US-Botschafter in Deutschland: "Russland ist nicht unser Feind"
Der US-Botschafter in Deutschland sieht die Beziehungen seines Landes zu Russland seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama auf einem guten Weg. Aber auch die Beziehungen zu Deutschland seien in allen Politikbereichen sehr gut.
Deutschlandradio Kultur: Botschafter Murphy, Sie sind Marathonläufer. Sie sind auch beim Berlin-Marathon mitgelaufen. Welcher der 42,195 Kilometer ist der schwerste?
Philip D. Murphy: Für mich war es ungefähr von 28 bis 38, war es sehr schwer für mich. Meine Frau und ich waren zusammen. Meine Frau war sehr stark, aber für ungefähr 10 Kilometer war es total eine große Herausforderung für mich. Aber wir haben alles geschafft. Und das ist mein erster und vielleicht mein letzter Marathon, aber es ist eine großartige Chance und ich bin sehr glücklich. Aber für dieses Stück, es war ganz, ganz schrecklich für meine Beine.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir im Bild bleiben: Würden Sie sagen, dass der amerikanische Präsident Obama sozusagen im Moment bei seinem Marathon, einem politischen Marathon, was so eine Amtszeit im Weißen Haus bedeutet, bei Kilometer 28 bis 31 ist?
Philip D. Murphy: Ich weiß es nicht. Die echte, wirkliche Analogie ist, dass Politik und Regierungsarbeit auch ein Marathon sind. Das ist keine Sprintarbeit. Es gibt Höhen und Tiefen. Die Dienstagswahl wurde als eine Watsche empfunden. Anders kann man das nicht nennen. Und das hat wirklich mit den Erwartungen der Menschen zu tun. Und er hat ja auch klargestellt, dass die Demokraten ja auch die Mehrheit im Senat haben. Aber, was das Repräsentantenhaus anbelangte, war es wirklich ein sehr, sehr schwerer Tag. Und ich gehe noch mal auf die Zeit zurück, als ich in den USA in der Politik aktiv war.
Meine Erfahrung ist, dass man das wirklich als einen Marathon sehen muss, als eine Langstrecke, vor allen Dingen, wenn man ein solches politisches Vorhaben hat, das so groß ist, eigentlich so tief verändernd ist, wie das, was Herr Obama vorhat.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben in einem Interview gesagt, Ambassador Murphy, dass man diese Wahlen nicht mit einem Referendum der Politik Obamas verwechseln sollte. Darüber kann man jetzt streiten, aber Fakt ist, dass Obama innerhalb von zwei Jahren von jemandem, der von einer Mehrheit fast geliebt wurde, und zwar über Parteigrenzen hinweg, zu jemandem geworden ist, der verteufelt wird – muss man, glaub ich, wirklich sagen – von den Konservativen, gegeißelt von den Linksliberalen und verlassen von der Mitte.
Philip D. Murphy: Es ist sehr wichtig, hier einen Kontext für diese Aussage zu schaffen. Nämlich, zuerst einmal ist der Präsident noch etwas populärer als Ronald Reagan es 1982 war zu diesem Zeitpunkt seiner Präsidentschaft in den Umfragen, auch als Präsident Clinton 1994. Und in jeder dieser Situationen gab es dann ein glückliches Ende. Und das sollte man doch im Kopf behalten.
Doch was auf jeden Fall Präsident Reagan anbelangte, war der Wirtschaftsaufschwung 1983/84 ja da. Und das ist ja der Vergleich, den viele Leute auch hervorheben, auch zu Präsident Clinton. Ich denke, dass unser Zeitpunkt auch ähnlicher ist wie der Zeitpunkt 1982 für Präsident Reagan. Ich denke, dass Präsident Obama immer noch ein Hoffnungsträger ist. Das ist zweifelsohne so. Ich erfahre das jeden Tag in Deutschland, aber auch in den USA.
Drittens: Nachdem ich jetzt einiges gestern und heute darüber gelesen habe, nachdem die Republikaner im Januar 2009 entschieden haben, dass sie nicht mit dem Präsidenten zusammenarbeiten wollten, glaube ich, muss man feststellen, dass der Präsident wahrscheinlich einfach keine Partner hatte, die mit ihm arbeiten wollten. Der Präsident war sehr ehrlich. Er war sehr gerade in seinem Versuch, hier Gemeinsamkeiten zu finden mit der politischen Opposition.
Deutschlandradio Kultur: Und das ist auch ein Punkt, der mich wirklich verwundert, wenn man nach Amerika schaut, dass ausgerechnet ein Präsident, der die Versöhnung zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht hat, dieses geteilte Amerika wieder zusammenzuführen, es eigentlich im Grunde, wenn man es sich anschaut, fast noch mehr gespalten hat. Dieses Land ist geteilt zwischen Leuten, die ihn wirklich hassen und mit Hitler vergleichen oder ihn einen Muslim schimpfen oder einen Intellektuellen, was er ist, aber sie meinen es diffamierend, und denen, die noch immer glauben, er ist derjenige, der dieses Land aus der Krise führen kann.
Philip D. Murphy: Da möchte ich ein paar Dinge zu sagen. Diejenigen, die wirklich so hasserfüllt über ihn reden, das ist wirklich eine verschwindende Minderheit in unserer Gesellschaft. Zweitens, warum diese Wahl jetzt keine Ablehnung Obamas ist: Es ist klar, dass es wirklich ein Ruf war, ein Ruf nach Hilfe in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Und ich glaube, dass das auch in dem Satz "It's the economy, stupid" steckt. Darum geht es wirklich. Und niemand ist sich dessen bewusster als Präsident Obama. Er hat wirklich jeden Dollar, den er zur Verfügung hatte, in diese Wirtschaft gesteckt. Präsident Obama hat hier eine Lokomotive geerbt, die mit über 200 Stundenkilometern den Berg runter fährt. Und das aufzuhalten, das ist sehr schwierig.
Und das, was wir am Dienstag gesehen haben, ist wirklich fast ein Hilferuf des Volkes. Ich weiß, dass er mehr tun wird und ich bin auch optimistisch, dass die Führung der Republikaner auch diese Gemeinsamkeiten suchen wird mit Obama. Denn wenn in zwei Jahren die Menschen dann fragen werden, was haben Sie geleistet, und wenn die Wirtschaft wirklich das Hauptthema ist – und ich weiß, dass 62 Prozent der Menschen glauben, dass das das Wichtigste ist, das nächstwichtige Thema hat nur 19 Prozent -, dann, denke ich, werden die Republikaner auch nach diesen Gemeinsamkeiten mit Präsident Obama suchen.
Deutschlandradio Kultur: Ich komme noch mal darauf zurück, aber ich möchte noch bei dem Bild von der Lokomotive einen kleinen Moment bleiben, weil es sehr schön ist und sehr treffend.
