Veiel: Filmschaffende sollen nicht nur "Jammertaste" drücken

10.02.2011
Der Filmregisseur Andres Veiel ("Black Box BRD", "Die Spielwütigen") fordert mehr Offenheit und Risikobereitschaft von deutschen Produzenten und Fernsehredakteuren für Filmprojekte jenseits des Mainstreams.
Gabi Wuttke: Berlin ist wieder Filmstadt – heute Abend mit großem Schischi auf dem roten Teppich, aber dann wird es ernst. Im Wettstreit um die Bären der Berlinale, für die in diesem Jahr 16 Filme antreten. Einer davon ist "Wer wenn nicht wir" von Andres Veiel. Zu Gast im Studio wollte ich von ihm wissen, inwiefern seine Dreiecksgeschichte um Andreas Baader, Bernward Vesper und Gudrun Ensslin als Urszene des deutschen Terrorismus verstanden werden kann.

Andres Veiel: Wir gehen mit diesem Film an die Anfänge, das heißt Anfang der 60er-Jahre, Gudrun Ensslin, Bernward Vesper lernen sich in Tübingen kennen, und ich folge diesen Spuren, gehe zurück auch in die Familiengeschichten und werfe damit für mich eben einen neuen Blick drauf, der mich selbst überrascht hat, weil ich dachte, über die Geschichte der RAF weiß ich schon alles. Es sind die vielen Filme mit den bekannten Bilderschleifen – Schüsse auf Benno Ohnesorg, Studentenunruhen, die sind ja alle in der Welt –, und für mich war es die Herausforderung, über eine lange Recherche, über viele Zeitdokumente noch einmal anders draufzugucken und da ganz spannende Trüffel zu entdecken, die es für mich nicht nur sinnvoll, sondern auch richtig notwendig gemacht haben, diese Geschichte noch mal neu und anders zu betrachten.

Wuttke: Welche Trüffel sind das?

Veiel: Die spannende Frage, es fängt an bei den Eltern von Gudrun Ensslin, auch Andreas Baader. Bekannt ist ja immer die Formel, die Gewalt der 68er war eine Gewalt gegen eine faschistoide Elterngeneration. Wenn man jetzt genau hinguckt, stellt man fest, der Vater von Gudrun Ensslin, der Vater von Andreas Baader waren auf dem Weg in den Widerstand. Sie waren nicht wirklich Widerstandskämpfer, aber beispielsweise der Vater von Gudrun sagt in einer Predigt, Hitler mag groß sein, aber Gott ist größer. Das hat ihm ein Verfahren eingebracht, er hat den Kopf aus der Schlinge gezogen, indem er dann sich an die Front gemeldet hat.

Das heißt, da war etwas offen, da war ein Schuldgefühl des Vaters, "ich habe einen halben Schritt gemacht", und er sagt irgendwann mal zu Gudrun Ensslin – in Recherchen bin ich da draufgestoßen: Du kannst es besser machen. Das heißt, es geht nicht um einen Kampf, einen vordergründigen Kampf jetzt, von Menschen, die ihre faschistoiden Väter sozusagen symbolisch umbringen, sondern es geht umgekehrt eben auch um eine Aufladung von den Vätern, die etwas nicht zu Ende gebracht haben.

Wuttke: Vor zehn Jahren haben Sie "Black Box BRD" gemacht, Ihre Dokumentarfilme wurden alle vielfach ausgezeichnet, weil sie so lehrreich wie erschütternd sind, jetzt Ihr erster Spielfilm – warum?

Veiel: Einmal, weil ich Lust habe zu inszenieren, das hatte ich schon immer. Ich habe früher ja Theaterarbeit gemacht, Theaterstücke, zuletzt mit dem "Kick". Zum anderen war es für mich wieder so, ähnlich wie beim "Kick", dass Menschen nicht bereit waren, vor die Kamera zu treten. Das heißt, was nützt das, wenn ich die spannendsten Gespräche habe und mitschreiben kann, aber derjenige dann sagt, ohne mich. Diese Schwierigkeiten, verbunden mit dem Problem, dass einfach sehr viele Menschen tot sind, die in diesem Film ja vorkommen, hat für mich gar keine andere Möglichkeit gelassen, als dann zu sagen, gut, ich gehe in die Inszenierung.

