Vatikan prägt neue Latein-Vokabeln

Von E-Mail bis Präservativ

Ein Priester im Vatikan telefoniert mit einem Smartphone.
Moderne Ansprache: Technische Neuerungen machen auch vor dem Vatikan nicht Halt. © picture alliance / dpa / Maxppp / Riccardo De Luca
Von Thomas Migge · 13.01.2019
O tempora o mores! Wer spricht in Rom eigentlich noch Latein? Selbst der Papst und die Kardinäle verwenden die Sprache der Weltkirche kaum noch. Um sie lebendig zu halten, erfindet eine vatikanische Kommission neue Vokabeln für das 21. Jahrhundert.
Wenn es darauf ankommt, versteht Roberto Spataro sich auszudrücken wie ein antiker Rhetor: wortreich und in einer Art und Weise, wie höchstwahrscheinlich auch Cicero und Seneca gesprochen haben. Der katholische Geistliche lehrt als Professor am Pontificium Institutum Altioris Latinitatis, einer Salesianerhochschule im Norden Roms. In der italienischen Kirche eilt dem Altphilologen ein Ruf als Latein-Koryphäe voraus. Spataro ist fest davon überzeugt, dass die Sprache der alten Römer sehr wichtig ist, auch heute noch.
Spataro: "Durch das Verständnis dieser antiken Sprache können wir die Geschichte Europas besser verstehen, um auf diese Weise Gegenwart und Zukunft besser einschätzen zu können. Durch die Kenntnis einer anderen Welt, der römischen Antike, wird der kritische Geist enorm geschärft."
Und deshalb plädiert der Chef-Lateiner seiner Hochschule für regelmäßigen Lateinunterricht an Italiens Schulen. Denn dort, so klagt er, seien immer weniger junge Leute an diesem Lehrfach interessiert. Und: es werde immer seltener als Unterrichtsstoff angeboten. Dabei, so Spataro, biete Latein viele sprachliche Kniffe – und auch Kraftausdrücke - die doch eigentlich bei intelligenten jungen Leuten ankommen müssten.

Eine päpstliche Stiftung zur Pflege der Sprache

Spataro lehrt nicht nur Latein an der Salesianeruniversität. Er ist auch Sekretär der so genannten Pontificia Academia Latinitas, der 1976 von Papst Paul VI. gegründeten Latein-Stiftung der katholischen Kirche. Ihr Ziel: das Studium und die Verbreitung der antiken Sprache. Nicht nur, um sich mit den Texten antiker Autoren und Kirchenväter auseinanderzusetzen. Die Latinitas-Stiftung und die Salesianeruniversität verfolgen auch ein geopolitisch-religiöses Ziel, erklärt der Fachmann.
Spataro: "Die katholische Kirche ist ja eine multinationale, internationale Gemeinschaft. Deshalb braucht und nutzt sie eine Sprache, die ihrer historischen Besonderheit entspricht. Sie könnte natürlich auch eine moderne Sprache verwenden, die weltweit von einer Mehrheit der Menschen gesprochen wird – wie etwa das Englische. Das aber würde einer bestehenden nationalen oder auch ethnischen Gemeinschaft ein sprachliches Vorrecht einräumen. Und das will die Kirche nicht, denn damit würde sie nicht mehr das spezifisch Katholische respektieren, zu dem auch das Latein gehört."
Offiziell werden sämtliche Dokumente der Päpste immer noch in Latein verfasst und veröffentlicht. Im vatikanischen Staatssekretariat existiert deshalb eine eigene Abteilung für die lateinische Sprache. Acht Mitarbeiter übersetzen und korrigieren dort die päpstlichen Dokumente.