Präsident Obama hat die Wahlen gewonnen vor zwei Jahren, weil er den Eindruck vermittelt hat, er könne diese Lokomotive stoppen. Dementsprechend hoch ist natürlich einfach die Fallhöhe, von der aus er jetzt in der Gunst der Leute – und das sind 20 Prozentpunkte zwischen damals und heute, was die Zustimmung angeht für ihn – gefallen ist.
Philip D. Murphy: Aus meiner Sicht ist das nicht überraschend. Ich denke, er wird die Lokomotive aufhalten und umdrehen. Sie dreht sich ja bereits schon. Sie hat sich nur noch nicht schnell genug, wie wir es uns wünschen würden, gedreht. Das ist der erste Punkt. Und der zweite Punkt, den ich in Deutschland immer wiederhole: Einer der Gründe, warum ich ihn wirklich verehre als Präsidenten auch, ist, weil er wirklich zwei Wege verfolgt hat als Präsident, nämlich erstens die absolute Notwendigkeit, die jeder Präsident annehmen muss: Er musste nämlich sofort mit einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation umgehen. Und zweitens die Außenpolitik mit Irak und Afghanistan, und diese Themen sollten auch nicht aufgeschoben werden, das waren die Topp-Prioritäten seiner Präsidentschaft bisher. Und er hat in beiden Bereichen sehr große Erfolge erzielt.
Natürlich braucht die Wirtschaft etwas länger. Das ist fraglich der Fall. Aber das, was wirklich wichtig ist, dies ist jemand, der gesagt hat, das reicht nicht. Wir haben langfristige strukturelle Probleme, sowohl zu Hause als auch weltweit, langfristige Themen, die ständig vertagt worden sind, um die tagespolitischen Themen besser anzugehen. Sowohl Demokraten und Republikaner haben das getan. Und er hat gesagt, ich möchte sowohl die strukturellen langfristigen Dinge angehen als auch die wichtigen kurzfristigen Dinge. Und er hat gesagt, ich will es richtig tun und hat es zum Beispiel mit seiner Gesundheitsreform getan – die größte Reform seit den 60er Jahren -, und durch sein Konjunkturpaket, das größte Paket, das überhaupt in der Geschichte des Landes geschnürt wurde, das größte seit den 30er Jahren auf jeden Fall. Dann in der Außenpolitik Kommunikation mit dem Iran, seit dem ersten Tag seiner Präsidentschaft eine Vision für eine atomwaffenfreie Welt, das sind langfristige Themen.
Deutschlandradio Kultur: Aber einfach auch alles Themen, für genau die er kritisiert worden ist. Und genau die haben die Republikaner angeführt als Argumente gegen seine Politik.
Philip D. Murphy: Ich möchte drei Amerikaner hier anführen, die eine große Rolle in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten, die Dinge taten und sagten, die sehr unpopulär waren, aber die deswegen nicht falsch waren. – James Byrnes, der erste. In seiner Hoffnungsrede im September 1946, George C. Marshall mit dem Marshall-Fund, oder Harry Truman, der 1948 sprach. Die Vereinigten Staaten waren müde. Sie hatten einen Krieg in Europa geführt. Es war sehr unpopulär. Wir hatten viele Menschen verloren. Die Wirtschaft lag am Boden, aber diese drei Menschen haben sich wirklich auch gegen die Strömung gestellt. Die Tatsache, dass etwas unpopulär ist, bedeutet ja nicht unbedingt, dass es falsch ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ein wunderbarer Botschafter Ihres Präsidenten, Herr Murphy. Sie selbst sind sozusagen das lebende Beispiel des amerikanischen Traums. Sie kommen aus kleinen Verhältnissen, haben dann in Harvard studiert, sind Wirtschaftswissenschaftler geworden, waren dann Investment-Banker über 20 Jahre bei Goldman & Sachs. Und dieser amerikanische Traum ist ja eine große Triebfeder für das, was die Amerikaner bewegt.
Und da hat man im Moment ein bisschen das Gefühl, und der Präsident hat es vielleicht unterschätzt, dass dieser Traum verloren geht, dass nur noch 63 Prozent im Moment glauben, dass sie ihren Lebensstandard auch nur halten können, geschweige denn steigern können, dass man ein bisschen denkt, es ist nicht mehr die Triebfeder im Moment der Traum vorm Aufstieg, sondern die Angst vorm Abstieg.
Philip D. Murphy: Ich habe die Spiegel-Titelgeschichte sehr aufmerksam gelesen und ich möchte hier nicht die Fakten bestreiten, denn sie sind sehr klar. Die Situation ist nicht schön. Wir haben 9,6 Prozent Arbeitslosigkeit. Und in einigen Fällen haben wir 20 Prozent oder mehr der Häuser, die hypothekenbelastet sind, überbelastet sind. Das sind schreckliche Realitäten. Und wir sind dabei, uns langsam da raus zu bewegen, hervorzukriechen.
Das, was wir sagen und was mein Argument ist, ist, dass es wirklich eine Momentaufnahme ist, die wir gerade sehen. Und es ist sehr einfach natürlich, daraus zu extrapolieren. Ich sage meinen Kollegen, dass es falsch ist, von den Höhen heraus zu extrapolieren oder von den Tiefen des Tals. In den 90er Jahren hieß es zum Beispiel, dass Deutschland so unproduktiv sei und dass die herstellende Industrie sich langsam aus Deutschland wegbewegen würde und dass es eine Einbahnstraße sei. Und in beiden Fällen war es falsch, glücklicherweise für Deutschland auch, sowohl für die Weltwirtschaft als auch für Deutschland. Für die Deutschen war das eine gute Nachricht.
Der Artikel war wirklich wunderbar recherchiert, mit guten Bildern, aber ich glaube trotzdem, dass es eine Momentaufnahme war. Ich glaube, dass man ein Land wie in einem Film betrachten sollte und nicht, wie in einer Momentaufnahme.
Deutschlandradio Kultur: Fakt ist, es gibt viel zu tun für den Präsidenten und für den neuen Kongress. Fakt ist auch, Mr. Murphy, dass die Republikaner erfolgreich sehr viel verlangsamt und blockiert haben an Gesetzgebung. Sie haben vorhin gesagt, Sie hoffen, dass es ein bisschen anders wird, dass sie mehr Verantwortung werden übernehmen müssen und nicht einfach nur "nein" zu allem sagen können.
Die Frage ist, ob das wirklich so ist. Denn es gibt jetzt in den Reihen der Republikaner Vertreter der Tea-Party-Bewegung, die noch mehr auf "Nein" gebürstet sind, die Reformen, einschließlich der Gesundheitsreform, zurückdrehen wollen. Und diese Gruppierungen müssen die Republikaner einbinden.
