Filme von Hou Hsiao-Hsien

Taiwans unbekanntes Genie

Filmszene aus "The Assassin" des chinesisch-taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-Hsien, der 2015 auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. Das Foto zeigt die Hauptdarstellerin Shu Qi
Filmszene aus "The Assassin", dem neuen Film von Hou Hsiao-Hsien. © picture alliance/dpa/Cannes Film Festival
Anke Leweke im Gespräch mit Patrick Wellinski |
Die Filme von Hou Hsiao-Hsien sind unvergleichlich. Der taiwanesische Regisseur habe ihr einige der prägendsten Kino-Momente beschert, sagt Filmkritikerin Anke Leweke. Bei uns stellt sie einige Highlights seines Schaffens vor.
Für Regisseure, wie Martin Scorsese oder Olivier Assayas, gehört der taiwanesische Filmemacher Hou Hsiao-Hsien zu den wichtigsten lebenden Künstlern unserer Zeit. Dem deutschen Kinogänger sind seine Werke weitgehend unbekannt: Das kann sich jetzt ändern.
Hou Hsiao-Hsiens neuster Film "The Assassin", der seit Donnerstag in den Kinos läuft, bietet eine der seltenen Gelegenheiten, in diese magischen Bilderwelten einzutauchen.
Für Filmkritikerin Anke Lewke gehören seine Filme zu den prägendsten Momenten ihrer Berichterstatter-Karriere. Sie spricht mit Patrick Wellinski über Werk und Leben des Regisseurs und wie es der Taiwenese in den letzten 40 Jahren geschafft hat, die Geschichte seines Landes im Kino neu zu verorten und wieso er in Deutschland weiterhin so unbekannt ist.
Wer mehr Filme des Taiwanesen sehen will, muss leider auf Import-DVDs zurückgreifen. Der Aufwand lohnt sich. Anke Leweke und Patrick Wellinski empfehlen zwei Hou-Hsiao-Hsien-Filme für zu Hause:

"Der Puppenspieler" (1994) – erhältlich bei TriGon-Film

Hou Hsiao-Hsiens Meisterwerk über das Leben des 80 Jahre alten Puppenspielers und Schauspielers Li Tien-Lu ist der zweite Teil seiner Trilogie über die chaotische taiwanesische Geschichte im 20. Jahrhundert. Hier treibt Hou seine visuellen Motive zum ersten Mal zur reinen Perfektion: Lange, statische Einstellungen wechseln sich im intensiven Close-Ups ab. Die atemberaubenden Landschaftaufnahmen erden die Geschichte eines Künstlers, der unter japanischer Besetzung ständig in seinem Künstlerdasein geprüft wird.
Der Film wechselt elegant zwischen Spielfilmszenen aus Lis Leben, dem echten Li, der in die Kamera von seiner Vergangenheit erzählt, und Szenen aus seinen Puppen- und Theaterstücken. All das schafft einen vielschichtigen, flirrenden Blick auf das Schicksal von Land und Menschen. In seiner narrativen Komplexität und Freiheit ist dieser Film nur mit der Prosa eines William Faulkner zu vergleichen. (Patrick Wellinski)

"Die Stadt der Traurigkeit" (1989) – erhältlich bei Artificial Eye

Als Annäherung vom Rande aus könnte man Hou Hsiao-Hsiens inhaltliche wie formale Herangehensweise bezeichnen. Die alltägliche Lebenssituation einer Familie wird zum Ausgangspunkt einer Bewegung, die in die großen gesellschaftlichen Gefilde führt.
So war es denn auch eine wuchtige Geschichtslektion, die ihn 1989 auf den Filmfestspielen in Venedig in die Liga der Jahrhundertregisseure katapultierte. "Stadt der Traurigkeit" erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Jahren. Sie beginnt 1945 mit dem Rückzug der japanischen Besatzer und endet mit der endgültigen Machtübernahme durch Chiang Kai-sheks nationalchinesische Guomindang-Partei im Jahr 1950.
Hou Hsiao-Hsiens Film ist das genaue Gegenteil von verfilmter Historie. Geschichte fließt bei ihm als Summe von privaten Momenten und Stimmungen in die Bilder ein. Sie richtet sich zwischen den Wänden im Haus der Familie Lin ein. Die großzügigen Zimmer mit den blank geputzten Holzdielen und den offenen Türen, hinter den sich immer weitere Zimmerfluchten öffnen, werden zu ihrem Resonanzraum. Dafür tritt er mit der Kamera immer einen Schritt zurück.
Man könnte von totalitären Totalen sprechen, denen nichts entgeht, die für alle Widersprüchlichkeiten des Lebens, für alle Empfindungen und Stimmungen offen sind. Es ist gerade diese distanzierte Perspektive, die den Zuschauer in "Stadt der Traurigkeit" miterleben lässt, was politische Unterdrückung mit Menschen anrichten kann. (Anke Leweke)
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