Venezuela

Vom Ende der Demokratie

Protest gegen Staatspräsident Nicolás Maduro in Venezuela
Protest gegen Staatspräsident Nicolás Maduro am 25. August 2018 in Valencia, Carabobo, Venezuela. © imago/ZUMA Press/Juan Carlos Hernandez
Von Burkhard Birke |
Schritt für Schritt verwandelt Staatspräsident Nicolás Maduro Venezuela in ein undemokratisches Land. Seine politischen Tricks lösen die wirtschaftlichen Probleme mit Hyperinflation und Versorgungsengpässen im Land aber nicht.
Mit einer demokratischen Institution wird die Demokratie ausgehebelt: Mit der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung hat Präsident Nicolás Maduro vor einem Jahr die existierenden demokratischen Institutionen entmachtet. Die "Constituyente" – wie die verfassungsgebende Versammlung auf Spanisch heißt – steht nämlich über allen anderen Einrichtungen des Staates und soll jetzt eine Verfassung zur Rettung des Sozialismus schreiben. Der Staats- und Verwaltungsjurist José Ignacio Hernandez, zurzeit Fellow in Cambridge Massachusetts:
"Seit der Konstituierung der illegitimen und betrügerischen verfassungsgebenden Versammlung im Juli 2017 hat Venezuela aufgehört ein demokratisches Land zu sein. Die Demokratie in Venezuela ist seit dem Aufstieg von Chávez nach und nach abgebaut worden. Venezuela ist ein wettbewerbsfähiger Autoritarismus geworden. Das heißt ein Autoritarismus mit gewissen Freiheiten bei Wahlen, ohne dass diese wirklich frei und transparent sind. Das erklärt weshalb die Opposition im Dezember 2015 die Parlamentswahl gewinnen konnte."

Die Regierung regiert quasi per Dekret

Das Parlament, in dem die Opposition fast eine zwei Drittel Mehrheit hatte, wurde von der verfassungsgebenden Versammlung, der Constituyente, kurzerhand abgesetzt. Die Regierung regiert seither auf Weisung der Verfassungsversammlung quasi per Dekret.
Die Wahl war illegitim, da für die Wahl einer Constituyente laut bolivarischer Verfassung ein Referendum erforderlich gewesen wäre.
Verletzt war auch das Recht "ein Bürger eine Stimme". Gewählt wurde nämlich nicht nur nach merkwürdigem Zuschnitt der Wahlbezirke. So entsandte die Millionenstadt Caracas so viele Vertreter wie kaum besiedelte Bezirke im Amazonasgebiet in die Versammlung. Auch Berufsgruppen und Verbände wählten Vertreter. Viele Venezolaner übten auf diese Weise doppeltes Stimmrecht aus.
Offensichtlich war die Wahl auch massiv gefälscht: Selbst der Betreiber der Wahlmaschinen sprach von mehr als einer Million zu viel ausgewiesener Stimmen. Die Opposition, die diese Wahl boykottiert hatte, glaubt sogar eine wundersame Verdreifachung erkannt zu haben.


Es ist also nur ein Schein- Paradoxon, wenn in Venezuela so häufig wie in kaum einem anderen Land der Welt gewählt wird, die Demokratie aber akut gefährdet ist.
Die Regierung hat die Kontrolle über den laut Verfassung unabhängigen Wahlrat! Mitglieder, deren Mandat längst abgelaufen war, wurden nicht ersetzt. Der Manipulation wurden Tür und Tor geöffnet, behauptet die Opposition.
Das Parlament existiert nur noch auf dem Papier – ist machtlos. Systematisch geht die Regierung gegen allzu kritische Politiker vor. Das Oberste Gericht gilt als willfährig. Ein Gesetz gegen den Hass erleichtert die Verfolgung unliebsamer Kräfte im Land – darunter auch Journalisten. Unbequeme Presseorgane, Radio- und TV Sender wurden im Laufe der Jahre entweder mit Lizenzentzug bestraft oder geschickt über Strohleute aufgekauft.
Systematisch wurden Betriebe gekauft, bzw. verstaatlicht, Gefolgsleute und Militärs als Manager in Firmen wie PDVSA, der staatlichen Erdölgesellschaft, eingesetzt.
Devisen-, Preis- und Produktionskontrollen machen ein freies Spiel der Marktkräfte unmöglich. Der Korruption sind Tür und Tor geöffnet. Das Militär besitzt Kontrolle über die Verteilung und Ausbeutung wichtiger Rohstoffe und Güter. Hyperinflation von bis zu einer Million Prozent, Versorgungskrise, Armut und akute Gefährdung der Demokratie sind die Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die sich allein auf Öleinnahmen stützt.

Die Weichen hat der verstorbene Präsident Chávez gestellt

Die Weichen für diesen Sozialismus des 21. Jahrhunderts hat der 2013 verstorbene langjährige Präsident Hugo Chávez gestellt. Er ist demokratisch gewählt und mehrfach wiedergewählt worden. Chávez hat sogar ein Referendum zu seiner Abberufung überstanden. Statt umzuverteilen und zu demokratisieren – wie er vorgab – war er in den Augen von Autor Hannes Bahrmann jedoch nur ein Caudillo mehr in der Geschichte des Landes.
"Die Revolution von Chavez, die ja zeitweilig sogar das Etikett des Sozialismus des 21. Jahrhunderts trug, ist eigentlich ein Gesellschaftsmodell, das in Lateinamerika seit 200 Jahren tradiert ist: Ein Caudillo gibt die Richtung vor, sagt: Ich kümmere mich um Euch, wenn Ihr mir alle Freiheiten gebt."
Nicolás Maduro versuchte, in die Fußstapfen von Chávez zu treten – infolge eines stark gefallenen Ölpreises allerdings weniger erfolgreich.
Ein Referendum zu seiner Abwahl hat er mit Tricks abgewendet. Mit der Constituyente, in der nur Gefolgsleute sitzen, hat er eine Wunderwaffe geschaffen, die die Demokratie aushebelt. Seine enormen wirtschaftlichen Probleme mit Hyperinflation und Versorgungsengpässen löst aber weder die Constituyente noch die beschlossene Währungsreform, bei der fünf Nullen gestrichen werden.

Hören Sie auch hier zum Thema den Beitrag "Polen: Vom Aushöhlen der Demokratie" von Florian Kellermann, Deutschlandradio-Korrespondent in Warschau.
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