Philip D. Murphy: Es ist ganz klar, wir müssen hier Gemeinsamkeiten finden, denn die Herausforderungen sind doch zu groß, auch was die Wirtschaft anbelangt. Und der Präsident versucht, hier auch seine Hand auszustrecken und Gemeinsamkeiten zu finden. Aber ich werde jetzt mal als Politiker sprechen:
Ich muss den Republikanern tatsächlich Respekt zollen. Ich stimme ihrer Strategie der letzten zwei Jahre nicht zu, aber als politische Strategie haben sie das doch tatsächlich doch sehr schlau ausgeführt. Ich denke nicht, dass diese Strategie in den nächsten zwei Jahren weiter haltbar ist. Diejenigen, die am Dienstag gewählt worden sind, werden in zwei Jahren auch wieder Wahlen bestreiten. Und der Senat wird auch wieder zur Wahl stehen und der Präsident. Und man muss eine positive Botschaft auch haben, nicht einfach nur eine Nein-Botschaft. Deswegen bin ich optimistisch, dass die Republikaner versuchen werden, ihre neuen Mitglieder – auch diejenigen von der Tea-Party – mit einzubinden. Und sie werden versuchen, Gemeinsamkeiten mit der anderen Seite zu finden.
Denn die Botschaft ist doch klar: Die Menschen werden sagen, sie sind zum Teil verantwortlich für unseren Kongress. Und dann werden sie fragen in zwei Jahren: Wo stehen wir? Wenn wir nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit haben und wenn wir aber tatsächlich einen Wirtschaftsaufschwung erzielen wollen, dann muss man eine ganz andere Strategie fahren.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns einen Augenblick, Mr. Murphy, etwas grundsätzlicher diskutieren, und zwar über das politische System der USA. Es basiert ja auf einer Verfassung, die über 220 Jahre alt ist, in seinen Grundsätzen. Und ich kann als Europäerin nicht begreifen, dass ein politisches System dazu führen kann, dass ein Präsident in einem seltenen Fall, wie in den letzten zwei Jahren, substanzielle Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses hat und trotzdem seine Agenda nur verstümmelt, nur sehr zögerlich oder gar nicht durch bekommt.
Da fragt man sich doch manchmal, ob an dem System was nicht stimmt – inklusive der Tatsache, dass alle zwei Jahre, Sie sagten es eben, die Abgeordneten neu gewählt werden müssen. Und die haben dann ihre Wiederwahl in erster Linie im Kopf und nicht die Agenda des eigenen Präsidenten.
Philip D. Murphy: Das ist eine sehr gute Frage. Diese Nein-Strategie, die ja politisch gesehen sehr schlau gewesen ist, so wird man doch auch sehen, dass in den letzten zwei Jahren Historisches geleistet worden ist vom Kongress und vom Präsidenten. Das ist ganz objektiv. Ich glaube, dass das, was in den letzten zwei Jahren getan wurde, vergleichbar ist mit der Präsidentschaft mit Lyndon B. Johnson in den 60ern. Also, trotz der Cleverness der republikanischen Strategie und das, was in der Zukunft passieren kann, sollte man doch nicht vergessen, dass das, was passiert ist, auch massiv passiert ist – ob die Menschen das nun mögen oder nicht.
Im Augenblick sind die Lager doch etwa ausgeglichen. Außerdem muss man auch feststellen, dass von Zeit zu Zeit die Wählerschaft dahin tendiert, auch eine Teilung in ihrer politischen Führung zu haben. Man kann das vielleicht wie die Untertasse unter der Tasse nennen, die auch ein bisschen das politische Gemüt abkühlen sollte.
Deutschlandradio Kultur: Da hat der Diplomat und Politiker gesprochen. Politische Analysten sehen das ein wenig kritischer. Sie sagen, es führt wirklich zu einer Hängepartie. Es führt dazu, dass Dinge verzögert werden. Und es sei eigentlich nicht mehr zeitgemäß, schon gar nicht für eine Groß- und Weltmacht, weil das Agieren so außerordentlich schwierig ist, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass eben die Mehrheit zu haben, nicht einmal reicht, weil einzelne Abgeordnete oder alle irgendwann sich nicht mehr fragen, macht der Präsident das Richtige, sondern was sagen meine Wähler, was sagen meine Spender, weil sie ja auch ihren Wahlkampf selber finanzieren müssen. Was sagen die dazu? Und dann sage ich lieber "Nein" zum Präsidenten, ehe ich mein Mandat verliere.
Philip D. Murphy: Winston Churchill hat gesagt, dass die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, abgesehen von allen anderen. Ich denke, das ist wichtig zu sehen. Es sind wirklich schwierige Zeiten, jetzt an der Regierung zu sein. Wir haben auch ein großes Land. Wir haben über 200 Mio. Menschen in diesem Land. Es ist ein sehr ausgedehntes Land. Und wir werden immer verschiedene Aspekte in diesem Land haben.
Deutschlandradio Kultur: Mir ist schon aufgefallen, dass wir von der eigentlichen Frage ein bisschen abgekommen sind. Aber lassen wir das. Ich glaube, es gilt auch fast als unpatriotisch zu sagen, dass irgendetwas an der amerikanischen Verfassung vielleicht justiert werden sollte.
Außenpolitik: Sie, wir sitzen hier in Berlin, auf halbem Weg sozusagen zwischen Moskau und Washington. Entsprechend gibt es ja ein großes Interesse am Außenpolitischen allgemein, aber auch gerade an den Beziehungen zu Russland. Es hängt im Kongress die Ratifizierung des Abrüstungsvertrags "START" mit Russland. Da wird es eine Zweidrittelmehrheit dafür geben müssen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das passieren könnte unter den gegebenen Umständen?
Und hinzukommen ja auch weitergehende Initiativen der Zusammenarbeit mit Russland, jetzt auch bei dem anstehenden Nato-Gipfel angedacht, bis hin dazu, einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum mit Russland zu schaffen.
Philip D. Murphy: Ich möchte zuerst mal über "START" sprechen. Ich denke, zwischen dem jetzigen Datum und Januar wird es da eine starke Initiative geben. Wir haben gerade 76 von 100 Stimmen bereits dafür. Ich denke, dass der Präsident vielleicht nicht optimistisch, aber zumindest hoffnungsfroh ist. Es ist wirklich eine große Priorität. Es wäre wirklich falsch zu denken, dass – obwohl diese Wahl mit vielen innenpolitischen Aspekten und Ängsten zu tun hat – dies keine große Priorität genießen würde. Es hat eine große Priorität.
