US-Autor: "Entmenschlichung des Feindes" gehört zum Krieg

Moderation: Susanne Burg · 24.04.2013
Der US-Autor Kevin Powers hat seine Erfahrungen als Soldat im Roman "Die Sonne war der ganze Himmel" verarbeitet. Die Intensität des Krieges werfe einen "aus den gewohnten Gleisen der Wahrnehmung", sagt er. Manche Erlebnisse würden ihn für den Rest des Lebens begleiten.
Susanne Burg: John Bartle ist 21 Jahre alt und meldet sich freiwillig zur US-Armee. Wenig später, im Sommer 2004, zieht er in den Irakkrieg, an seiner Seite der Freund Murph, dessen Mutter er versprochen hat, den Sohn heil wieder zurückzubringen. Aber schon am Anfang des Romans ist klar: Murph wird nicht lebend in die USA zurückkehren. Der Roman beschreibt, wie die beiden jungen, unerfahrenen Soldaten gegen Aufständische im Irak kämpfen, wie sie in eine Spirale von Gewalt und Verrohung geraten, wie Murph auf grausame Weise stirbt, und er erzählt, wie der Ich-Erzähler Bartle sich schuldig fühlt und nach seiner Heimkehr nie wieder wirklich in sein ziviles Leben zurückfindet.

"Die Sonne war der ganze Himmel", so heißt der Debütroman des US-amerikanischen Schriftstellers Kevin Powers, in dem er auch seine eigenen Erfahrungen im Irakkrieg verarbeitet hat. Der Roman ist nun auf Deutsch erschienen, und ich begrüße Kevin Powers ganz herzlich in einem Studio in Frankfurt am Main. Guten Morgen! Hello, Mister Powers!

Kevin Powers: Hi, how are you?

Burg: George W. Bush hat am 1. Mai 2003 in einer großen Zeremonie das Ende der größeren Kampfhandlungen im Irak erklärt. Sie, Mister Powers selber, waren später von 2004 bis 2005 als Soldat im Irakkrieg. War Ihnen damals klar, worauf Sie sich einlassen würden? Sind Sie als Patriot in den Krieg gegangen.

Powers: Ich hatte schon ungefähr eine Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, obwohl man sich natürlich nie geistig vollständig darauf vorbereiten kann, was man da erleben wird. Das wird man erst aus erster Hand erfahren. Als meine Einheit damals im Irak eintraf, war die Lage noch relativ ruhig, erst zwei oder drei Monate später zeigte sich, dass diese Aussage des Präsidenten völlig falsch war. Die größeren Kampfhandlungen waren mitnichten zu Ende.

Burg: Sie beschreiben sehr ausführlich die Kämpfe, die es dann gibt in Tal Afar im Nordwesten des Irak, und Sie schreiben auch, es gab in dem Krieg keine klaren Linien wie in dem Krieg der Großväter, also im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Heutzutage gibt es eigentlich eine jährliche blutige Parade. Was war das für eine blutige Parade, und diese blutige Parade, das heißt, die Stadt ist jedes Jahr neu umkämpft, Tal Afar. Wie haben Sie das erlebt, was stellt das mit der Kampfmoral der Soldaten an?

Powers: In dem Teil des Buches versuche ich, die Sinnlosigkeit dieser Gefechte zu beschreiben, die sich ja endlos wiederholen, immer um dasselbe Stückchen Land, um dieselben Wohnsiedlungen – man erkennt eigentlich keinen rechten Fortschritt, und das unabhängig davon, ob wir eigentlich einen Grund hatten, dort militärisch tätig zu werden. Ich glaube, diese Frage ist beantwortet worden, aber selbst davon abgesehen war einfach kein Fortschritt zu erkennen, kein erkennbares Ziel, und das ist natürlich eine fast unlebbare Situation. Es ist ganz schwer, sich in dieser Situation zurechtzufinden.

Burg: Ich fand Ihre Beschreibung unglaublich beeindruckend, wie der Ich-Erzähler das Gefecht wahrnimmt: Alles verlangsamt sich wie in Zeitlupe, der Ich-Erzähler handelt quasi automatisiert. Ist die Wahrnehmung in einer solchen Ausnahmesituation tatsächlich eine andere? Wie erinnern Sie sich an diese unglaublichen Stresssituationen?

Powers: Ja, ich glaube, es gibt einen Unterschied in der Wahrnehmung der Welt, wenn man zu diesen äußersten Grenzen des menschlich Erfahrbaren kommt, und dieser Unterschied wird auch wohl für jeden Menschen anders ausfallen. In jedem Fall ist man sich dieser Intensität der Augenblicke sehr bewusst, man erkennt auch die Folgen, die vor einem stehen oder kommen mögen, und darüber hinaus wirkt dieses Erlebnis auch weiter in das gesamte nachfolgende Leben, es erstreckt sich hinein. Diese Intensität wirkt weiter und wirft einen sozusagen aus den gewohnten Gleisen der Wahrnehmung vollständig heraus.

Burg: Es gibt viele Tote in dem Roman. John Bartle, der Ich-Erzähler, erzählt an einer Stelle, dass wir nur um Menschen trauerten, die wir kannten. Alle anderen waren einfach nur Teil der Landschaft. Aber Sie beschreiben, Kevin Powers, auch einmal eine alte Frau, die zerfetzt wird, und wie entsetzt ein junges Mädchen die Leiche dieser alten Frau umkreist. Wie gut klappt es als Soldat, den Feind nicht als Menschen, sondern eben tatsächlich nur als Teil der Landschaft wahrzunehmen.

