike Mayröcker wird man hier vergeblich suchen.

Dafür jedoch eine Definition doppelt "freier" Schreib-Existenz, die es in sich hat:

"Ein Sprichwort sagt: Man isst mit zwei Stäbchen, während man nur mit einem Stift schreibt. Deshalb verdient man mit Schreiben genau die Hälfte von dem, was man für das Essen ausgibt."

Oder:

"Mit der Masse meine ich auch die Intellektuellen, denn davon gibt es massenweise."

Ist dies nun fernöstlicher Pragmatismus auf deutsch? Vor allem ist es ein ebenso sympathisches wie mitunter verstörendes Zutrauen in die deutsche Sprache, verbunden mit einem wachsamen - und nie selbstzufriedenen - Ruhen im Metaphernreichtum und der Beobachtungskomplexität von Yoko Tawadas Ursprungskultur.

"Vielleicht ist jedes Wort ein Musikinstrument","

sagt die Erzählerin, darin in Stil und Intention der deutsch-türkischen Autorin Emine Sevgi Özdamar durchaus verwandt. Sie besucht und betastet die Wörter, stattet sie mit Sinn aus oder räumt den Unsinn beiseite, macht sie wohnlich oder auch befremdlich, doch niemals papiernen:

""Yuna betrat die Badeanstalt in Bordeaux. Kaum hatte sie an das Wort Anstalt gedacht, schon roch es nach Heilung."

Und gewiss kein Zufall, dass die freundlich-rätselhafte Protagonistin, ehe sie aus dieser Geschichte hinausgeht - aber nicht aus unserem Gedächtnis -, eine kurze Panikattacke bekommt: In der Umkleidekabine schien ihr kleines Wörterbuch gestohlen worden zu sein. Eine junge Französin gibt es Yuna dann jedoch zurück - und damit uns Lesern ein weiteres, ein letztes Sprachgeschenk:

"Langenscheidt klingt wie eine Mischung zwischen Leidenschaft, Langeweile, Scheitern und Bescheidenheit."

Rezensiert von Marko Martin

Yoko Tawada: Schwager in Bordeau
Konkursbuch Verlag
Tübingen 2009, 204 Seiten