Und dann Russland: Ich glaube, die letzten 18 Monate der Beziehung mit Russland waren sehr, sehr gut. Ich glaube, Europa hat davon profitiert. Natürlich hat das neue "START"-Abkommen dazu beigetragen. Wir freuen uns auch auf den Gipfel mit Medwedew. Und der Nato-Russland-Rat ist sehr, sehr wichtig. Es geht nicht um subjektive Hoffnungen, sondern es gibt sehr viele objektive Fakten, Beweise, dass dieser Re-Start-Push, den wir mit Russland durchgeführt haben, viele positive Dinge herbeigeführt hat. Was Afghanistan anbelangt ist es sehr, sehr positiv für die Allianz und für Russland. Russland ist sehr, sehr involviert im Sicherheitsrat. Auch was die Sanktionen gegen den Iran anbelangt, ist sie sehr wichtig. Und dass sie keine weitere Ausrüstung an den Iran verkaufen, ist auch sehr, sehr wichtig. Das sind alles spezifische gute Zeichen, die nicht nur für die Amerikaner und die Russen sehr gut sind, sondern speziell auch für Europäer sehr, sehr wichtig sind.
Deutschlandradio Kultur: Sollte das wirklich so weit gehen, und die Überlegungen sind ja auf dem Tisch, dass es eine gemeinsame Raketenabwehr für Europa mit den Russen geben könnte? Das war ja einer der Streitpunkte in der Ära Bush, dass das Raketenabwehrsystem die Russen nicht mit einbezogen hat.
Philip D. Murphy: Ich weiß nicht, wo das genau hinführt. Aber ich werde eins klar feststellen: Russland ist nicht unser Feind. Wir werden mit Russland zusammenarbeiten, um auch in Fällen wie Iran weiterzukommen. Also, Russland ist nicht unser Feind. Und deswegen gibt es auch Gemeinsamkeiten, die wir herausarbeiten können. Es gibt eine explizite Erklärung hinsichtlich der Bedrohungen, die es gibt. Und sobald man dies natürlich beiderseitig explizit festlegt, dann gibt es Platz auch für Gemeinsamkeiten.
Deutschlandradio Kultur: Der Demokrat Philip Murphy hat es im Moment nicht so richtig leicht angesichts der aktuellen Entwicklung, aber der Botschafter Philip Murphy hat es eigentlich sehr leicht. Sie sind jetzt ein gutes Jahr hier in Berlin. Sie müssen keine transatlantischen Wogen glätten. Es läuft alles wirklich gut. Wo sehen Sie trotzdem Stellschrauben, um die Beziehungen zu verbessern. Denn ganz einig ist man sich nicht an jedem Punkt, zum Beispiel auch nicht an der Bekämpfung der Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Philip D. Murphy: Ich möchte irgendwann mal gerne hier zurückkommen. Und ich möchte auch hoffen, dass wir dann die Frage haben werden, ob das Glas halb voll und nicht halb leer ist. Denn ich denke, dass das Glas wirklich mehr als halb voll ist, was Deutschland anbelangt. Es gibt keinen besseren Partner, keinen besseren Alliierten für uns als Deutschland, egal, welches Thema Sie angehen, ob das den Iran anbelangt, den Frieden im Nahen Osten, die Finanzmärkte, die Ziele Energie und der Kampf gegen den Terrorismus. Das sind alles Bereiche, wo wir sehr eng zusammenarbeiten.
Es gibt zwei Bereiche, wo wir auch Gemeinsamkeiten finden, wo wir allerdings unterschiedliche Perspektiven verfolgen. Das sind der Datenschutz und die globale Weltwirtschaft. Das sind diese beiden Themen. Ich denke, wir sprechen natürlich auch vor dem Hintergrund unserer historischen Erfahrungen. Wir verstehen natürlich den Datenschutz in Deutschland sehr gut. Und Deutsche verstehen natürlich auch, dass die Zivilrechte in unseren Bill of Rights verankert sind, in unserer Verfassung. Aber wir haben auch verschiedene Ausführungen dieser Rechte. Deswegen ist es auch schwierig manchmal, Gemeinsamkeiten zu finden.
Wir hatten Schwierigkeiten, als es um den Antiterrorismus ging, um den Kampf gegen den Terrorismus, aber wir haben eine Art und Weise gefunden, zusammenzuarbeiten, weiterzugehen. Und das Gleiche gilt auch für die Weltwirtschaft. Wir wissen alle auch um die geschichtlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern. In Deutschland ist die geschichtliche Gegebenheit eine starke Exportwirtschaft, niedrige Arbeitslosenraten, aber natürlich auch die Erinnerung an eine Hyperinflation, die jetzt schon lange zurückliegt, aber die immer noch wichtig ist.
Ich denke, dass wir in den USA zum Beispiel eher das Problem der hohen Arbeitslosigkeit sehen und weniger die Inflation. Aber wir haben auch aus den Fehlern der 1930er Jahre gelernt, wo wir Dinge hätten anders tun sollen.
Was die Weltwirtschaft anbelangt, geht es nicht darum zu sehen, wer recht hat und wer falsch liegt, sondern eher darum, Gemeinsamkeiten zu finden und darauf aufzubauen. Und manchmal hat man unterschiedliche Wirklichkeiten und eine sehr, sehr gute Beziehung. Und manchmal ist das genau der Punkt, wo es schwierig ist, Gemeinsamkeiten zu finden, um vorwärts zu gehen.
Deutschlandradio Kultur: Eines muss ich noch wissen: Sie leben, Sie haben es auch noch mal im Gespräch gesagt, nicht zum ersten Mal in Deutschland. Sie haben in einem Interview gesagt, Sie lieben die deutsche Sprache, finden sie aber doch arg schwer. Sie nehmen, wann immer Sie können, Deutschstunden. Sie haben sie verglichen mit Zahnarztbesuchen. – Schicken Sie denn Ihre vier Kinder, die Sie haben, auch sozusagen wöchentlich oder mehrmals wöchentlich zum Zahnarzt in diesem Sinne?
Philip D. Murphy: Ja. Ich muss diese Frage auf Deutsch beantworten. Ja, absolut. Unser junger Mann Sam ist 7 Jahre alt und er ist, ich denke, fast in der Muttersprachklasse. Er ist in der 2. Klasse. Sie alle nehmen Deutsch-Unterricht, entweder zweimal, zwei Programme, nicht nur zweimal in der Schule, oder einmal in der Schule und einmal privat. Wir haben ein sehr besonderes Kindermädchen. Sie ist Deutsche und sie alle sprechen nur auf Deutsch mit dem Kindermädchen. Wir alle, die ganze Familie versucht jeden Moment ...
Deutschlandradio Kultur: … zum Zahnarzt zu gehen.
Philip D. Murphy: Ja, ja, genau. Wir haben zwei Hunde. Wir haben einen neuen Hund. Und die zwei Hunde sind in Deutschland geboren. Und ich sage oft, unsere zwei Hunde sind die einzigen Mitglieder in der Familie Murphy, die fließend auf Deutsch...
