Vater Staat als Erzieher seiner Bürger

Wir brauchen eine Sprache der Menschlichkeit!

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Sprache kann ein Machtinstrument sein. Das zeigt sich auch darin, wie staatliche Behörden die Bürger ansprechen. © imago stock&people
Von Boris Kalbheim · 19.07.2018
Meist geht es beim Thema "sprachliche Gewalt" um Sexismus, Rassismus und Homophobie. Dass staatliche Behörden die Bürger mit entwürdigender Sprache herabsetzen, wird allerdings oft übersehen – eine Intervention des Pädagogen Boris Kalbheim.
Worte sind Waffen, das weiß man nicht erst seit den jüngst wieder heftig geführten Debatten über rassistische und sexistische Sprache. Diese Debatten sind wichtig, auch wenn sie manchmal übers Ziel hinaus schießen. Daneben gibt es aber auch andere Formen erniedrigender Sprache, auf die deutlich seltener hingewiesen wird. Erniedrigende entwürdigende Sprache, Sprache, die Menschen verletzt, ohne Ansehen des Bettgenossen, der sekundären Geschlechtsmerkmale oder der Hautfarbe.

Der Arbeitssuchende: "Kunde", aber nicht König

Zum Beispiel überall da, wo Menschen um Geld bitten müssen, etwa bei der Überprüfung der Pflegestufe oder im Jobcenter. Da wird mit Sprache allzu oft herabgesetzt. Da kann es passieren, dass sich ein Arbeitgeber und ein Jobvermittler einig werden: "Sie kriegen, was sie haben wollen", heißt es dann vom Jobvermittler. Er sagt das zum Arbeitgeber und nicht zum Arbeitssuchenden. Gemeint ist auch nicht der junge, arbeitswillige Mann, sondern die Euros vom Staat. Und der junge Mann steht daneben, während andere sich über sein Schicksal die Hände schütteln.
Dabei wird doch gerade in der Arbeitsvermittlung auf Sprache geachtet: Der Jobvermittler heißt Fallmanager. Der Arbeitslose ist sein Kunde. Kunde – das klingt wie: "Der Kunde ist König". Aber Fallmanager und Fallmanagerinnen sind wohl nicht sehr königstreu, denn zum Kunden sagen sie schon ein mal: "Ich stecke Sie in eine Maßnahme!" Mit der klaren Ansage: Du machst, was ich sage, oder ich kann dich zwingen zu tun, was mir gefällt, ob es sinnvoll ist oder nicht. Und die meisten solcher "Maßnahmen" tendieren zur Sinnlosigkeit, im März mahnte der Bundesrechnungshof das an.
Jedoch: Sinnlos sind solche Maßnahmen vor allem für die "Kunden", nicht aber für die "Träger einer Maßnahme", denn die Träger verdienen an diesen Maßnahmen. Dazu verteilen sie Arbeitssuchende zum Beispiel auf Firmen, und dann erklärt ein solcher Träger: "Dann haben die Firmen ja billige Arbeitskräfte." So sagt der Träger frei heraus, in Anwesenheit der Männer und Frauen, die da arbeiten. Für einen Hungerlohn, verteilt vom Jobcenter wie Almosen, ohne Perspektive auf eine ehrliche Arbeit.

Wenn der Staat erzieht, werden aus Bürgern Kinder

Und wenn so ein Arbeitsloser, ein Kunde oder eine Kundin, in einer solchen Maßnahme drinsteckt, dann wird sie erzogen. Da wird dem dreißigjährigen ausgelernten Maurergesellen schon einmal ins Gesicht gesagt: "Du kannst auch nach Hause gehen." "Du", nicht "Sie", und in einem Ton, wie man mit einem Schuljungen schon nicht sprechen sollte.
Dahinter steht eine Strategie: Der helfende Staat wird zum Erzieher. Die Arbeitslosen müssen erzogen werden, denn sie benehmen sich nicht so, wie man es sollte. Das bedeutet auch: Aus erwachsenen Mitmenschen werden Kinder. Unartige Kinder, denen man nur mit strenger Sprache und Bestrafung beikommt.
Sind das demokratische Strukturen, sind das gleichberechtigte Umgangsformen? Ich kann das nicht erkennen. Und die Sprache drückt sie aus, diese Ungleichberechtigung.

Sprache regelt das Denken

Sprache regelt das Denken, natürlich. Umso dringender brauchen wir eine Sprache der Menschlichkeit. Eine Sprache, die Menschen als Menschen ernst nimmt, und mehr noch: Als Mitbürger. In einer demokratischen Gesellschaft ist der Mitmensch nämlich Mitbürger, und gemeinsam sind wir Mitbürger der Souverän im Staat. Und so wie ich nicht mehr erzogen werden möchte, so sind Strukturen falsch, in denen erwachsene Menschen behandelt werden wie kleine Kinder, wie Abweichler von dem, was sich gehört.
Es geht um Achtung in der Sprache, um Achtung gegenüber dem Anderen, und solch eine Achtung kann ihre eigene Sprache finden. Ich hoffe es sehr, dass die Gesellschaft gegen entwürdigende Sprache einmal so sensibel wird wie gegen sexistische und rassistische Sprache.

Boris Kalbheim, 50, hat in Deutschland und Frankreich Theologie studiert, war wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Niederlanden und Religionsleher. Gegenwärtig ist er akademischer Rat für die Lehrerausbildung an der Universität Würzburg.

Der Theologe Boris Kalbheim
© Foto: privat
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