Vandalen

Zu Unrecht in Verruf geraten

Ein Schild an einem Behinderten-Aufzug in Nürnberg.
Ein Schild an einem Behinderten-Aufzug in Nürnberg: Bis heute gelten die Vandalen als schlimme Unholde. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Arno Orzessek · 20.08.2014
Der Begriff "Vandalismus" ist besonders populär, führt aber historisch in die Irre. Denn die umgangssprachlichen Vandalen müssen tatsächlich das ausbaden, was de facto die Jakobiner ausgefressen haben.
Mit dem Rufmord ist es wie mit dem echten Mord: Man kennt hinterher zwar das Opfer, aber nicht unbedingt den Täter. Anders im Fall der Vandalen. Man weiß, wer ihr schlechtes Image zu verantworten hat.
Das germanische Volk der Vandalen war schon über 1000 Jahre aus der Geschichte verschwunden, als Henri Grégoire im August 1794 im französischen Nationalkonvent eine einflussreiche Schrift vorlegte. Sie hieß: Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme - deutsch etwa: "Bericht über die durch den Vandalimus bewirkten Zerstörungen".
Eigentlich zielte Grégoire, der politisch aktive Bischof von Blois, auf die Jakobiner ab. Er prangerte an, sie würden in post-revolutionärem Wahn morden und christliche Kunstwerke sinnlos zerstören.
Indem Grégoire aber im Titel des Werks die Vandalen in das neue Hauptwort "Vandalismus" einschrieb, schlug er eine suggestive Brücke zu deren berüchtigsten Taten: Dem brutalen Einfall in Gallien im Jahr 406 und der Plünderung Roms 455.
Die Vandalen verunglimpft
Die Erinnerung an diese Plünderung hatten römisch-katholische Historiker wie der antike Bischof Viktor von Vita geprägt - und dabei die Vandalen verunglimpft. Denn sie waren zwar Christen, gehörten aber dem Arianismus an, der in Rom als Irrlehre galt.
Der Begriff "Vandalismus", aufgeladen mit den wilden Energien der Französischen Revolution und der jakobinischen Terrorherrschaft, machte rasant Karriere. Er übersprang Landes- und Sprachgrenzen und wurde bereits 1798 ins Wörterbuch der Académie française aufgenommen.
Seither müssen die umgangssprachlichen Vandalen ausbaden, was de facto die Jakobiner ausgefressen haben. Während die historischen Vandalen Gründe hätten, sich im Grab umzudrehen. Denn die schlimmsten Unholde ihrer Zeit waren sie keineswegs.
Der lange Marsch der Vandalen bis nach Gibraltar und nach der großen Überfahrt unter König Geiserich im Jahr 429 entlang der afrikanischen Mittelmeerküste bis nach Karthago - dieser Marsch begann überhaupt erst unter dem Druck der um 400 von Osten hereinbrechenden Hunnen.
Auch die Hunnen, zentralasiatische Reitervölker, die ihren Kindern gezielt die Schädel deformierten und deren Krieger Kampfwunden zu protzigen Narben kultivierten, sind in die Umgangssprache gestürmt - vergleiche den "Hunnensturm"
Jakobinische Zerstörungswut nicht nachweisbar
Doch die Hunnen ragten in puncto Grausamkeit, Kriegslust und dämonischer Erscheinung selbst in ihrer wenig zimperlichen Epoche ein Stück weit heraus. Die Vandalen waren dagegen eher Völkerwanderungs-Durchschnitt - und in Sachen Kunst sogar überdurchschnittlich kultiviert.
Das betonen Fachleute nunmehr seit Jahren. Nicht zuletzt die Karlsruher Ausstellung "Das Königreich der Vandalen" von 2009 hat gezeigt, dass die Vandalen gerade in Karthago den römischen Zivilisations- und Lebensstil übernahmen.
Zwar raubte ihr Überfall-Kommando 455 in Rom tatsächlich jede Menge Kunst - allerdings, um sie zu besitzen und zu genießen. Jakobinische Zerstörungswut lässt sich nicht nachweisen.
Schon im 5. Jahrhundert hatte Bischof Vasalius von Massinia, dem heutigen Marseille, bemerkt: "Die Goten und Vandalen setzen durch sittliche Reinheit und Gradlinigkeit einen so hohen Maßstab, dass sie nicht nur selber zuchtvoll waren, sondern auch die Römer geläutert haben."
Soll heißen: Gehaust wie die Vandalen - haben die Vandalen vergleichsweise selten.
Klischee überschattet alle historischen Differenzierungen
Genützt hat es ihnen nichts. Spätestens seit Bischof Grégoire überschattet das Klischee alle historischen Differenzierungen.
Wobei im Deutschen der Mord- und Totschlag-Aspekt nur eine Nebenrolle spielt. Die Straftat des modernen Vandalen ist in der Regel die Sachbeschädigung. Wohingegen "Barbarei" - ein Wort, dessen ursprüngliche Bedeutung gleich völlig verkehrt wurde - eher einen geistigen Haltungsschaden beklagt.
Bischof Grégoire hat später übrigens bedauert, die Vandalen pauschal diskreditiert zu haben.
Er hätte allerdings wissen können, was schon Horaz bemerkt hat: "Einmal entsandt, fliegt das Wort unwiderruflich dahin."
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