Veiel: Mutige und radikale Arbeiten finden keine Beachtung

Moderation: Gabi Wuttke · 04.05.2007
Vor der Verleihung der deutschen Filmpreise hat sich der Regisseur Andres Veiel für ein neues System der Preisvergabe ausgesprochen. Die Fördergelder sollten unabhängig von den Preisen durch eine Kommission vergeben werden, sagte Veiel. Der Filmakademie warf er vor, in den vergangenen Jahren mutige und radikale Filme nicht genügend berücksichtigt zu haben.
Gabi Wuttke: Wie die Preise seit drei Jahren vergeben werden, das treibt derzeit Feuilletons und Künstler um, denn die Sieger werden seit 2005 von der Deutschen Filmakademie gewählt. Das sind derzeit 900 Mitglieder mit Günter Rohrbach an der Spitze. Der Präsident hatte Anfang des Jahres eine mordsmäßige Lanze für das von vielen Kritikern wenig geschätzte "Parfum" gebrochen. Dass er auch im Aufsichtsrat der Produktionsfirma von Bernd Eichinger sitzt, die "Das Parfum" finanziert hat – auch wenn Rohrbach in diesem Fall kein Stimmrecht hat –, das ist für Kritiker einer von vielen Schönheitsfehlern der Deutschen Filmakademie. Zu ihnen zählt auch der Dokumentarfilmer Andreas Veiel, guten Morgen.

Andres Veiel: Hallo.

Wuttke: In der "Zeit" sind Sie gestern zitiert worden, die Akademie hätte als Vertretung der deutschen Filmbranche versagt. Wieso?

Veiel: Ich denke, dass den Fall, den Sie gerade genannt haben, Herr Rohrbach, wie er sich eingemischt hat, wie er Stellung bezogen hat, wie er auch in seiner Funktion als Präsident der Deutschen Filmakademie bestimmte Filme und etwa "Sehnsucht", also Filme der Berliner Schule, zumindest wie er es in dem Artikel formuliert hat im "Spiegel" im Januar, ausgegrenzt hat, praktisch die Kritik geschmäht hat, die solche Filme hochschreiben würde und damit sich vom Publikum entfernt, weil solche Filme eben vom Publikum gemieden würden. Damit hat er ein Stück weit Schaden angerichtet – Schaden auch für die Deutsche Filmakademie –, und ich hätte es wichtig gefunden, wenn so etwas passiert, dass diese Debatten dann auch in der Filmakademie geführt werden und nicht jetzt, wie es der Fall ist, eben von anderen, beispielsweise der Berliner Akademie der Künste. Und diese Debatten, das ist nur ein Beispiel für mehrere, sind eben nicht geführt worden. Man hat sozusagen da eine Vogel-Strauß-Politik gemacht, man hat sich mehr oder weniger danach weggeduckt. Und das ist mein Vorwurf an die Akademie – sie muss sich anders profilieren, ich denke, sie kann es auch in Zukunft, aber sie muss eben solche Debatten nicht scheuen, sondern sie muss zeigen, dass sie ein kritischer, vielleicht auch widersprüchlicher Zusammenschluss ist der deutschen Filmemacherszene. Und solche Themen müssen aufgegriffen werden und dann eben auch öffentlich debattiert werden.

Wuttke: Aber Rohrbach hat doch nichts anderes getan, als eine Kritik in die Öffentlichkeit zu heben, indem er gesagt hat, das, was zählt, sind Zuschauerzahlen, und bei "Sehnsucht" von Grisebach waren es eben nur 24.000 im Gegensatz zu über vier Millionen für "Das Parfum".

Veiel: Ja, aber das war ja eine Ohrfeige an die Kritiker, dass sie in dem Sinne sozusagen die falschen Filme hochschreiben, sich vom Publikum entfernen und damit auch ein Stück weit ein Angriff auf die Unabhängigkeit der deutschen Filmkritiker. Und das ist ja erst mal ein Vorwurf, den man unbedingt debattieren muss, und zwar auch mit den Filmkritikern. Und das ist eben nicht passiert, also nicht innerhalb der Deutschen Filmakademie. Und das war mein Vorwurf, dass ich gesagt habe, die eigentlichen Themen, die anstehen, werden in der Deutschen Filmakademie nicht debattiert, sondern man konzentriert sich einzig und allein, zumindest im Moment noch, auf die Ausrichtung des Deutschen Filmpreises, kriegt dadurch natürlich dann sehr viele Negativ-Schlagzeilen und reibt sich dann die Augen, dass insgesamt das Prozedere der Deutschen Filmakademie dann hinterfragt wird, wie diese Preise verliehen werden. Und insofern, glaube ich, besteht da auf jeden Fall sehr viel Verbesserungsbedarf.