Jüngere sprechen Englisch

Doch immer mehr Bischöfe und Kardinäle, von normalen Geistlichen ganz zu schweigen, kennen sich in der Sprache von Augustinus und Thomas von Aquin nicht mehr aus. Deshalb wird bei Synoden, wie jüngst der Jugend-Synode in Rom, dann doch vor allem Englisch gesprochen.
Eine Schande sei das, meint Ivano Dionigi, Lateinprofessor und Präsident der päpstlichen Lateinakademie in Rom.
Dionigi: "Das Interesse für diese Sprache muss schon deshalb verstärkt werden, weil es bis ins 20. Jahrhundert hinein die Sprache der Intellektuellen war – und das nicht nur in der Kirche. An allen kirchlichen Hochschulen sollte Latein Pflichtfach sein, um die kirchlichen Texte übersetzen zu können. Es geht doch nicht an, dass ein Geistlicher oder ein Theologe kein Latein versteht!"
Das Argument, Latein sei eine tote Sprache, lassen Dionigi und Spataro schlicht nicht gelten. So wie es in Israel, an der staatlichen Universität von Jerusalem, eine akademische Institution gibt, die die alte jüdische Sprache, die ja ebenfalls schon in der Antike gesprochen wurde, mit immer neuen Worten anreichert, die vor 2000 Jahren noch nicht existierten, so gibt es auch in Rom Experten, die das Lateinische modernisieren. Mit ihren ausgezeichneten Lateinkenntnissen versuchen diese Fachleute, heute gebräuchliche Worte ins Lateinische zu übersetzen. Worte, die dann auch in päpstlichen Schriften Anwendung finden.
Spataro: "Bei der Wiedergabe von modernen Begriffen haben wir den Vorteil, dass diese antike Sprache ungemein reich ist. Denn bis weit in die Moderne hinein nutzte die Welt der Wissenschaft, der Theologie etc. diese Sprache. Man kann also mit all den lateinischen Begriffen, die uns heute zur Verfügung stehen, Neologismen schaffen, neue lateinische Worte."

Neues Latein für das 21. Jahrhundert

Wenn die Päpste etwa das Thema "Börsenspekulation" ansprechen, dann können sie auf den Begriff der "speculatio bursae" zurückgreifen. Die organisierte Kriminalität in Neapel, die Camorra, wird latinisiert "neapolitarum latronum grex" genannt, nach dem schon in der römischen Antike gebräuchlichen Begriff "latronum grex" für Räuberbande.
Der Computer heißt in Neulatein "instrumentum computatorium". Eine E-Mail ist eine "litterae electronicae" und wenn Papst Franziskus in offiziellen Schreiben über die Erdbeben spricht, die während seiner Amtszeit Italien erschütterten, nutzt er das Wort "terrae motus".
Ob Gewerkschaft – "opificium collegium" – oder Glühbirne – "lampada electrica" – Heringssalat – "acetaria aringorum" – oder Barkeeper – "tabernae potoriae minister": Latein ist alles andere als eine tote Sprache, frohlockt Lateinexperte Dionigi.

Quelle der kulturellen Identität

Dionigi: "Heute, da wir es mit immer neuen Phänomen, Kulturen und Lebensrealitäten, sowie mit der Globalisierung zu tun haben, ist es äußerst positiv, eine weitere Zugangsmöglichkeit zu unserer Vergangenheit und unserer kulturellen Identität zu haben. Das hat mit einer bestimmten Religion nichts zu tun, es hilft uns aber, kulturell besser gerüstet zu sein."
Und so gibt die von Dionigi geleitete Lateinakademie der Päpste nicht nur eine jährliche Zeitschrift mit dem Titel "Latinitas" heraus, die – natürlich in Latein - die Themen aus den verschiedensten Wissensbereichen anspricht. Die Akademie organisiert auch Lateinkurse und Konferenzen. Außerdem publiziert sie das "Lexico recentis Latinitatis", das offizielle Lateinlexikon der katholische Kirche, mit mehr als 15.000 Wortneuschöpfungen. Der Redaktion gehören die weltweit angesehensten Lateinexperten an.
Hier finden sich auch Worte, die viele Kirchenmänner und selbst Papst Franziskus nicht unbedingt so gern nutzen: wie etwa "praeservativum", das auch "tutamentum" genannt werden kann. Oder "divortium", die Scheidung, "puerorum amans" für Pädophilie oder auch "abortus" und "abortio".
Mehr zum Thema