Kommentar

Biennale in Venedig: Wenn die Kunst schweigt

04:16 Minuten
Israelischer Pavillon auf der Biennale in Venedig. Im Fenster hängt ein großer Zettel, der verkündet, dass der Pavillon erst öffnet, wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gibt und die von der Hamas festgehaltenen Geiseln frei sind.
Israelischer Pavillon auf der Biennale in Venedig: Forderung nach einem Waffenstillstand und der Freilassung der Geiseln. © IMAGO / ABACAPRESS
Ein Kommentar von Vladimir Balzer · 17.04.2024
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Der israelische Pavillon auf der Biennale in Venedig bleibt vor dem Hintergrund des Kriegs im Gazastreifen geschlossen. Die Aktion symbolisiere, wie verletzt und verunsichert die israelische Gesellschaft sei, kommentiert Vladimir Balzer.
Es ist spektakulär, wenn ein demokratisches Land seinen Pavillon auf der Kunstbiennale aus politischen Gründen schließt. Das ist neu in der Geschichte der traditionsreichsten Kunstausstellung der Welt.
Die Kuratorinnen haben sich gemeinsam mit der Künstlerin Ruth Patir entschieden, dass die Kunst zu schweigen hat, wenn die Waffen sprechen. Aber eben nicht nur das. Sie wollen beides, sie wollen - so steht es auf einem Plakat am Pavillon - eine Waffenruhe und eine Befreiung der Geiseln, die seit über einem halben Jahr in der Hand der Hamas sind.

Sinnbild für den inneren Kampf

Es ist ein Sinnbild für den inneren Kampf in ihrer Heimat Israel. Künstlerin und Kuratorinnen zeigen, wie verletzt und verunsichert die israelische Gesellschaft ist. Wie sie darum kämpft, die Eskalation im Nahen Osten zu beenden und das eigene Trauma des 7. Oktober zu verarbeiten.
Die Nicht-Eröffnung des eigenen Pavillons ist ein Zeichen an die internationale Kunstwelt: Viele Israelis wollen eine andere als eine rein militärische Lösung. Die Kritik an der Netanjahu-Regierung wächst, das zeigen auch die zunehmenden Demonstrationen auf den Straßen von Tel Aviv.

Normal ist nichts mehr

Das alles spiegelt sich in dieser Aktion auf der Venedig-Biennale wider. Aber es zeigt auch, dass ein normaler Ausstellungsbetrieb im israelischen Pavillon gar nicht denkbar gewesen wäre nach den angekündigten Protesten und den üblichen Boykott-Aufrufen.
Die Vertreter Israels sind dem nun zuvorgekommen, indem sie sich selbst boykottieren. Oder sich schützen, indem sie sich den erwartbar hoch emotionalen Debatten vor Ort entziehen. Der Blick auf die Kunst wäre von vornherein verstellt gewesen.
Die Künstlerin Ruth Patir wollte im Pavillon Arbeiten zum Thema Furchtbarkeit und Mutterschaft zeigen. Sie reflektiert den Erwartungsdruck an Frauen, Kinder zu bekommen. Sie zeigt Brüche und Verletzungen auf, Unsicherheiten. Durch die Glastüren des Pavillons bleiben ihre Werke teilweise sichtbar. So bleibt ein kleines Fenster zur Kunst geöffnet.
Vielleicht darf man die Schließung des Pavillons auch als einen Akt der Kunst verstehen. In jedem Fall erinnert er daran, dass keine größere Kulturveranstaltung mehr ohne aktuelle Weltpolitik auskommt. Das gilt für die documenta, die Berlinale und auch für die Kunstbiennale von Venedig.

Ambivalenz und Unabhängigkeit

Angesichts der Weltlage ist das nicht überraschend. Diese Entwicklung trägt aber auch die Gefahr in sich, dass zwei Dinge unter die Räder geraten, die Kunst ausmachen sollten: Ambivalenz und Unabhängigkeit.
Der israelische Pavillon ist in diesen Zeiten ein besonderer Pavillon. In dieser Hinsicht gelten hier andere Maßstäbe. Zur Normalität sollten aber Schließungen und Boykotte ganz sicher nicht gehören. Die Kunst muss immer zugänglich bleiben. Kein Zensieren, kein Wegschließen, kein Boykottieren. Sie ist nun mal dafür da, sie zu erleben.
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