Ver.di-Chef bekräftigt Streikabsicht

Moderation: Birgit Kolkmann |
Wegen der Streiks im öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg müssen die Bürger nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit Einschränkungen rechnen. Zu Engpässen könne es ab Montag bei der Müllabfuhr oder im Gesundheitswesen kommen, sagte ver.di-Chef Frank Bsirske.
Kolkmann: Herr Bsirske, könnte es sein, dass sich der Streik im Februar dann auf ganz Westdeutschland – und möglicherweise auch Ostdeutschland – ausdehnt?

Bsirske: Das ist, was die Länder betrifft, richtig. Weil wir haben ja eine Situation, wo die Länder zum Teil das Urlaubsgeld, das Weihnachtsgeld schlicht gestrichen haben und wo sie die 40-, 41-, 42-Stunden-Woche eingeführt haben. Also in einer Situation, wo es keinen Tarifvertrag gibt, ein wirklicher, schwerer Konflikt stattfindet. Und parallel dazu entwickelt sich der Konflikt bei den Gemeinden in Niedersachsen, in Baden-Württemberg und Hamburg um die Frage der Arbeitszeit zunächst.

Kolkmann: Auch dort sind ja Urabstimmungen eingeleitet. Ein sehr, sehr klares Ergebnis von 94,7 Prozent in Baden-Württemberg. Erwarten Sie das anderswo auch so?

Bsirske: In der Tat ein ganz eindeutiges und klares Signal, dass die Menschen die Nase voll haben. Sie sehen, wohin es die Arbeitgeber treiben, wenn sie einseitig Vorgaben und Regelungen machen können – das beginnt mit der Arbeitszeitverlängerung, als nächstes kommt dann die Streichung von Lohnbestandteilen. Den Menschen wird erzählt, sie arbeiten zu wenig und sie verdienen zu viel, während gleichzeitig an anderer Stelle die Vorstandsgehälter steigen und steigen. Da ist eine Dynamik der Maßlosigkeit am Werk und die Menschen sagen: Das kann so nicht laufen, das kann so nicht weitergehen, man muss ein Maß setzen, ein Maß entgegensetzen. Ich glaube, aus dieser Haltung heraus lässt sich dieses eindeutige Urabstimmungsergebnis auch mit erklären.

Kolkmann: Das Gegenargument lautet ja nun immer: Es sind doch eigentlich nur 18 Minuten pro Tag, um die es geht, und die seien doch wohl verkraftbar, so wie das Menschen auf dem normalen Arbeitsmarkt auch verkraften müssen.

Bsirske: Das ist ein ganz heuchlerisches Argument, weil verschwiegen wird, dass sich die 18 Minuten am Tag aufsummieren zu 1,5 Stunden in der Woche, zu praktisch zwei Wochen Mehrarbeit für umsonst im Jahr. Und dass umgerechnet in Stellen – und das genau läuft im öffentlichen Dienst, das läuft in den Schichtbereichen, das läuft in Krankenhäusern, Kitas – entsprechend Stellen abgebaut werden können, also Arbeitsplätze vernichtet werden, in einer Situation von fünf Millionen Arbeitslosen, das Falscheste, was man machen kann. So führt man die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Mund, aber in Taten macht man genau das Gegenteil: Man sorgt dafür, dass es noch mehr Arbeitslose gibt. Das finde ich grob fahrlässig und unverantwortlich.

Kolkmann: Sie sprechen von Arbeitsplatzabbau. Muss auch mit einem Qualitätsabbau gerechnet werden bei der Dienstleistung in Kitas, in Krankenhäusern?

Bsirske: In der Tat. Wenn die Arbeitsplätze abgebaut werden, wird ja die Arbeit verdichtet und verlängert für die Übrigen. Und das geht natürlich auch mit Qualitätsminderungen einher, beispielsweise in Kitas. Sie haben die gleiche Situation im Krankenhaus, wo die Arbeitsverdichtung enorm ist, wo die Liegezeiten gesenkt worden sind, gleichzeitig Patientenzahlen gestiegen sind, Personal abgebaut worden ist. Mit dem Ergebnis, dass mittlerweile die Verweildauer von Krankenpflegekräften im Beruf bei nur noch sieben Jahre nach Ende der Ausbildung angekommen ist. Wer diesen Weg weiter vorantreiben will, der gefährdet letztlich auch die Qualität und die Zukunft der Patientenversorgung. Und auch an dieser Stelle wird eine Auseinandersetzung geführt nicht nur im Interesse der Beschäftigten selbst, sondern letztlich auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

Kolkmann: Nun sind die öffentlichen Kassen leer. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf Einsparungen von einer Milliarde Euro verständigt. Das trifft auch die Beamten des Bundes. Wehren die sich nun gemeinsam mit Ihnen, mit ver.di?