Deutschlandradio Kultur: Botschafter Murphy, vielen Dank fürs Gespräch.
Philip D. Murphy: Für mich war es ungefähr von 28 bis 38, war es sehr schwer für mich. Meine Frau und ich waren zusammen. Meine Frau war sehr stark, aber für ungefähr 10 Kilometer war es total eine große Herausforderung für mich. Aber wir haben alles geschafft. Und das ist mein erster und vielleicht mein letzter Marathon, aber es ist eine großartige Chance und ich bin sehr glücklich. Aber für dieses Stück, es war ganz, ganz schrecklich für meine Beine.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir im Bild bleiben: Würden Sie sagen, dass der amerikanische Präsident Obama sozusagen im Moment bei seinem Marathon, einem politischen Marathon, was so eine Amtszeit im Weißen Haus bedeutet, bei Kilometer 28 bis 31 ist?
Philip D. Murphy: Ich weiß es nicht. Die echte, wirkliche Analogie ist, dass Politik und Regierungsarbeit auch ein Marathon sind. Das ist keine Sprintarbeit. Es gibt Höhen und Tiefen. Die Dienstagswahl wurde als eine Watsche empfunden. Anders kann man das nicht nennen. Und das hat wirklich mit den Erwartungen der Menschen zu tun. Und er hat ja auch klargestellt, dass die Demokraten ja auch die Mehrheit im Senat haben. Aber, was das Repräsentantenhaus anbelangte, war es wirklich ein sehr, sehr schwerer Tag. Und ich gehe noch mal auf die Zeit zurück, als ich in den USA in der Politik aktiv war.
Meine Erfahrung ist, dass man das wirklich als einen Marathon sehen muss, als eine Langstrecke, vor allen Dingen, wenn man ein solches politisches Vorhaben hat, das so groß ist, eigentlich so tief verändernd ist, wie das, was Herr Obama vorhat.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben in einem Interview gesagt, Ambassador Murphy, dass man diese Wahlen nicht mit einem Referendum der Politik Obamas verwechseln sollte. Darüber kann man jetzt streiten, aber Fakt ist, dass Obama innerhalb von zwei Jahren von jemandem, der von einer Mehrheit fast geliebt wurde, und zwar über Parteigrenzen hinweg, zu jemandem geworden ist, der verteufelt wird – muss man, glaub ich, wirklich sagen – von den Konservativen, gegeißelt von den Linksliberalen und verlassen von der Mitte.
Philip D. Murphy: Es ist sehr wichtig, hier einen Kontext für diese Aussage zu schaffen. Nämlich, zuerst einmal ist der Präsident noch etwas populärer als Ronald Reagan es 1982 war zu diesem Zeitpunkt seiner Präsidentschaft in den Umfragen, auch als Präsident Clinton 1994. Und in jeder dieser Situationen gab es dann ein glückliches Ende. Und das sollte man doch im Kopf behalten.
Doch was auf jeden Fall Präsident Reagan anbelangte, war der Wirtschaftsaufschwung 1983/84 ja da. Und das ist ja der Vergleich, den viele Leute auch hervorheben, auch zu Präsident Clinton. Ich denke, dass unser Zeitpunkt auch ähnlicher ist wie der Zeitpunkt 1982 für Präsident Reagan. Ich denke, dass Präsident Obama immer noch ein Hoffnungsträger ist. Das ist zweifelsohne so. Ich erfahre das jeden Tag in Deutschland, aber auch in den USA.
Drittens: Nachdem ich jetzt einiges gestern und heute darüber gelesen habe, nachdem die Republikaner im Januar 2009 entschieden haben, dass sie nicht mit dem Präsidenten zusammenarbeiten wollten, glaube ich, muss man feststellen, dass der Präsident wahrscheinlich einfach keine Partner hatte, die mit ihm arbeiten wollten. Der Präsident war sehr ehrlich. Er war sehr gerade in seinem Versuch, hier Gemeinsamkeiten zu finden mit der politischen Opposition.
Deutschlandradio Kultur: Und das ist auch ein Punkt, der mich wirklich verwundert, wenn man nach Amerika schaut, dass ausgerechnet ein Präsident, der die Versöhnung zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht hat, dieses geteilte Amerika wieder zusammenzuführen, es eigentlich im Grunde, wenn man es sich anschaut, fast noch mehr gespalten hat. Dieses Land ist geteilt zwischen Leuten, die ihn wirklich hassen und mit Hitler vergleichen oder ihn einen Muslim schimpfen oder einen Intellektuellen, was er ist, aber sie meinen es diffamierend, und denen, die noch immer glauben, er ist derjenige, der dieses Land aus der Krise führen kann.
Philip D. Murphy: Da möchte ich ein paar Dinge zu sagen. Diejenigen, die wirklich so hasserfüllt über ihn reden, das ist wirklich eine verschwindende Minderheit in unserer Gesellschaft. Zweitens, warum diese Wahl jetzt keine Ablehnung Obamas ist: Es ist klar, dass es wirklich ein Ruf war, ein Ruf nach Hilfe in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Und ich glaube, dass das auch in dem Satz "It's the economy, stupid" steckt. Darum geht es wirklich. Und niemand ist sich dessen bewusster als Präsident Obama. Er hat wirklich jeden Dollar, den er zur Verfügung hatte, in diese Wirtschaft gesteckt. Präsident Obama hat hier eine Lokomotive geerbt, die mit über 200 Stundenkilometern den Berg runter fährt. Und das aufzuhalten, das ist sehr schwierig.
Und das, was wir am Dienstag gesehen haben, ist wirklich fast ein Hilferuf des Volkes. Ich weiß, dass er mehr tun wird und ich bin auch optimistisch, dass die Führung der Republikaner auch diese Gemeinsamkeiten suchen wird mit Obama. Denn wenn in zwei Jahren die Menschen dann fragen werden, was haben Sie geleistet, und wenn die Wirtschaft wirklich das Hauptthema ist – und ich weiß, dass 62 Prozent der Menschen glauben, dass das das Wichtigste ist, das nächstwichtige Thema hat nur 19 Prozent -, dann, denke ich, werden die Republikaner auch nach diesen Gemeinsamkeiten mit Präsident Obama suchen.
Deutschlandradio Kultur: Ich komme noch mal darauf zurück, aber ich möchte noch bei dem Bild von der Lokomotive einen kleinen Moment bleiben, weil es sehr schön ist und sehr treffend.
