US-Regisseur McCarthy über Film "Spotlight"

"Wir haben gezeigt, dass Journalismus Knochenarbeit ist"

Der US-Regisseur Thomas McCarthy.
Der US-Regisseur Thomas McCarthy © dpa / picture alliance / Claudio Onorati
Moderation: Patrick Wellinski · 27.02.2016
In seinem Film "Spotlight" erzählt der US-Regisseur Thomas McCarthy die Geschichte eines Journalistenteams vom "Boston Globe", das einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche aufdeckt. Die Reporter seien für ihn wahre Helden, sagt McCarthy.
Patrick Wellinski: Herr McCarthy, worin lag der Reiz für Sie, einen Film über diesen Missbrauchskandal in Boston zu drehen?
Thomas McCarthy: Ich denke, da kamen zwei Dinge zusammen. Es gab die Geschichte, die ein Journalist mit seinem Rechercheteam aufgespürt hat und die Vertuschungen seitens der katholischen Kirche, und meine eigene Geschichte: Ich bin in Boston aufgewachsen und wurde katholisch erzogen. Ich hatte ganz einfach das Gefühl, die Stadt und ihre Kultur gut zu kennen. Irgendwie schien es zwingend, sich mit dem Missbrauch auseinanderzusetzen. Mein Co-Autor Josh Singer und ich dachten, es sei das Beste, sich der Geschichte aus der Sicht des suchenden Reporters zu nähern und zu schildern, wie er und sein Team das erleben und das Ganze schließlich im Boston Globe gedruckt wird.
Wellinski: Die Schwierigkeit Ihres Films besteht ja darin, dass Sie Journalisten bei ihrer Arbeit zeigen, beim Recherchieren und der Rhythmus der Erzählung ist da sehr wichtig. Wie haben Sie es geschafft, etwas so Trockenes dann doch so spannend zu zeigen?
McCarthy: Das war schon eine große Herausforderung und dazu kam, dass wir herausfinden mussten, was den emotionalen Kern des Drehbuchs ausmachen würde. Ohne den geht nichts im Film. Es kam darauf an, Schnittpunkte zu finden, und ich denke, wir haben sie in den Geschichten derjenigen gefunden, die den sexuellen Missbrauch überlebt haben. Was die Untersuchungen angeht, so haben wir uns von Anfang an verpflichtet gefühlt, das journalistische Vorgehen so authentisch und realistisch wie möglich darzustellen. Dazu gehört auch der Ekel, der die Rechercheure packt, und der Trübsinn, der sie angesichts der Schlechtigkeit der Welt befällt. Wir mussten zeigen, dass Journalismus auch Knochenarbeit bedeutet, zähes, unnachgiebiges Festhalten. Darauf haben wir uns festgelegt und das hat das Tempo des Films bestimmt.
Wellinski: Was ist dahingehend eigentlich der Vorteil Ihrer fiktionalisierten Variante gegenüber einer dokumentarischen Aufarbeitung dieses Stoffes?
McCarthy: Ich spiele das nicht gegeneinander aus. Aber wenn du eine Geschichte entwickelst und zugleich die Untersuchung der Fälle aufrollst, ist eine Dokumentation nicht das Richtige. Es wäre zwölf, dreizehn Jahre nach den Vorfällen auch eine schwierige Sache gewesen. Und schauen Sie, ich bin einfach immer noch überzeugt davon, dass erzählende Spielfilme wie unserer ein großartiges Mittel sind, die Zuschauer zu bewegen. Unser Film hat auch etwas Unterhaltsames. Ich finde Unterhaltung wichtig, wenn man ein wirklich breites Publikum erreichen will, und es muss überhaupt nicht heißen, dass man die Wahrheit vernachlässigt. Ich habe großen Respekt vor Dokumentarfilmern, aber ich bin nun mal keiner. Uns stand die Linie ganz klar vor Augen, die sich durch die Geschichte ziehen würde.
"Keine Helden im klassischen Sinn"
Wellinski: Die Geschichte wäre nie so groß geworden durch den Boston Globe, auch nicht recherchiert werden können ohne die Hilfe der Opfer. Ich habe gehört, dass Sie auch mit den Opfern gesprochen haben. Wie war das für Sie?
