US-Klischees aus den 50er Jahren

14.03.2007
Wenn wir Deutschen einmal ganz ehrlich sind: Was interessiert uns an unseren amerikanischen Freunden am meisten? Natürlich interessieren uns die geschichtlichen und sozialen Grundkräfte, die eine der stabilsten und ältesten Demokratien hervorgebracht haben. Und einen spezifischen grundliberalen Lebensstil, den man American Way of Life nennt.
Aber uns, als dem ehemaligen Land des perversesten Nationalismus der Weltgeschichte, muss an den USA auch ihr merkwürdig pompöser und tief verwurzelter Nationalismus interessieren. Wie kann man so emphatisch vom ungemein erstrebenswerten Wert, Amerikaner zu sein sprechen, wie es unsere amerikanischen Freunde gelegentlich tun? Und ist das auch ein Anzeichen für eine Mentalität, die die Keimzellen der kollektiven Psychose in sich trägt, oder ist es eine, die davor imprägniert ist?

Unter dieser Fragestellung kann man den in den USA über ein Million Mal verkauften Bestseller des 1964 in New York geborenen Debütautors J. R. Moehringer mit großem Gewinn lesen. Der bisweilen durchaus liebenswerte, zutiefst naive 450-Seiten-Wälzer über die Lebensgeschichte eines gewissen J. R. Moehringers bestätigt genau die Vorurteile, die ein Alt-Europäer von Amerika hat – oder vielmehr hatte, denn die USA-Klischees, die hier mit rührseligem Leben erfüllt werden, stammen am ehesten aus 1950er-Jahren.

Um die Bildungsgeschichten des Ostküstenbewohners nach 1968, die wir bei Roth und Franzen lesen können, macht Moehringer einen großen Bogen, obwohl sein Held und Alter Ego "JR" in Yale studiert, und landet in einer Art Retro-Heimeligkeit, deren Hauptbestandteile Sinatra-Musik, harter Alkohol und frauenfeindliche Witze sind. JR entstammt dem White Trash von Long Island, und, vaterlos aufgewachsen, erlebt er seine geborgensten Momente im "Publicans", seiner Lieblingskneipe.

Hier erlernt er den Ehrenkodex eines konservativen männlichen Amerikaners, der nicht nur Stabilität im Kampf um den Aufstieg bietet, sondern auch immer daran erinnert, daß dieser Aufstieg auch fast zwangsläufig kommen muß, wenn man nur guten Willens ist. "Tender Bar" ist das aktuelle Update auf den "American Dream", und es Endet mit einem Tribut an die gemeinschaftsstiftende Kollektivkatastrophe vom 11. September 2001.

Gewiß, Moehringen kann sehr gute Dialoge schreiben. Ihm gelingen warmherzige und dabei doch – sieht man genauer hin – ziemlich kitschige Beschreibungen. Die Geschichte des Schreibens von diesem Roman wird darin auch erzählt, so daß der selbst-therapeutische Anspruch gar nicht verhehlt ist. Mit diesem Roman will sich ganz explizit ein Autor "hochschreiben", "es schaffen" – nämlich die Realisierung des amerikanischen Traums.

Alle Genderfans und Freunde der political correctness werden sowieso aufstöhnen – und ihnen möchte man sich nicht um jeden Preis anschließen. Aber mit so viel putzigem Lokalkolorit und herziger Fabulierlust hat schon lange kein US-Debütant seine Romanseiten vollgestellt.

Man stelle sich in Deutschland einen Romancier vor, der eine Schwarzwaldkneipe porträtiert. Und zwar nicht in satirischer Absicht. Mit Geweihen an der Kneipenwand und Münzspielautomaten. Und filtert wie Goldstaub ewige Weisheiten aus den Stammtischgesprächen. Eigentlich keine schlechte Idee, wenn auch etwas bizarr. Aber lokalisiert im "Publican" in Manhasset, Long Island, USA, ist das natürlich schicker und auch irgendwie neu-patriotisch. Der Roman bereitet ein paar kurzweilige Stunden. Aber der Aufstieg in die Liga der Literatur gelingt ihm leider nicht.


Rezensiert von Marius Meller

J. R. Moehringer: Tender Bar
Übersetzt von Brigitte Jakobeit
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
459 Seiten, 19,90 Euro