Vegetarismus im Islam

Blumenkohl statt Schlachtopfer

08:49 Minuten
Zwei geschmückte Rinder warten mir ihrem Händler auf Kunden im Vorfeld des bevorstehenden Opferfestes.
Zwei geschmückte Rinder warten mir ihrem Händler auf Kunden im Vorfeld des bevorstehenden Opferfestes. © imago images / Xinhua
Von Kirsten Dietrich · 11.08.2019
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Zum muslimischen Opferfest gehört das Schlachten eines Tieres. Denn das Fest erinnert an die Geschichte von Ibrahim, der anstelle seines Sohnes schließlich ein Tier opferte. Vegetarisch lebende Muslime stellt das vor große Herausforderungen.
"Für mich kommt ein rein vegetarisches Opferfest nicht unbedingt in Frage, weil für mich das Fleischessen dazugehört."
"Wir haben eine wachsende Zahl an Vegetariern unter Muslimen, die auch bewusst am Opferfest kein Fleisch verzehren und Alternativkost zu sich nehmen."
Ein Fest, zwei muslimische Positionen: Zum Ritus des am Sonntag beginnenden und am Donnerstag endenden Opferfestes gehört das Schlachten, und deswegen stellt das Opferfest wie kein anderer Feiertag im muslimischen Kalender die Frage: Wie geht das zusammen, Islam und Vegetarismus?

Der Koran erlaubt das Essen von Fleisch

"In der Tat haben wir im Koran eine klare Erlaubnis, Fleisch zu konsumieren", sagt die islamische Theologin Asmaa El Maaroufi. Sie forscht an der Universität Münster zu Tierethik im Islam. "Mehr noch, wir haben sogar das alljährliche Opferfest, das möchte, dass Muslime eben jährlich ein Opfertier schlachten in Erinnerung an Abraham, den Propheten, der uns mit dem Judentum und dem Christentum auch eint, und dadurch wird eben jedes Jahr ohnehin ein Tier geschlachtet, für diejenigen, die finanziell in der Lage sind, das zu tun."
"Siehe, das war die klare Prüfung! Durch ein herrliches Schlachtopfertier schafften wir Ersatz für ihn." (Koran, Sure 37, Verse 106f)
Das Tier als Ersatz für ein Menschenopfer: Gott testete Abrahams Glauben und Gehorsam. Er ging dabei aber nicht bis zur letztmöglichen Konsequenz, der Opferung des eigenen Sohnes. Das Opfertier – die menschenfreundliche Alternative. Aber auch wenn das Schlachten zum Opferfest gehört: Heißt das, dass damit auch jeder Muslim und jede Muslimin Fleisch essen muss?
Die islamische Theologin Asmaa El Maaroufi lebt vegetarisch. Sie betont: Diese Erzählung von Gottvertrauen und Ergebenheit wird nicht erst dadurch gültig, dass man auch wirklich das Fleisch des Opfertieres kaut: "Also es ist eine Aufforderung, aber dennoch ist darin keine Verpflichtung. Es nicht zu tun, stellt keine Sünde dar. Demnach mache ich mich nicht sündig, wenn ich von diesem Fleisch nicht esse."

Heimlich Fleisch in der Suppe

Gülcan Nitsch hat andere Erfahrungen gemacht: "Also, meine Mutter hat rebelliert und gesagt: Du bist doch so schlank, du kannst doch nicht einfach aufhören, Fleisch zu essen! Und dann hat sie gesagt: Wir Moslems sind sogar verpflichtet, Fleisch zu essen. Es ist unsere Aufgabe, Tiere zu töten und zu essen, wir haben doch unser Fest."
Gülcan Nitsch war schon immer Tierfreundin, hat Biologie studiert und dann als junge Frau allmählich eine Abneigung gegen Fleisch entwickelt. Bei der Familie kam das gar nicht gut an, erzählt sie:
"Ich habe wirklich die ersten Jahre, wenn ich meine Verwandtschaft besucht habe und wenn ich in der Türkei war, ziemlich darunter gelitten. Es gab heftige Diskussionen. Es gab Fälle, wo dann versteckt Hackfleisch in die Gemüsesuppe reingetan worden ist, was ich vorher nicht gemerkt habe und wo mir nichts gesagt worden ist."

Als Vegetarierin außerhalb der Festgemeinschaft

Fleischessen als Ausdruck eines guten Lebens – mit Diskussionen über vegetarischen Lebensstil als Ausdruck eines tier- und umweltfreundlichen Bewusstseins kommt man dagegen besonders in den Tagen um das Opferfest nicht gut an, sagt Gülcan Nitsch.
"Und dann habe ich gesagt: Das mach ich nie wieder, in der Türkei in dieser Zeit die Verwandtschaft zu besuchen. Ich hab mich so ausgeschlossen gefühlt."
Auch die islamische Theologin Asmaa El Maaroufi erzählt, wie wichtig das gemeinsame Essen beim Opferfest ist. Deswegen ist die überzeugte Vegetarierin da zu Kompromissen bereit – noch. "Ich muss gestehen", sagt sie, "die letzten Jahre habe ich das immer so gehandhabt, dass ich mich mit an den Tisch gesetzt und auch mitgegessen habe, so dass es eben die letzten Jahre so war, dass ich jährlich Fleisch gegessen habe, zu diesem Anlass."
"Heute sind euch erlaubt die guten Dinge, und die Speisen derer, denen das Buch gegeben ward, sind euch erlaubt. Und eure Speisen sind ihnen erlaubt." (Koran, Sure 5, Vers 5)