Präsident Obama hat die Wahlen gewonnen vor zwei Jahren, weil er den Eindruck vermittelt hat, er könne diese Lokomotive stoppen. Dementsprechend hoch ist natürlich einfach die Fallhöhe, von der aus er jetzt in der Gunst der Leute – und das sind 20 Prozentpunkte zwischen damals und heute, was die Zustimmung angeht für ihn – gefallen ist.
Philip D. Murphy: Aus meiner Sicht ist das nicht überraschend. Ich denke, er wird die Lokomotive aufhalten und umdrehen. Sie dreht sich ja bereits schon. Sie hat sich nur noch nicht schnell genug, wie wir es uns wünschen würden, gedreht. Das ist der erste Punkt. Und der zweite Punkt, den ich in Deutschland immer wiederhole: Einer der Gründe, warum ich ihn wirklich verehre als Präsidenten auch, ist, weil er wirklich zwei Wege verfolgt hat als Präsident, nämlich erstens die absolute Notwendigkeit, die jeder Präsident annehmen muss: Er musste nämlich sofort mit einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation umgehen. Und zweitens die Außenpolitik mit Irak und Afghanistan, und diese Themen sollten auch nicht aufgeschoben werden, das waren die Topp-Prioritäten seiner Präsidentschaft bisher. Und er hat in beiden Bereichen sehr große Erfolge erzielt.
Natürlich braucht die Wirtschaft etwas länger. Das ist fraglich der Fall. Aber das, was wirklich wichtig ist, dies ist jemand, der gesagt hat, das reicht nicht. Wir haben langfristige strukturelle Probleme, sowohl zu Hause als auch weltweit, langfristige Themen, die ständig vertagt worden sind, um die tagespolitischen Themen besser anzugehen. Sowohl Demokraten und Republikaner haben das getan. Und er hat gesagt, ich möchte sowohl die strukturellen langfristigen Dinge angehen als auch die wichtigen kurzfristigen Dinge. Und er hat gesagt, ich will es richtig tun und hat es zum Beispiel mit seiner Gesundheitsreform getan – die größte Reform seit den 60er Jahren -, und durch sein Konjunkturpaket, das größte Paket, das überhaupt in der Geschichte des Landes geschnürt wurde, das größte seit den 30er Jahren auf jeden Fall. Dann in der Außenpolitik Kommunikation mit dem Iran, seit dem ersten Tag seiner Präsidentschaft eine Vision für eine atomwaffenfreie Welt, das sind langfristige Themen.
Deutschlandradio Kultur: Aber einfach auch alles Themen, für genau die er kritisiert worden ist. Und genau die haben die Republikaner angeführt als Argumente gegen seine Politik.
Philip D. Murphy: Ich möchte drei Amerikaner hier anführen, die eine große Rolle in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten, die Dinge taten und sagten, die sehr unpopulär waren, aber die deswegen nicht falsch waren. – James Byrnes, der erste. In seiner Hoffnungsrede im September 1946, George C. Marshall mit dem Marshall-Fund, oder Harry Truman, der 1948 sprach. Die Vereinigten Staaten waren müde. Sie hatten einen Krieg in Europa geführt. Es war sehr unpopulär. Wir hatten viele Menschen verloren. Die Wirtschaft lag am Boden, aber diese drei Menschen haben sich wirklich auch gegen die Strömung gestellt. Die Tatsache, dass etwas unpopulär ist, bedeutet ja nicht unbedingt, dass es falsch ist.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind ein wunderbarer Botschafter Ihres Präsidenten, Herr Murphy. Sie selbst sind sozusagen das lebende Beispiel des amerikanischen Traums. Sie kommen aus kleinen Verhältnissen, haben dann in Harvard studiert, sind Wirtschaftswissenschaftler geworden, waren dann Investment-Banker über 20 Jahre bei Goldman & Sachs. Und dieser amerikanische Traum ist ja eine große Triebfeder für das, was die Amerikaner bewegt.
Und da hat man im Moment ein bisschen das Gefühl, und der Präsident hat es vielleicht unterschätzt, dass dieser Traum verloren geht, dass nur noch 63 Prozent im Moment glauben, dass sie ihren Lebensstandard auch nur halten können, geschweige denn steigern können, dass man ein bisschen denkt, es ist nicht mehr die Triebfeder im Moment der Traum vorm Aufstieg, sondern die Angst vorm Abstieg.
Philip D. Murphy: Ich habe die Spiegel-Titelgeschichte sehr aufmerksam gelesen und ich möchte hier nicht die Fakten bestreiten, denn sie sind sehr klar. Die Situation ist nicht schön. Wir haben 9,6 Prozent Arbeitslosigkeit. Und in einigen Fällen haben wir 20 Prozent oder mehr der Häuser, die hypothekenbelastet sind, überbelastet sind. Das sind schreckliche Realitäten. Und wir sind dabei, uns langsam da raus zu bewegen, hervorzukriechen.
Das, was wir sagen und was mein Argument ist, ist, dass es wirklich eine Momentaufnahme ist, die wir gerade sehen. Und es ist sehr einfach natürlich, daraus zu extrapolieren. Ich sage meinen Kollegen, dass es falsch ist, von den Höhen heraus zu extrapolieren oder von den Tiefen des Tals. In den 90er Jahren hieß es zum Beispiel, dass Deutschland so unproduktiv sei und dass die herstellende Industrie sich langsam aus Deutschland wegbewegen würde und dass es eine Einbahnstraße sei. Und in beiden Fällen war es falsch, glücklicherweise für Deutschland auch, sowohl für die Weltwirtschaft als auch für Deutschland. Für die Deutschen war das eine gute Nachricht.
Der Artikel war wirklich wunderbar recherchiert, mit guten Bildern, aber ich glaube trotzdem, dass es eine Momentaufnahme war. Ich glaube, dass man ein Land wie in einem Film betrachten sollte und nicht, wie in einer Momentaufnahme.
Deutschlandradio Kultur: Fakt ist, es gibt viel zu tun für den Präsidenten und für den neuen Kongress. Fakt ist auch, Mr. Murphy, dass die Republikaner erfolgreich sehr viel verlangsamt und blockiert haben an Gesetzgebung. Sie haben vorhin gesagt, Sie hoffen, dass es ein bisschen anders wird, dass sie mehr Verantwortung werden übernehmen müssen und nicht einfach nur "nein" zu allem sagen können.
Die Frage ist, ob das wirklich so ist. Denn es gibt jetzt in den Reihen der Republikaner Vertreter der Tea-Party-Bewegung, die noch mehr auf "Nein" gebürstet sind, die Reformen, einschließlich der Gesundheitsreform, zurückdrehen wollen. Und diese Gruppierungen müssen die Republikaner einbinden.
