Kommentar

Das Konzept vom Menschen

Ein grün leuchtendes Toiletten-Hinweisschild hängt auf dem Messegelände in Frankfurt am Main unter der Decke
Männlein? Weiblein? Für manche nicht so einfach zu beantworten. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von René Aguigah · 23.11.2014
Es ist ein ungelöstes sprachliches Problem: Wie redet man Menschen an, die sich weder als Frau noch als Mann verstehen? Immer wieder haben sich Philosophen mit dieser Thematik beschäftigt. Eine Antwort gibt es aber ausgerechnet bei "South Park".
Von Frantz Fanon, dem politischen Theoretiker und Anti-Kolonialisten, gibt es den Satz: "Der Schwarze ist kein Mensch." 1952 geschrieben, hieß das in etwa: Das Denken war derart durchdrungen von rassistischen Mustern, dass ein schwarzer Mann als Mensch nicht in Frage kam. Der Satz lässt sich in unterschiedlichen Varianten denken. Ein Sklave im alten Rom oder heutige Flüchtlinge im Mittelmeer: Nach dem Muster des bitteren Satzes von Fanon sind das "keine Menschen".
Und wer in den vergangenen Tagen verfolgt hat, wie über den Fall Lann Hornscheidt öffentlich debattiert wurde, konnte manchmal den Eindruck gewinnen: Menschen, die sich selbst weder als Mann noch als Frau sehen, gelten heute hierzulande nicht als Menschen.
Eine Sprache wie ein Toilettenhaus
Lann Hornscheidt wurde als Antje Hornscheidt geboren. Weil sie sich aber nicht als Frau identifizierte, hat sie – sie: die Person – einen geschlechtsneutral wirkenden Vornamen gewählt. In Briefen möchte sie nicht als "sehr geehrte Frau Professorin" angeredet werden, sondern als "Profx.". Das "x" als Signal für ein ungelöstes sprachliches Problem: Wie adressiere ich Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann verstehen, innerhalb einer Sprache, die so flächendeckend nach Männlein und Weiblein sortiert ist, als wäre sie ein (pardon) Toilettenhaus?
Lann Hornscheidt bekam Morddrohungen per Mail. Und öffentlich kann man Beschimpfungen lesen wie "abartig" oder "geisteskrank" oder auch die Empfehlung, die Person einschläfern zu lassen. "Das rechte Milieu flippt völlig aus", bemerkte die FAZ zu Recht. Und man muss ergänzen: Man findet dieses Ausflippen keineswegs nur in Schmuddelecken des Internets, sondern auch auf Facebook-Seiten von Journalisten, die sich selbst für liberal halten. Oder in einem offenen Brief an die Berliner Wissenschaftssenatorin, den unter dem Titel "Kritische Wissenschaft" 70 Akademiker unterschrieben haben. "Lann Hornscheidt", so schreiben sie, "ist mit sofortiger Wirkung von der Universität zu entfernen". Wohlgemerkt: "Entfernen" steht da, als handele es sich um einen Schmutzfleck.
Der Begriff des Menschen ist durchzogen von Machtunterschieden
Den Satz Frantz Fanons, der Schwarze sei kein Mensch, hat die Philosophin Judith Butler einmal in den Zusammenhang mit Geschlechterfragen gerückt, in ihrem Buch "Die Macht der Geschlechternormen". Butler erinnert daran, dass der Begriff des Menschen, wie wir ihn denken, durchzogen ist von Machtunterschieden, vom Machtgefälle zwischen Rassen etwa oder eben zwischen Geschlechtern, oder auch der Vorstellung, dass es genau zwei Geschlechter und nichts anderes gäbe.
Für Butler ist das kein Grund, den Begriff des Menschen fallenzulassen, wie radikale Anti-Humanisten das getan haben. Sie plädiert vielmehr dafür, den Streit um das Menschliche aufzunehmen; dem Begriff des Menschen eine neue Zukunft zu verschaffen. Sie schreibt: "Diejenigen, die für nicht entzifferbar, für nicht anerkennbar oder für unmöglich gehalten werden, reden dennoch in der Begrifflichkeit des 'Menschlichen', öffnen den Begriff für eine Geschichte, die durch die vorhandenen Machtunterschiede nicht vollständig erzwungen ist."
In der Serie "South Park" gelingt ein Kunststück
Auch im aktuellen Streit steht am Ende nicht weniger auf dem Spiel als das Konzept vom Menschen: Die einen weisen durch ein "x" in der Anrede auf ein Defizit in der Wirklichkeit hin – und die anderen wollen die Taste mit "Entfernen" drücken.
Man sollte Judith Butler wieder lesen, diese Klassikerin – oder Klassikerx – der Gender Studies. Wer nicht lesen mag, soll fernsehen, und zwar eine der neuen Folgen der Serie "South Park". "Cissy" heißt die einschlägige Episode, "Cissy" wie "cisgender", grob übersetzt: "normalgeschlechtlich".
Die runden Comicfiguren von "South Park" sind der politischen Korrektheit unverdächtig, wie immer. Doch es gelingt ihnen ein Kunststück: einerseits zu lachen über die Absurditäten der Geschlechteridentitätenwirrnis. Andererseits sieht man einen Mann mittleren Alters, der ein Doppelleben auch als sexy Popsängerin führt. Und seine Gattin schafft es, diese andere Seite von ihm fast zärtlich anzuerkennen.
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