Mit Fleisch wird die spirituelle Dimension fassbarer

"Eben zu gucken, wo stehe ich eigentlich in dieser Welt und wie konsumiere ich – das ist ein Thema, aber die Mehrheit isst Fleisch." Sagt Iman Andrea Reimann. Sie leitet die muslimische Kindertagesstätte "Regenbogen Kidz" in Berlin – und kann sich ein Opferfest ohne Fleisch eigentlich nicht vorstellen. Aus religiösen Gründen, wegen der engen Verbindung zur Überlieferung über den Propheten Abraham.
"Mit dieser besonderen Geschichte mit seinem Sohn", sagt Reimann, "dass man sich überlegt, was würde ich denn alles hinter mir lassen. Man soll eigentlich über sich nachdenken und über seine Beziehung zu Gott, das soll mit diesem Opfertier ja ausgedrückt werden."
Und trotzdem kocht Reimann inzwischen auch vegetarisch, wenn sie Freunde am Opferfest zum Essen einlädt: "Wenn ich weiß, es gibt in meinem Freundeskreis Leute, die kein Fleisch essen, dass ich ihnen eine gute Alternative anbiete. Dass sie nicht nur die Kartoffeln essen müssen, weil das finde ich dann irgendwie traurig."

Nur zum Opferfest kann man sich Fleisch leisten

Denn beim Opferfest gehe es um Gemeinschaft. Um die am eigenen Tisch, an dem eben auch unter Muslimen immer häufiger auch Vegetarier und Veganerinnen sitzen. Aber auch um die Gemeinschaft weltweit. Da bekommt das Fleischessen noch einmal eine besondere Dimension.
"Es gibt sehr viele arme muslimische Länder, wo das Opferfest der einzige Termin im Jahr ist, wo die Leute, wenn sie eine Spende bekommen, wirklich Fleisch essen können", sagt Iman Andrea Reimann. "Das hat noch mal einen ganz anderen Stellenwert. Deswegen gibt es immer diese Kampagnen vor dem Opferfest, wo man angeregt wird, zu spenden, damit woanders die Leute Fleisch essen können. Also ein Opfertier haben, das sie dann schlachten können."

Vegetarische Option beim Spenden

Aber auch diese weltweite muslimische Solidarität muss sich damit auseinandersetzen, dass vor allem in westlichen Überflussgesellschaften Fleischkonsum immer häufiger diskutiert und auch kritisiert wird. So ruft das interreligiöse Projekt "House of One" in Berlin zum Opferfest zu Spenden für Bedürftige in der Zentralafrikanischen Republik auf – in zweierlei Gestalt: Es gibt eine religiös begründete Kurban-Gabe aus Fleisch und eine sogenannte vegetarische Option, sagt Celal Findik:
"Wir haben uns extra ein vegetarisches Hilfspaket überlegt, wo dann zum Beispiel Nudeln, Reis, Öl – neben dem Fleisch – als Grundlebensmittel dabei sind."
Celal Findik aus dem Stiftungsrat des House of One organisiert die Spendenaktion. Vegetarier ist er nicht. Er betont sehr, dass das vegetarische Hilfspaket eben keine religiös begründete Gabe sei. Aber nur Fleisch zu spenden, lasse sich inzwischen einfach schwerer vermitteln.
"Es gibt halt solche Menschen, die einfach aus ihren vegetarischen Gründen an solchen Aktionen nicht mitmachen würden, nicht mitmachen können. Deswegen wird das auf jeden Fall eine tolle Alternative sein, um die Menschen, die an dieser Hilfsaktion teilnehmen wollen, zu begeistern."

Die muslimische Kita isst vegetarisch

Vegetarisch oder vegan Leben – das wird also auch unter Muslimen und Musliminnen immer mehr zum Thema. Manchmal aus ganz praktischen Gründen: die Kinder in der Kita von Iman Andrea Reimann essen zum Beispiel vegetarisch – meistens jedenfalls. Denn nicht einmal in Berlin lässt sich Kitaessen beziehen, das wirklich den islamischen Speisevorschriften entspricht. "Es gibt einen vegetarischen Caterer", sagt Reimann, "das kommt uns sehr entgegen. Weil man dann weiß: In den Töpfen gibt es eben nur Gemüse und nichts anderes. Und einmal die Woche kochen dann die Eltern, dann gibt es Fleisch."
Die Biologin Gülcan Nitsch möchte vegetarisches Leben aus dem Status einer Notlösung herausholen. Sie hat in Berlin den Verein "Yeşil Çember", Grüner Kreis, gegründet und macht dort interkulturelle Umweltbildung.
"Ich sensibilisiere die türkische Community, damit sie den Fleischkonsum reduziert", sagt Nitsch. "Das macht mich stolz und freut mich, dass das geht. Im Koran steht ja nicht, dass man jeden Tag Fleisch essen soll. Es ist eine kulturelle Entscheidung. Religion kann ich nicht verändern, aber die Kultur, dass da weniger Fleisch gegessen wird."
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