Philip D. Murphy: Es ist ganz klar, wir müssen hier Gemeinsamkeiten finden, denn die Herausforderungen sind doch zu groß, auch was die Wirtschaft anbelangt. Und der Präsident versucht, hier auch seine Hand auszustrecken und Gemeinsamkeiten zu finden. Aber ich werde jetzt mal als Politiker sprechen:
Ich muss den Republikanern tatsächlich Respekt zollen. Ich stimme ihrer Strategie der letzten zwei Jahre nicht zu, aber als politische Strategie haben sie das doch tatsächlich doch sehr schlau ausgeführt. Ich denke nicht, dass diese Strategie in den nächsten zwei Jahren weiter haltbar ist. Diejenigen, die am Dienstag gewählt worden sind, werden in zwei Jahren auch wieder Wahlen bestreiten. Und der Senat wird auch wieder zur Wahl stehen und der Präsident. Und man muss eine positive Botschaft auch haben, nicht einfach nur eine Nein-Botschaft. Deswegen bin ich optimistisch, dass die Republikaner versuchen werden, ihre neuen Mitglieder – auch diejenigen von der Tea-Party – mit einzubinden. Und sie werden versuchen, Gemeinsamkeiten mit der anderen Seite zu finden.
Denn die Botschaft ist doch klar: Die Menschen werden sagen, sie sind zum Teil verantwortlich für unseren Kongress. Und dann werden sie fragen in zwei Jahren: Wo stehen wir? Wenn wir nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit haben und wenn wir aber tatsächlich einen Wirtschaftsaufschwung erzielen wollen, dann muss man eine ganz andere Strategie fahren.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns einen Augenblick, Mr. Murphy, etwas grundsätzlicher diskutieren, und zwar über das politische System der USA. Es basiert ja auf einer Verfassung, die über 220 Jahre alt ist, in seinen Grundsätzen. Und ich kann als Europäerin nicht begreifen, dass ein politisches System dazu führen kann, dass ein Präsident in einem seltenen Fall, wie in den letzten zwei Jahren, substanzielle Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses hat und trotzdem seine Agenda nur verstümmelt, nur sehr zögerlich oder gar nicht durch bekommt.
Da fragt man sich doch manchmal, ob an dem System was nicht stimmt – inklusive der Tatsache, dass alle zwei Jahre, Sie sagten es eben, die Abgeordneten neu gewählt werden müssen. Und die haben dann ihre Wiederwahl in erster Linie im Kopf und nicht die Agenda des eigenen Präsidenten.
Philip D. Murphy: Das ist eine sehr gute Frage. Diese Nein-Strategie, die ja politisch gesehen sehr schlau gewesen ist, so wird man doch auch sehen, dass in den letzten zwei Jahren Historisches geleistet worden ist vom Kongress und vom Präsidenten. Das ist ganz objektiv. Ich glaube, dass das, was in den letzten zwei Jahren getan wurde, vergleichbar ist mit der Präsidentschaft mit Lyndon B. Johnson in den 60ern. Also, trotz der Cleverness der republikanischen Strategie und das, was in der Zukunft passieren kann, sollte man doch nicht vergessen, dass das, was passiert ist, auch massiv passiert ist – ob die Menschen das nun mögen oder nicht.
Im Augenblick sind die Lager doch etwa ausgeglichen. Außerdem muss man auch feststellen, dass von Zeit zu Zeit die Wählerschaft dahin tendiert, auch eine Teilung in ihrer politischen Führung zu haben. Man kann das vielleicht wie die Untertasse unter der Tasse nennen, die auch ein bisschen das politische Gemüt abkühlen sollte.
Deutschlandradio Kultur: Da hat der Diplomat und Politiker gesprochen. Politische Analysten sehen das ein wenig kritischer. Sie sagen, es führt wirklich zu einer Hängepartie. Es führt dazu, dass Dinge verzögert werden. Und es sei eigentlich nicht mehr zeitgemäß, schon gar nicht für eine Groß- und Weltmacht, weil das Agieren so außerordentlich schwierig ist, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass eben die Mehrheit zu haben, nicht einmal reicht, weil einzelne Abgeordnete oder alle irgendwann sich nicht mehr fragen, macht der Präsident das Richtige, sondern was sagen meine Wähler, was sagen meine Spender, weil sie ja auch ihren Wahlkampf selber finanzieren müssen. Was sagen die dazu? Und dann sage ich lieber "Nein" zum Präsidenten, ehe ich mein Mandat verliere.
Philip D. Murphy: Winston Churchill hat gesagt, dass die Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, abgesehen von allen anderen. Ich denke, das ist wichtig zu sehen. Es sind wirklich schwierige Zeiten, jetzt an der Regierung zu sein. Wir haben auch ein großes Land. Wir haben über 200 Mio. Menschen in diesem Land. Es ist ein sehr ausgedehntes Land. Und wir werden immer verschiedene Aspekte in diesem Land haben.
Deutschlandradio Kultur: Mir ist schon aufgefallen, dass wir von der eigentlichen Frage ein bisschen abgekommen sind. Aber lassen wir das. Ich glaube, es gilt auch fast als unpatriotisch zu sagen, dass irgendetwas an der amerikanischen Verfassung vielleicht justiert werden sollte.
Außenpolitik: Sie, wir sitzen hier in Berlin, auf halbem Weg sozusagen zwischen Moskau und Washington. Entsprechend gibt es ja ein großes Interesse am Außenpolitischen allgemein, aber auch gerade an den Beziehungen zu Russland. Es hängt im Kongress die Ratifizierung des Abrüstungsvertrags "START" mit Russland. Da wird es eine Zweidrittelmehrheit dafür geben müssen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das passieren könnte unter den gegebenen Umständen?
Und hinzukommen ja auch weitergehende Initiativen der Zusammenarbeit mit Russland, jetzt auch bei dem anstehenden Nato-Gipfel angedacht, bis hin dazu, einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum mit Russland zu schaffen.
Philip D. Murphy: Ich möchte zuerst mal über "START" sprechen. Ich denke, zwischen dem jetzigen Datum und Januar wird es da eine starke Initiative geben. Wir haben gerade 76 von 100 Stimmen bereits dafür. Ich denke, dass der Präsident vielleicht nicht optimistisch, aber zumindest hoffnungsfroh ist. Es ist wirklich eine große Priorität. Es wäre wirklich falsch zu denken, dass – obwohl diese Wahl mit vielen innenpolitischen Aspekten und Ängsten zu tun hat – dies keine große Priorität genießen würde. Es hat eine große Priorität.
