USA

Ankläger, Richter und Henker zugleich

Von Günther Wessel · 21.01.2014
Drohnenangriffe, staatlicher Mord, Folter in Geheimgefängnissen: Was nach dem 11. September als Krieg gegen den Terror begann, bedient sich inzwischen selbst mehr und mehr terroristischer Methoden, behauptet der US-Journalist Jeremy Scahill.
Trotz des Whistleblowers Edward Snowden und seiner Enthüllungen beschreibt auch Jeremy Scahill noch unbekannte Seiten der amerikanischen Kriegsführung. Er belegt beispielsweise, wie die US-Regierung schon kurz nach dem Attentat auf die "Twin Towers" die verfassungsgemäße Kontrolle geheimdienstlicher Operationen aushebelte. Da die CIA dem Außenministerium und dem Parlament berichten müssen, bauten der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney und der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das "Joint Special Operations Command" (JSOC) auf. Eine spezielle Einsatztruppe, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist.
Jeden Dienstag bekommt Obama die Todeslisten
Sie hinterließ im Irak, in Afghanistan und im Jemen eine Spur des Grauens. In ihrem irakischen Camp Nama seien Folterungen alltäglich, so der Autor. Im afghanischen Ort Gardez überfiel das JSOC im Februar 2010 eine Familienfeier und erschoss unter anderen zwei schwangere Frauen. Nach dem Massaker schnitten die Soldaten die Kugeln aus den Toten, um die Bluttat zu vertuschen. Die US-Regierung ist somit Ankläger, Richter und Henker zugleich.
Auch der derzeitige US-Präsident Obama versprach den kriegsmüden Amerikanern eine intelligentere Form der Kriegsführung. Seither töten Geheimkommandos und Drohnen gezielt vermeintliche Terroristen, die Tötung Unschuldiger wird dabei in Kauf genommen. Jeden Dienstag werden Obama, so Scahill, neue Todeslisten vorgelegt, mit nicht namentlich genannten Opfern. Es sind sogenannte "signature strikes", Schläge gegen Personen, deren Namen oft unbekannt sind, die aber verdächtigt werden, an Komplotten gegen die USA beteiligt zu sein. Auf solche Listen gerät man schnell, schreibt Scahill, es genüge, als Mann im Militärdienstalter zu sein, in bestimmten Regionen große Versammlungen zu besuchen, Kontakte oder verwandtschaftliche Beziehungen zu mutmaßlichen Militanten zu haben.
Jede gezielte Tötung bringt neue Feinde hervor
Scahill führte Gespräche mit Amtsträgern der US-Regierungen und der Streitkräfte, mit Geheimdienstmitarbeitern, mit Warlords in Somalia und Angehörigen von Ermordeten im Jemen. Akribisch durchwühlte er Archive und sichtete Dokumente – das Buch hat allein über 100 Seiten Anmerkungen. Und er belegt so, dass Amerikas Krieg gegen den Terror nicht nur Menschenrechte dramatisch missachtet, sondern auch kontraproduktiv ist: Erst die Einsätze in Somalia, dem Irak oder auch im Jemen schufen Terroristen; jede gezielte Tötung, jeder vermeintliche Erfolg im Krieg gegen den Terror brachte neue Feinde hervor.
Beispielhaft erzählt er die Geschichte des US-Bürgers Anwar al-Awlaki, der sich vom moderaten Muslim zum Hassprediger wandelte, enttäuscht von der US-amerikanischen Politik. Er starb durch einen Drohnenangriff im September 2011, sein 17-jähriger Sohn, ebenfalls US-Bürger, sechs Wochen später durch einen weiteren. Ein beklemmendes Buch, eine notwendige Lektüre.

Jeremy Scahill, Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Bernhard Jendricke, Sonja Schuhmacher und Maria Zyback
Kunstmann, München 2013
720 Seiten, 29,95 Euro

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