McCarthy: Nun, sie wollen zu erst einmal als Opfer anerkannt werden und das Gleiche gilt für ihre Familien. Man sieht zu Beginn einige Opfer, zwei von ihnen werden besonders herausgehoben. Es sind Joe Crowley und Phil Saviano. Ich habe mit meinem Co-Autor gerade noch einmal darüber gesprochen, wie prägend diese Erfahrung war. Du sitzt mit diesen Männern zusammen, hörst ihnen zu und begreifst schnell, dass deren Geschichte erzählt und bekannt gemacht werden muss. Wir haben sie bewundert für ihren Mut und ihre Direktheit. Wir wussten, dass wir mit ihnen das gefunden hatten, was den Kern des Films ausmachen würde.
Wellinski: Der Film ist ein Recherche-Film zu großen Teilen, aber der Journalismus an sich wird nicht heroisiert, auch wenn da immer etwas Mutiges mitschwingt. Vielleicht können Sie erzählen, welche Form die Journalisten für Sie haben. Sind das denn Helden?
McCarthy: Ja, ich finde ihren Einsatz heldenhaft. Das ist eine gute, harte Arbeit. Sie sind keine Helden im klassischen Sinn, eher sehr bescheiden auftretende Bürger, denen etwas an der Stadt liegt, in der sie leben, und es sind Leute, die ihren Beruf professionell ausüben. Was sie herausfanden und wie sie damit umgingen, machte auch außerhalb von Boston Schule. Das wirkte nicht nur in den USA, sondern weltweit nach. Ihnen gebührt dafür alle Achtung. Im Narrativ unseres Films haben sie einen Heldenstatus. Natürlich sind sie nicht ohne Fehler und das machen wir sichtbar, es ist sogar ein wichtiges Element. Wie jede andere Institution wird Journalismus von Menschen betrieben und tendiert dazu, Irrtümer zu produzieren, Fehler. Es gehört einfach zu jeder Art von Arbeit. Wir haben versucht, das bestmöglich einzufangen und festzuhalten.
Wellinski: Sehen Sie Ihren Film eigentlich auch als Mahnung an die gesellschaftspolitische Funktion der Presse, gerade jetzt in einer Zeit, wo die Funktionen wie die Spotlight-Abteilung gespart werden?
McCarthy: Ja, das war einer der Gründe, weshalb wir diesen Film drehen wollten. Das Filmgeschehen spielt 2001, zu einer Zeit, als Zeitungsverlage noch gut aufgestellt waren. Was wir zeigen, ist, dass es hoch-investigativen Journalismus auch auf lokaler Ebene gab. Es war anfangs nur eine lokale Geschichte. Es ist wichtig, die Arbeit der kleineren städtischen Tageszeitungen zu würdigen, gerade weil sie in den USA nach und nach eingehen. Sie sind zu schlecht ausgestattet und können ihrer Arbeit nicht mehr nachkommen, die darin besteht, mächtige Leute in Institutionen für ihr Tun zur Verantwortung zu ziehen. Wenn die kleineren und größeren Zeitungen das nicht tun, wer dann? Wer beobachtet und kontrolliert, ob Politiker und Firmenchefs richtig handeln? Der Film erinnert an diese Aufgabe und tritt für sie ein.
Wellinski: Seit der Premiere Ihres Films wurde der Film natürlich mit einem großen Klassiker des Genres verglichen: "Die Unbestechlichen". Gefällt Ihnen dieser Vergleich eigentlich?
McCarthy: Na also, wer hätte dagegen ernsthaft etwas einzuwenden? Man vergleicht beide, weil sie Journalismus-Filme sind. "All the President's Men" - also "Die Unbestechlichen" - ist die Kino-Adaption des Buches zur Watergate-Affäre, und einfach eingroßartiges Werk. Wer einen Film in diesem Genre dreht, kommt nicht daran vorbei. Er ist ein Meilenstein. Einfach herausragend. Alan J. Pakula war ein großartiger Regisseur und die Schauspieler waren umwerfend gut. Als wir anfingen zu drehen, haben wir natürlich um die Großartigkeit des Films "Die Unbestechlichen" gewusst, aber dann muss man ihn auch vergessen und das tun, was man selber für richtig und nötig hält. Aber im Grunde haben wir nichts anderes versucht, als so gut wie irgend möglich unseren Job zu erledigen.
Übersetzung: Sigrid Brinkmann
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