"Hanau" von Uwe Boll

"In sämtlichen Gewerken versagt"

06:54 Minuten
Zum Gedenken an die Opfer des rechtsextremistischen Anschlags am 19.2.2020 in Hanau sind in Tübingen Plakate mit den Gesichtern und Namen der getöteten Menschen aufgestellt.
Gedenken an die Opfer: Ihre Familien hatten Uwe Boll gebeten, keinen Film über den Anschlag von Hanau zu machen. © picture alliance / Pressebildagentur Ulmer/ ulm
Jenni Zylka im Gespräch mit Massimo Maio · 16.02.2022
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Der umstrittene Regisseur Uwe Boll hat alle Appelle und Bitten ignoriert und einen Film über das Hanauer Attentat realisiert. Unserer Kritikerin Jenni Zylka zufolge ist der Film absurd und ungemein schlecht, verhöhnt aber nicht die Opfer.
In dieser Woche jährt sich der Anschlag von Hanau zum zweiten Mal: Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen mit migrantischen Wurzeln von einem 43-jährigen Attentäter ermordet, der dann auch seine Mutter und sich selbst tötete.
Der jetzt als Video on Demand herausgekommene Film „Hanau“ von Uwe Boll war schon im Vorfeld umstritten, weil er den Täter sehr stark in den Mittelpunkt stellt – und auch, weil er von Uwe Boll kommt. Der deutsche Filmemacher wird bisweilen als „schlechtester Regisseur der Welt“ bezeichnet, er hat schon einige „Goldene Himbeeren“ bekommen und mit seinen Filmen eine Art Negativ-Kultstatus erreicht. Vergeblich baten die Hanauer Stadtverwaltung, der Bürgermeister und die Familien der Opfer Boll in einem offenen Brief, das Projekt nicht zu realisieren.

Ein wahnhaftes Manifest wird vorgelesen

Es sei eine „moralisch unmögliche Haltung“, sich auf den Täter zu konzentrieren, anstatt die Opfergeschichten zu erzählen, sagt die Filmkritikerin Jenni Zylka, die "Hanau" für uns gesehen hat.
Größtenteils, nämlich 40 Minuten lang, sei der Film eine Inszenierung des „Manifests“ des Täters, berichtet Zylka. Ein Schauspieler spreche recht unbeholfen die „irren Gedanken“ und Wahnvorstellungen, die abstrusen Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten von Tobias R. aus, der das alles als Text ins Netz gestellt hatte.
Danach komme das Attentat als Spielszene, in der die Morde „auch mit sichtbaren Körpertreffern“ dargestellt würden, dann eine kurze Dialogszene mit einer Schauspielerin, die die Mutter von Tobias R. spiele, worauf – und das sei fast noch absurder als der Rest – eine dokumentarische Collage aus Trump- und AfD-Reden folge. Dann fahre Boll die Tatorte ab und erzähle, was bei dem Attentat passiert sei.
Der Film ende mit einem vierminütigen Say-their-Names-Abspann, in dem sämtliche Opfer von rassistisch motivierten Straftaten der letzten 30 Jahre genannt würden. Das Gesamturteil von Jenni Zylka:

Eine wirklich abstruse Mischung, die sich kaum zusammenbringen lässt.

Boll gebe dem Täter „einen wahnsinnigen Raum, wenn auch in armseliger Form“, die Inszenierung des Attentats mit Schüssen und Blut sei hochspekulativ und sensationalistisch. Das unreflektierte Abfahren der Tatorte sei dann, weil Boll keine psychologische oder politische Analyse biete, reine Schaulust.
Das Motiv für den Film müsse Faszination sein, kritisiert Zylka. Selbst wenn man Boll glaube, dass er über den Rechtsextremismus aufklären wolle, komme unter dem Strich "wegen mangelndem Handwerk und fehlender Kenntnis nur Bockmist heraus“. Eine Verhöhnung der Opfer sei der Film aber nicht.

Nicht wirkmächtig, nicht gefährlich

Ist „Hanau“ trotzdem gefährlich? Jenni Zylka glaubt das nicht: „Der Film ist nicht wirkmächtig genug. Er kann nicht so viel anrichten, weil niemand – auch jemand, der selbst Verschwörungstheorien anhängt oder sonstwie verstrahlt ist – sich von diesem Filmversuch beeindrucken lassen würde. Die Wirkung eines solchen Machwerks kann nicht signifikant oder gefährlich werden, wenn es so schlecht ist und in sämtlichen Gewerken versagt. Es kann weder anrühren noch manipulieren.“
Ärgerlich sei aber, dass Menschen, die solch extreme Gewalt erlebt hätten, getriggert werden könnten. Boll sei diese Gefahr offenbar bewusst gewesen, denn im Vorspann weise er auf eine mögliche Retraumatisierung durch das Anschauen seines Films hin.
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