Und dann Russland: Ich glaube, die letzten 18 Monate der Beziehung mit Russland waren sehr, sehr gut. Ich glaube, Europa hat davon profitiert. Natürlich hat das neue "START"-Abkommen dazu beigetragen. Wir freuen uns auch auf den Gipfel mit Medwedew. Und der Nato-Russland-Rat ist sehr, sehr wichtig. Es geht nicht um subjektive Hoffnungen, sondern es gibt sehr viele objektive Fakten, Beweise, dass dieser Re-Start-Push, den wir mit Russland durchgeführt haben, viele positive Dinge herbeigeführt hat. Was Afghanistan anbelangt ist es sehr, sehr positiv für die Allianz und für Russland. Russland ist sehr, sehr involviert im Sicherheitsrat. Auch was die Sanktionen gegen den Iran anbelangt, ist sie sehr wichtig. Und dass sie keine weitere Ausrüstung an den Iran verkaufen, ist auch sehr, sehr wichtig. Das sind alles spezifische gute Zeichen, die nicht nur für die Amerikaner und die Russen sehr gut sind, sondern speziell auch für Europäer sehr, sehr wichtig sind.
Deutschlandradio Kultur: Sollte das wirklich so weit gehen, und die Überlegungen sind ja auf dem Tisch, dass es eine gemeinsame Raketenabwehr für Europa mit den Russen geben könnte? Das war ja einer der Streitpunkte in der Ära Bush, dass das Raketenabwehrsystem die Russen nicht mit einbezogen hat.
Philip D. Murphy: Ich weiß nicht, wo das genau hinführt. Aber ich werde eins klar feststellen: Russland ist nicht unser Feind. Wir werden mit Russland zusammenarbeiten, um auch in Fällen wie Iran weiterzukommen. Also, Russland ist nicht unser Feind. Und deswegen gibt es auch Gemeinsamkeiten, die wir herausarbeiten können. Es gibt eine explizite Erklärung hinsichtlich der Bedrohungen, die es gibt. Und sobald man dies natürlich beiderseitig explizit festlegt, dann gibt es Platz auch für Gemeinsamkeiten.
Deutschlandradio Kultur: Der Demokrat Philip Murphy hat es im Moment nicht so richtig leicht angesichts der aktuellen Entwicklung, aber der Botschafter Philip Murphy hat es eigentlich sehr leicht. Sie sind jetzt ein gutes Jahr hier in Berlin. Sie müssen keine transatlantischen Wogen glätten. Es läuft alles wirklich gut. Wo sehen Sie trotzdem Stellschrauben, um die Beziehungen zu verbessern. Denn ganz einig ist man sich nicht an jedem Punkt, zum Beispiel auch nicht an der Bekämpfung der Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Philip D. Murphy: Ich möchte irgendwann mal gerne hier zurückkommen. Und ich möchte auch hoffen, dass wir dann die Frage haben werden, ob das Glas halb voll und nicht halb leer ist. Denn ich denke, dass das Glas wirklich mehr als halb voll ist, was Deutschland anbelangt. Es gibt keinen besseren Partner, keinen besseren Alliierten für uns als Deutschland, egal, welches Thema Sie angehen, ob das den Iran anbelangt, den Frieden im Nahen Osten, die Finanzmärkte, die Ziele Energie und der Kampf gegen den Terrorismus. Das sind alles Bereiche, wo wir sehr eng zusammenarbeiten.
Es gibt zwei Bereiche, wo wir auch Gemeinsamkeiten finden, wo wir allerdings unterschiedliche Perspektiven verfolgen. Das sind der Datenschutz und die globale Weltwirtschaft. Das sind diese beiden Themen. Ich denke, wir sprechen natürlich auch vor dem Hintergrund unserer historischen Erfahrungen. Wir verstehen natürlich den Datenschutz in Deutschland sehr gut. Und Deutsche verstehen natürlich auch, dass die Zivilrechte in unseren Bill of Rights verankert sind, in unserer Verfassung. Aber wir haben auch verschiedene Ausführungen dieser Rechte. Deswegen ist es auch schwierig manchmal, Gemeinsamkeiten zu finden.
Wir hatten Schwierigkeiten, als es um den Antiterrorismus ging, um den Kampf gegen den Terrorismus, aber wir haben eine Art und Weise gefunden, zusammenzuarbeiten, weiterzugehen. Und das Gleiche gilt auch für die Weltwirtschaft. Wir wissen alle auch um die geschichtlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern. In Deutschland ist die geschichtliche Gegebenheit eine starke Exportwirtschaft, niedrige Arbeitslosenraten, aber natürlich auch die Erinnerung an eine Hyperinflation, die jetzt schon lange zurückliegt, aber die immer noch wichtig ist.
Ich denke, dass wir in den USA zum Beispiel eher das Problem der hohen Arbeitslosigkeit sehen und weniger die Inflation. Aber wir haben auch aus den Fehlern der 1930er Jahre gelernt, wo wir Dinge hätten anders tun sollen.
Was die Weltwirtschaft anbelangt, geht es nicht darum zu sehen, wer recht hat und wer falsch liegt, sondern eher darum, Gemeinsamkeiten zu finden und darauf aufzubauen. Und manchmal hat man unterschiedliche Wirklichkeiten und eine sehr, sehr gute Beziehung. Und manchmal ist das genau der Punkt, wo es schwierig ist, Gemeinsamkeiten zu finden, um vorwärts zu gehen.
Deutschlandradio Kultur: Eines muss ich noch wissen: Sie leben, Sie haben es auch noch mal im Gespräch gesagt, nicht zum ersten Mal in Deutschland. Sie haben in einem Interview gesagt, Sie lieben die deutsche Sprache, finden sie aber doch arg schwer. Sie nehmen, wann immer Sie können, Deutschstunden. Sie haben sie verglichen mit Zahnarztbesuchen. – Schicken Sie denn Ihre vier Kinder, die Sie haben, auch sozusagen wöchentlich oder mehrmals wöchentlich zum Zahnarzt in diesem Sinne?
Philip D. Murphy: Ja. Ich muss diese Frage auf Deutsch beantworten. Ja, absolut. Unser junger Mann Sam ist 7 Jahre alt und er ist, ich denke, fast in der Muttersprachklasse. Er ist in der 2. Klasse. Sie alle nehmen Deutsch-Unterricht, entweder zweimal, zwei Programme, nicht nur zweimal in der Schule, oder einmal in der Schule und einmal privat. Wir haben ein sehr besonderes Kindermädchen. Sie ist Deutsche und sie alle sprechen nur auf Deutsch mit dem Kindermädchen. Wir alle, die ganze Familie versucht jeden Moment ...
Deutschlandradio Kultur: … zum Zahnarzt zu gehen.
Philip D. Murphy: Ja, ja, genau. Wir haben zwei Hunde. Wir haben einen neuen Hund. Und die zwei Hunde sind in Deutschland geboren. Und ich sage oft, unsere zwei Hunde sind die einzigen Mitglieder in der Familie Murphy, die fließend auf Deutsch...
Deutschlandradio Kultur: Botschafter Murphy, vielen Dank fürs Gespräch.