Powers: Nun, letztlich scheitert das vollständig, vor allem dann, wenn man das Ziel hat, irgendetwas von dem zu bewahren, was den Menschen ausmacht. Ich glaube, diese Entmenschlichung des Feindes ist ein Nebenprodukt der Kriegshandlungen. Es ist eigentlich eine Ausprägung des Überlebenswillens, dass man eben das Menschliche zerstört, was in einem noch ist. Für mich stand es im Vordergrund, die Fragen zu stellen, ob es sich überhaupt lohne, etwas Menschliches zu bewahren, wenn man in diesem Versuch eben dieses Menschliche zerstört oder beschädigt, lohnt es sich dann noch überhaupt. Diese schwierigen Fragen habe ich versucht, in der Beschreibung dieser Gewaltszenen anzupacken.

Burg: Der ehemalige Soldat im Irakkrieg und jetzige Romanautor Kevin Powers ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über sein Buch "Die Sonne war der ganze Himmel". Herr Powers, ein ganz wichtiges Thema in Ihrem Roman ist die Traumatisierung durch den Krieg. Zweimal beschreiben Sie eine Szene, in der John Bartle nach dem Krieg im Flugzeug, im Taxi sitzt und das Gefühl hat, ein Gewehr in der Hand zu haben, obwohl das natürlich nicht der Fall ist. Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass der Krieg seine Spuren hinterlassen hat und wie?

Powers: Meine eigene Erfahrung ist natürlich anders als die des Erzählers, aber es stimmt schon. Ich habe eigentlich keine Trennung dessen erfahren zwischen dem, als ich dort war im Krieg und später, sondern dieses Gefühl der Verschiebung der Wahrnehmung stellte sich bereits dort ein. Ich verwandelte mich auf eine Art, die ich mir selbst gar nicht erklären konnte. In der Situation selbst ist es eine Art Anpassungsreflex: Der Mensch kann sich eben an alle möglichen Situationen anpassen, die Schwierigkeiten setzen dann ein, wenn man zu Hause ist und diese Anpassung gar nicht mehr nötig ist. Dann fühlt man sich wirklich wie an einem anderen Ort oder ortlos. Ich habe also ganz sicher genau diese Erfahrung auch selbst gemacht, sowohl im Krieg selbst, wie auch dann nach der Heimkehr in die Heimat.

Burg: Sie sind seit acht Jahren entlassen, fühlen Sie sich denn geheilt?

Powers: Ich glaube, irgendwie schon, obwohl diese Erfahrungen selbstverständlich für den Rest meines Lebens mich begleiten werden. Ich habe aber diesen Teil meines Lebens akzeptiert – ob ich nun geheilt bin, tja, das ist ein schwieriges Wort. Ich weiß gar nicht, ob ich da eine eindeutige Antwort geben kann. Manchmal scheint es mir so, als wäre es eine andere Person gewesen, die da im Irak gekämpft hat. Also ich würde sagen: Ja, ich fühle mich geheilt, aber stets mit dem Bewusstsein, dass da etwas in mir ist, was nie verschwinden wird und was eben Teil meines Wesens geworden ist.

Burg: Seit Beginn des Irakkrieges waren 1,5 Millionen US-Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Wenn ich jetzt mir Ihren Roman noch mal vor Augen führe, was dieser Einsatz mit dem Ich-Erzähler angestellt hat, hochgerechnet auf 1,5 Millionen Menschen, frage ich mich: Was stellt das mit einer Nation an?

Powers: Bei dieser Frage muss man natürlich weiterfragen, wie weit die Nation als Ganze zu ihrer Verantwortung steht. Wir haben seit dem Vietnamkrieg in den USA eine Art gesellschaftliche Spaltung zwischen den wenigen, die tatsächlich Militärdienst leisten und der Gesellschaft insgesamt. Man hat Schwierigkeiten, das Ganze anzuerkennen und zu erkennen, dass diese Kämpfe und diese Kriege ja in Namen der Nation geführt werden. Hier muss man erst allmählich hingelangen zu einer geteilten Verantwortung für das, was da geschieht und auch für das, was die Menschen, die gedient haben, dann erfahren, wenn sie wieder nach Hause kommen und wenn sie in gewisser Weise gezwungen sind, an den Rändern der Gesellschaft weiterzuleben.

Ich glaube, Krieg und Militär, das wird in der Gesellschaft ganz gerne akzeptiert, so lange es nicht zu Meinungsstreit führt. Aber wenn es dann zur Realität vor Ort kommt, wenn also wirklich gekämpft wird, dann sperrt man sich dagegen und will damit nichts zu tun haben. Erneut gilt es hier eben, zu diesem Begriff der geteilten Verantwortung zu kommen.

Burg: Kevin Powers, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch! Thanks for talking to us, Mister Powers!

Powers: Thank you very much for having me, I appreciate it.

Burg: Und danke auch, Johannes Hampel, für die Übersetzung! Der Roman von Kevin Powers heißt "Die Sonne war der ganze Himmel", ist im S. Fischer Verlag erschienen, 240 Seiten kosten 19,99 Euro.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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Kevin Powers: "Die Sonne war der ganze Himmel", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 19,99 Euro (DKultur)