Bsirske: Nun, wir haben ja gestern Beamtenproteste erlebt in Hannover, wo ich auf der zentralen Warnstreik-Kundgebung war. Vorgestern waren 700 Beamte, die sich an den Streikmaßnahmen beteiligt haben. Da wird ja auch gesehen: Mit der Arbeitszeitverlängerung werden Übernahmechancen für Auszubildende vernichtet. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übernimmt bis 2011 keine Anwärter, keine Auszubildenden mehr. Es werden Perspektiven von Menschen vernichtet, die Ausbildungsplätze werden abgebaut mit der Arbeitszeitverlängerung. Die Jugend ist getroffen. Ich denke, diese Auseinandersetzung geht auch um die Frage: Welche Chancen, welche Perspektiven eröffnen sich eigentlich den jungen Menschen im Lande? Und das ist dann auch der Grund, warum sich so auffällig viele Auszubildende und junge Menschen an dieser Streikaktion beteiligt haben.

Kolkmann: Sie waren ja gestern auch zu Gast bei einer Personalversammlung im Kanzleramt, zusammen mit dem Vorsitzenden des Beamtenbundes. Haben die nun ähnliche Befürchtungen, was Stellenabbau angeht?

Bsirske: Ganz sicher wird es zu Stellenabbau kommen. Das setzt sich ja eins zu eins um, die Arbeitszeitverlängerung. Und das trifft in den Bundesbehörden auf einen Altersaufbau, der zum Teil durch eine ausgeprägte Überalterung sich auszeichnet negativ. Wir haben beispielsweise Behörden, die mittlerweile einen Altersdurchschnitt von über 50 Jahren haben. Und die Arbeitszeitverlängerung, umgesetzt in eine Vorgehensweise, wo dann im Prinzip auch Auszubildende überhaupt keine Übernahmechancen mehr haben, das verstärkt diese Problemlage, das wird gesehen, und das umtreibt natürlich auch eine ganze Reihe von Beschäftigten mit Sorge.

Kolkmann: Im Kanzleramt, bei der Personalversammlung, war gestern auch die Kanzlerin dabei. Was hat Angela Merkel Ihnen signalisiert?

Bsirske: Frau Merkel steht zu den Beschlüssen der Koalitionsregierung. Das ist keine Überraschung. Und an der Stelle ist deutlich geworden, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt. Und auch um diese unterschiedliche Auffassungen die Auseinandersetzung geführt werden muss.

Kolkmann: Der Präsident des Städtetages, Ude, hat den Streik, den geplanten, kritisiert, "ärgerlich" und "nicht gerechtfertigt" genannt, und die Verhandlungen würden dadurch beeinträchtigt oder gar ganz ausgesetzt. Das heißt, Sie machen nun ziemlichen Druck, das passt den öffentlichen Arbeitgebern natürlich gar nicht. Was haben denn die Bürger zu gewärtigen?

Bsirske: Nun, es wird schon zu Härten kommen, aber ich denke, das sind dann auch Härten, die die Arbeitgeberseite zu verantworten hat. Ich denke, nach über einem Jahr Verhandlungen etwa mit den Ländern, ohne dass sich auch nur irgendwas bewegt hat, ohne erkennbare Kompromissbereitschaft auf Seiten der Länder, wird deutlich, dass hier eine Strömung sich durchgesetzt hat – mindestens auf Länderseite und einzelne kommunale Arbeitgeberverbände schippern im Kielwasser dieser Linie -, die meint, Kompromisse nicht mehr nötig zu haben und Interessenausgleich ersetzen zu können durch Diktat. Diese aufgezogene Auseinandersetzung wird Härten mit sich bringen, aber ich denke, die Arbeitgeber sind diejenigen, die hier die Verantwortung tragen. Für die Bevölkerung werden Härten, denke ich, auftreten, beispielsweise im Bereich der Müllabfuhr. Es werden ganz sicher auch Operationen verschoben werden müssen. Aber wir werden auch auf der anderen Seite natürlich auch sicherstellen, dass Notfälle versorgt werden können, das versteht sich, glaube ich, selbstverständlich von alleine. Und dann muss man sehen, wie sich die Auseinandersetzung weiter entwickelt. Sie kreist auch um die Zukunftsfähigkeit der Dienstleistung im öffentlichen Dienst. Und sie kreist um die Frage, dass Kompromisse und Interessenausgleich die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch in Zukunft prägen. Und das Möllring’sche Konzept des einseitigen Diktats letztlich keine Chance hat.

Kolkmann: Kurz zum Schluss: Wird das ein teurer Streik möglicherweise nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für ver.di? Könnte der Schuss auch nach hinten losgehen?

Bsirske: Nun, wir haben prallgefüllte Streikkassen, das ist völlig klar. Auf der anderen Seite wollen wir natürlich auch Verhandlungen nicht im Wege stehen, im Gegenteil. Wir werden natürlich auch ausloten, wie man zu einem gemeinsamen Ende in dieser Streikauseinandersetzung kommen kann, keine Frage. Und insofern bleibt oder geht die Streikbereitschaft und der Streik einher natürlich auch mit der Bereitschaft, am Verhandlungstisch nach wie vor nach Lösungen zu suchen. Ich setze darauf, dass am Ende Vernunft obsiegt und Arroganz sich nicht durchsetzen kann – eine Arroganz, wie sie Herr Möllring seit über einem Jahr in den Tarifverhandlungen praktiziert hat, der ja der Auffassung ist, er könne auch ohne Tarifverträge wunderbar leben. Wir können das nicht. Wir wollen einen Interessenausgleich per Tarifvertrag durchsetzen. Deswegen und dafür wird jetzt gestreikt.