Wuttke: Welche Themen werden denn unter den Teppich gekehrt Ihrer Meinung nach?

Veiel: Ganz konkret eben jetzt dieser Anlass, dass eben über die Filmkritik nicht gesprochen würde, aber man könnte sehr viele andere Themen noch aufgreifen, beispielsweise der Einfluss des deutschen Fernsehens auf die Kinokultur. Wir haben ein Fördersystem, wo im Moment bis auf ganz wenige Ausnahmen ohne Fernsehgelder praktisch keine Förderung mehr ausbezahlt wird. Das heißt, indirekt gibt es da solch einen sehr starken Einfluss auch auf die Dramaturgien. Das sieht man bei sehr vielen Filmen, die eine bestimmte Fernsehkonvention dann auch erfüllen. Und von daher sind es Themen, wo es um die Unabhängigkeit der deutschen Kinoproduktionen geht, dass man ein Stück weit – man braucht das Fernsehen zur Finanzierung, aber es ist wichtig auch in ästhetischen Fragen, dass radikale Formen weiterhin eine Chance haben und dass Filmförderung nicht nur dann ausbezahlt wird, wenn man schon einen Fernsehsender im Boot hat. Das ist ein Punkt von sehr vielen, wo ich denke, es ist wichtig, dass darüber geredet wird. Und die Filmakademie kann und soll der Ort sein, wo solche Debatten geführt werden.

Wuttke: Im dritten Jahr des Bestehens der Deutschen Filmakademie ist jetzt also die Diskussion entbrannt, fragt sich, warum war es zwei Jahre still, wenn man sich vor Augen hält, dass deutsche Filmpreise natürlich auch immer einen Glamoureffekt haben und sich die Frage stellt, inwiefern Preise – und wir denken an den Oscar – auch was mit Gerechtigkeit zu tun haben können oder müssen oder sollen.

Veiel: Man muss das jetzt erst mal so sagen: Die Grundidee der Filmakademie ist ja eine gute, dass die Filmemacher sich zusammenschließen, dass man sich auf einer Art Forum begegnen kann, dass sie ein eigenes Bewusstsein entwickeln und auch kämpferisch für ihre manchmal unterschiedlichen Interessen kämpfen. Das ist ein guter Gedanke. Was den Filmpreis selbst angeht, habe ich mir auch gesagt, jetzt beobachten wir das mal – es ist ja wie ein Baby, was da erst mal versucht sozusagen, eigenständig zu krabbeln – und hauen nicht gleich, wo erst mal nur der erste Versuch dafür gemacht wird, gleich zu. Jetzt nach drei Jahren, denke ich, zeichnet sich ab, dass bestimmte Filme, die sagen wir mal mutig und radikal sind, die eben nicht unbedingt mehrheitsfähig sind, aber trotzdem in kulturellem Sinn ganz wichtige Leistungen erbracht haben, dass diese Filme eben dort durch diese Mehrheitsentscheidungen hinten runterfallen. Da gehören Filme jetzt vor allem der Berliner Schule dazu, also von "Sehnsucht" angefangen über "Falscher Bekenner" oder "Lucy". Also dieses ganze Segment – ich könnte da jetzt noch sehr viele andere Titel aufzählen –, es kommt komplett nicht vor.

Wuttke: Herr Veiel, Hark Bohm ist heute in die Diskussion eingestiegen in der "Berliner Zeitung", und der lobt die demokratische Organisation der Akademie, findet schon, dass die deutsche Filmkunst als Ganzes vertreten sei, räumt aber – wenn ich ihn zitieren darf – auch ein, dass die Akademie nun erst mal jung ist und noch dabei ist, sich ein öffentliches Profil zu erarbeiten. Also nimmt das ein bisschen den Wind aus der ganzen Diskussion. Ist da eigentlich mit dieser Bemerkung schon das eingetreten, was Sie eigentlich fordern?

Veiel: Nein, es geht, glaube ich, schon konkret weiter, es geht um etwas anderes. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Fördergelder per se erhalten bleiben, dass man jetzt nicht sagt, man macht es wie die Oscar-Preisverleihung, dass praktisch die Preise vergeben werden, aber ohne die Geldsumme, aber dass diese Gelder, diese drei Millionen Euro, noch mal abgelöst werden vom Preis und dann unabhängig für Filme vergeben werden vom Ministerium über eine Kommission, die – wie es in der Satzung ja heißt – kulturell wichtige Leistungen vollbracht haben. Das heißt eben randständige Filme, mutige Filme, die Filmemacher ermutigen, weiter solche Filme zu machen und die dieses Geld auch ganz dringend brauchen, also dass man eben nicht den Filmpreis wie eine zweite Referenz-Filmförderung benutzt. Das heißt, die Filme, die an der Kasse zum Teil eben schon sehr erfolgreich waren, dass die dann noch einen Preis oben drauf kriegen.