Und es war im Nachhinein die richtige Entscheidung, weil ich trotzdem, aufgrund der genauen Recherche, trotzdem, glaube ich, der Wirklichkeit – ich bilde nicht Wirklichkeit ab, aber ich glaube, ich habe einen sehr für mich auch überraschend anderen Zugriff auf Wirklichkeit gefunden, mit der Übersetzung jetzt von Schauspielern, die sehr präzise, aber gleichzeitig sehr viel offen auch lassen, ein Geheimnis lassen. Das heißt, es wird nicht gesagt für den Zuschauer, genau so ist es gewesen, jetzt klären wir die Wirklichkeit ein für allemal so auf, dass es jeder kapiert, sondern es sind neue Fragen. Es ist ein Paket von Fragen, die in diesem Film drin sind, und ich glaube, dass man deshalb über den Film länger nachdenken kann. Es ist, wenn man so will, in diesen 120 Minuten liegen für mich auch sieben Jahre von wunderbaren Überraschungen und neuen Erkenntnissen, und die sind jetzt kondensiert, sozusagen ein Destillat von diesen sieben Jahren sind in diesen 120 Minuten drin.

Wuttke: Sie klingen ganz zufrieden mit Ihrem neuen Film. Der deutsche Film ist ja auch äußerst produktiv, aber hört man sich in der Branche mal um, dann sticht ein Wort heraus, nämlich Unentschlossenheit. Das sagen Produzenten über Regisseure und so mancher Regisseur über seine Produzenten. Ist der deutsche Markt Ihrer Erfahrung nach tatsächlich in dem, was dann hinten rauskommt, tatsächlich auf Konsens gebürstet?

Veiel: Ja, aber wir haben ja Beispiele wie Oskar Roehler, der manchmal auch danebenhaut, und dann auch richtig mal danebenhaut, aber manchmal auch wunderbar zuschlägt, im besten Sinne. Das heißt, es ist möglich. Es ist eben wichtig, dass wir Verbündete – wir meine ich die Regisseure – dass wir Verbündete suchen, die das unterstützen und natürlich dann auch erwarten müssen, dass unserer Arbeit mit einem gewissen Respekt begegnet wird. Deshalb finde ich es falsch, jetzt da so die Jammertaste zu drücken. Das kommt immer gut, vor der Berlinale sowieso, dass man mal wieder Alarm ruft, und das Problem ist vor allem beim Nachwuchs: Wie schaffen wir Bedingungen, dass Menschen mit eigener Handschrift sich durchsetzen können, vielleicht sogar noch radikaler gedacht, dass diese Handschrift sich entwickeln kann?

Das ist viel komplizierter und widersprüchlicher. Den deutschen Film gibt es ja nicht, es gibt ja eine ungeheure Vielfalt, und ich glaube, dass wir an den Rändern stärker Mut machen müssen, dass auch die Fernsehredakteure – da gibt es einige Verbündete, die es zum Teil schwer haben, weil sie eben auch etwas riskieren – und dass wir insgesamt diese Risikobereitschaft in allen Segmenten erhöhen müssen. Das heißt natürlich auch, dass wir das Risiko laufen, dass wir mit diesem oder jenem Film, dass er danebenliegt und dass er vielleicht erst in fünf Jahren als wegweisend erkannt wird – dass es heute heißt, er hat nur 150.000 Zuschauer, ein totaler Flop, aber dann merkt man, dass es der Renner wird auf dem DVD-Markt, ein sogenannter Longseller.

Ich erinnere nur an die Filme von Stanley Kubrick, wo immer draufgehauen wurde, fast bei jedem Film nach der Premiere sind entweder die Kritiker enttäuscht, das Publikum war enttäuscht, und das sind alles Leuchttürme – jeder Film für sich ist ein Leuchtturm gewesen. Und ich glaube, dass es hier um einen anderen Erfolgsbegriff geht, dass man eben auch kurzfristig wirtschaftlich denken darf und muss, aber dass es auch darum geht, dass wir sagen, vielleicht ist ein Film auch dann wichtig, wenn jemand nach zehn Jahren zu mir kommt und sagt: Dieser Film, den vergess ich nicht, der geht mir immer wieder nach – ich war damals zweimal im Kino, und das ist immer noch ein wichtiger Film. Und das ist auch ein Erfolgskriterium.

Wuttke: Zum Auftakt der Berlinale im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Regisseur Andres Veiel. Sein Film "Wer wenn nicht wir" kämpft im Wettbewerb um einen Bären.