V wie Venedig

    Von Jürgen Liebing · 13.05.2013
    Venedig hat Richard Wagner zeitlebens fasziniert. Letztlich wurde die Stadt zu dem Ort, an dem er gestorben ist.
    "Auf der Fahrt den grossen Canal entlang zur Piazetta melancholischer Eindruck und ernste Stimmung: Grösse, Schönheit und Verfall dicht neben einander. Doch erquickt durch die Reflection, dass hier keine moderne Blüthe, somit keine geschäftige Trivialität vorhanden. Marcusplatz von zauberischem Eindruck."

    Das schreibt Richard Wagner, kurz nachdem er zum ersten Mal Ende August 1858 in Venedig angekommen ist, an Mathilde Wesendonck. Geflohen aus Zürich, wo seine Liebesaffäre mit Mathilde, der Frau seines Gönners, von der Gattin Minna entdeckt worden war und zu einem kleinen Skandal geführt hat.

    "Zum ersten Male athme ich diese immer gleiche, wonnige, reine Luft; die zauberhafte Beschaffenheit des Ortes hält mich in einem melancholisch-freundlichen Zauber, der seine Macht noch immerfort wohlthätig übt."

    Während dieses ersten Venedig-Aufenthalts arbeitet Wagner intensiv an seiner Oper "Tristan und Isolde". Er instrumentiert den 2. Akt und notiert die "traurige Weise" des 3. Akts.

    "Lange noch höre ich, von der Nachtstille verklärt, die Töne, die als Kunst mich nicht wohl fesseln könnten, hier aber Natur geworden sind."

    Venedig gehörte damals zum Habsburger Reich, und so wurde der noch immer steckbrieflich gesuchte Revolutionär Wagner auch in der Lagunenstadt überwacht. Allerdings nahm es die Geheimpolizei dort nicht allzu genau und meldete nach Wien Entwarnung, von dem Komponisten seien keine revolutionären Umtriebe zu befürchten.

    Ende März 1859 verlässt er die Stadt, kehrt später noch viermal kurz zurück, und kommt ein letztes Mal nach den Festspielen 1882, bei denen der "Parsifal" uraufgeführt worden war, nach Venedig zurück.

    Friedrich Nietzsche, einst Fan- und Freund Wagners, bekennt:

    "Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig."

    "Er bleibt dabei, dass keine Stadt sich mit Venedig messen könne."

    Notiert Cosima Wagner am 11. Oktober 1882 in ihr Tagebuch. Nach ein paar Tagen im Hotel ziehen die Wagners ins Mittelgeschoss des Palazzo Vendramin, über den im "Baedeker" aus dem Jahr 1886 steht:

    "einer der schönsten und der sehenswertheste der venezianischen Privatpaläste".

    Wagner lebt immer auf großem Fuße, recht oft über seine Verhältnisse. Hier verbringt er die letzten fünf Monate seines Lebens. Er spaziert durch die Stadt, die er so liebt; oft sitzt er zwischen den Portalsäulen von San Marco, dem imposanten Dom, und er meint, "dass es so schön da sei, dass man ihn dort als Leiche finden würde". Hier beobachtet er die Menschen auf dem Markusplatz, dem "schönsten Wohnzimmer Europas", wie Napoleon den Platz genannt hat.

    Für Cosima bereitet Richard Wagner eine besondere Überraschung vor. Am Vorabend ihres 45. Geburtstags, dem 24. Dezember, erklingt im Teatro la Fenice Wagners eine C-dur-Symphonie, die er mit 19 Jahren komponiert hat.

    Zwischen heiterer Melancholie, depressiven Stimmungen und düsteren Vorahnungen schwankt die Gemütsverfassung Wagners, der sich im 70. Lebensjahr befindet. Immer wieder spielt er auf dem Klavier "Harlekin, du musst sterben", anderseits glaubt er daran, hundert Jahre alt zu werden.

    Ein letzter Herzanfall führt am 13. Februar 1883 zum Tod.

    "Triste, triste, triste! Vagner è morto!"

    Das schreibt Giuseppe Verdi, der im selben Jahr wie Wagner geboren wurde, den Kollegen aber um 20 Jahre überleben sollte, an seinen Verleger Ricordi. Wagner und Verdi sind sich Zeit ihres Lebens nicht begegnet.

    Am 16. Februar wird Wagners Leichnam auf einer schwarzen Barke in Venedig zum Bahnhof gebracht. Am 18.Februar wird er in der Gruft im Garten hinter der "Villa Wahnfried" beigesetzt.

    Der Theaterleiter Angelo Neumann ist zwei Monate später mit seiner Truppe und Wagners "Ring des Nibelungen" im Gepäck in Venedig, wo sie im Teatro la Fenice dieses Monumentalwerk aufführen. Am Abend nach der abschließenden "Götterdämmerung" spielt das Orchester auf einer großen Prachtbarke und weiteren Gondeln vorm Palazzo Vendramin Siegfrieds Trauermarsch. Angelo Neumann erinnert sich daran:

    "Wir entblößten das Haupt: und alle anderen rings umher zu Wasser und zu Lande – alle Dächer im Umkreis des Canal Grande waren mit Menschen besät – folgten unserem Beispiele. In tiefer Ergriffenheit wurde nun dieses unvergleichliche Tonstück vernommen, während wohlige laue Düfte aus den blühenden Gärten und Inseln wie von fern herübergeweht kamen."