Wuttke: Aber ist "Vier Minuten" nicht ein mutiger Film?

Veiel: Ja, absolut. Es geht für mich nicht darum, jetzt sozusagen jeden einzelnen Film da unter die Lupe zu nehmen und auszugrenzen. Es gibt auch bei dieser Auswahl durchaus mutige Filme, aber – ich habe ja gerade drüber gesprochen – wenn ganze Segmente von Filmen, also die Berliner Schule, die ja auch im Ausland dem deutschen Film noch mal einen ganz neuen Aufschwung gegeben haben, wir sind ja in den 90er Jahren im Ausland überhaupt nicht wahrgenommen worden. Erst jetzt durch solche Filme haben wir wieder einen gewissen Ruf in Ländern wie Frankreich. Wenn solche Filme komplett rausfallen, dann muss man ja schon die Frage stellen, ist dieses, sicher demokratische, Mehrheitsverfahren tatsächlich geeignet, die eigentlichen Kriterien dieses Filmpreises zu erfüllen, nämlich eben mutige, kulturell bedeutsame Filme, denen den nötigen Rückenwind zu geben.

Wuttke: Das heißt, Herr Veiel, der Vorschlag von Ihrem Kollegen Hans Weingartner, die "Lola" zu verlegen, einen Teil für einen Blockbuster und einen anderen Teil fürs Künstlerisch-Innovative, das sollte man durchaus dem Kulturstaatsminister vorlegen.

Veiel: Absolut, das finde ich einen sehr guten Vorschlag. Er bedeutet nämlich, dass eben genau diese Filme, von denen ich gerade gesprochen habe, dass die mittelfristig wieder Rückenwind bekommen, dass Filme, die vielleicht auch erst mal auf den ersten Blick weniger Zuschauer ins Kino locken … Aber es ist ja oft so, dass wenn man mit neuen Formen ankommt, dass die erst mal ungewohnt sind, dass da ein gewisser Gewöhnungsbedarf ist, aber das ist sozusagen die Hefe im deutschen Film. Mit einem gewissen Risiko kommen bestimmte Dinge in Gang, und bestimmte formale Ansätze, die zunächst avantgardistisch wirken oder etwas befremden, werden irgendwann dann auch Mainstream-tauglich. Aber diese Hefe muss man fördern. Und ich denke, dafür ist der Filmpreis da.

Wuttke: Das heißt doch aber auch, um diesen Teig gehen zu lassen. Es klingt ein bisschen sehr deutsch, was Sie gesagt haben, also wir brauchen eine Kommission, wir haben die Akademie, und dann brauchen wir vielleicht noch ein Gremium, und dann sollte da entschieden werden. Der Glamourfaktor, der ist doch aber für die Akademie und auch für die Bundesregierung was ganz Entscheidendes?

Veiel: Ja, das kann man doch zusammenlegen. Da bin ich ganz pragmatisch und sehr undeutsch. Warum soll man nicht zwei Zeremonien an einem Abend absolvieren, wo auch Herr Neumann dann seinen Auftritt hat. Und das ist ja auch richtig. Ich meine, er gibt das Geld für diese Preise, und dann soll er natürlich sich da auch öffentlich repräsentieren können damit, das soll ihm ja nicht genommen werden. Aber ich denke, bloß weil man jetzt für die kulturell bedeutsamen Filme da eine Kommission wieder ins Leben ruft, das finde ich, hat mit Deutschsein nichts zu tun, sondern mit einer sinnvollen Förderpolitik müssen bestimmte Filme eben gefördert werden, die sonst es im Kinoleben schwerer hätten. Und das ist der Auftrag des Deutschen Filmpreises. Insofern finde ich das eher unkonventionell. Und wenn man die beiden Zeremonien an einem Abend macht, dann wird es ein wunderbarer Abend, wo endlich dieses ganze Hickhack und die Streitereien im Hintergrund und im Vordergrund, wo man, glaube ich, sehr viel besser fährt als jetzt, wie man dieses Jahr sieht, wo eben gehackt und gepickt und debattiert wird und das insgesamt der Deutschen Filmakademie nicht unbedingt nützt.

Wuttke: Der Dokumentarfilmer Andreas Veiel mit seiner Kritik an der Deutschen Filmakademie, die heute Abend die Filmpreise vergibt.