Vandalismus

Von Lorenz Jäger |
Es gibt große Meldungen, und es gibt solche, die über die Lokalzeitungen oder die regionalen Beilagen der größeren Blätter nicht hinauskommen. Zu diesen gehören die Nachrichten über den Vandalismus. Meist erfährt man von solchen Akten ja nur dann, wenn Gotteshäuser oder andere Einrichtungen nichtchristlicher Religionen betroffen sind und mithin ein ausländerfeindlicher Hintergrund der Straftaten vermutet werden darf, manchmal gelangen auch Friedhofsschändungen in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit.
Wer das wirkliche Ausmaß sinnloser Zerstörung in der Bundesrepublik kennen lernen will, der sollte bei Google-News das Stichwort „Vandalismus“ eingeben, die Ausbeute ist erschreckend groß, jeder Tag gibt uns neue Fakten.

Glasscherben auf Kinderspielplätzen findet man, zerstochene Autoreifen oder die folgende Meldung der Kölner Polizei vom 16. Juni, der sich zahllose andere zur Seite stellen lassen:

„Unbekannte Täter gelangten nach dem Überklettern eines Zauns auf das Gelände der Kindertagesstätte und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Sie besprühten eine Fläche von drei mal zwei Metern, beschädigten die Überdachung eines Fahrradständers, bearbeiteten mehrere Büsche und Bäume mit einem Beil oder Messer und hinterließen Scherben und leere Flaschen.“

Man tut sich schwer mit der Erklärung solchen Verhaltens. Der Soziologe Helmut Schoeck hat sich vor rund vierzig Jahren erstaunlich hellsichtig mit den Anfängen dieses Phänomens beschäftigt und es aus dem Grundgefühl des Neides abgeleitet: Der Vandale ist demnach einer, der sehr genau weiß, dass er in seinem späteren Leben niemals ein Büro oder einen Arbeitsplatz haben wird, der mit ähnlichem Komfort, vielleicht mit ähnlicher Liebe ausgestattet ist wie etwa die von ihm zerstörte Schule.

Jedenfalls hat sich die Jugendsoziologie inzwischen des Themas angenommen, man spricht von einem „action-zentrierten“ Tätertyp. Andere reden etwas beschwichtigend davon, und fast hätte man das Erklärungsmuster ja erraten können: dass sich im Vandalismus ein grundsätzlich verstehbarer Protest gegen ein Übermaß an Ordnung ausdrücke.

Was Helmut Schoeck nicht sah, war die schiere Zahl der Vorfälle, mit denen wir es heute zu tun haben, seit den französischen Krawallen des vergangenen Herbstes und den brennenden Autos, die ja schon lange zuvor als Silvester-Volkssport in den Vorstädten von Straßburg galten.

Niemand spricht anlässlich solcher Taten gerne vom Bürgerkrieg. Einer hat es getan, Hans Magnus Enzensberger, der vor einigen Jahren ein Buch darüber veröffentlichte. Nur die Summe dieser Vorfälle war es, die Enzensberger beunruhigte. Tatsächlich könnte sich aus diesen kleinen Lokalmeldungen, wenn man sie einmal sammelte, ein eindrucksvolles Bild der Gegenwart zusammensetzen.

Wenn ich nun eine andere dieser kleinen Nachrichten hinzunehme, dann in der Absicht, einmal von der ausschließlich jugendbezogenen Sicht auf den Vandalismus loszukommen. Ich las also vor einiger Zeit etwas über eine Gedenktafel für die zwischen 1914 und 1918 gefallenen deutschen Soldaten. Sie findet sich in der Eppsteiner Talkirche.

Unter dem Bild eines behelmten Ritters steht die Inschrift „Im Weltkrieg 1914 – 1918 / Starben für das Vaterland / Aus Eppstein“ – und dann folgen die Namen, auch jene aus den Nachbargemeinden Vockenhausen und Fischbach. Rechts und links des Ritters steht der Vers des alten lutherischen Kirchenliedes „Das Reich muß uns doch bleiben“.

Es war die, wie es hieß, „stahlhelmähnliche Kopfbedeckung“ des Ritters, die den Unmut der Pfarrerin Heike Schuffenhauer erregt hatte. Man wollte in diesem Kreis, eine, so sagte man, „neutralere Form“ der Erinnerung, bei der der Ritter abgedeckt werden sollte. Nur die Gemeinde machte nicht mit. Haben denn die Leute noch nie gehört, dass nach einem allerhöchsten Gerichtsurteil Soldaten als Mörder bezeichnet werden dürfen – und sie folglich mit der Abdeckung des Ritters noch vergleichsweise gut davongekommen sind?

Denn der inzwischen gefundene Kompromiss lässt doch immerhin den armen Ritter unbeschädigt, nur beim Gottesdienst wird er zugehängt. Gern wüsste man mehr über solche Aktionen und auch darüber, welche Kriegerdenkmäler inzwischen einem stillen Verfall oder den Graffiti-Künstlern preisgegeben wurden.

Es gibt den Vandalismus der Glasscherben und der Sprayer. Und es gibt einen leisen kulturrevolutionären Vandalismus von oben. Wo es um Kriegerdenkmäler geht, kommen sie manchmal zusammen. Beide sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Lorenz Jäger geboren 1951, Journalist und Autor, ist Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Adorno. Eine politische Biographie“ bei der Deutschen Verlagsanstalt.