Uruguay, Katar, Ungarn

Wie der Fußball alle bewegt

Bauarbeiter stehen auf riesiger Baustelle, das Gesicht mit Tüchern verpackt gegen die Hitze
Gebaut für ein einmaliges Ereignis: Baustelle eines WM-Stadions in Katar. © Anna Osius
Von Anna Osius · 09.07.2018
Uruguay gewann als erster Ausrichter 1930 gleich die WM. Seit dem gehört Fußball fest zur Identität. 1954 siegten fast die Ungarn, unter dieser Flagge ist heute die Roma-Nationalelf erfolgreich. Und 2022 ist Katar dran - mit neun temporären Stadien.
Pompös und selbstbewusst – so präsentiert sich Katar für die WM. Die erste Fußball-Weltmeisterschaft im Nahen Osten, ein Meilenstein der Fußballgeschichte – das soll die WM 2022 werden, heißt es in einem Imagefilm.
Weiß gekleideter Scheich zeigt auf einen Bauplan an der Wand
"Wir halten unsere Versprechen, so arbeiten wir hier" - Idal Katani, Projektmanager einer WM-Baustelle, verspricht, es werde keine Probleme beim Bau geben. © Anna Osius
"Ehrlich gesagt: Wir sind sehr, sehr stolz!"
Idal Katani ist der Projektmanager einer Stadionbaustelle und strahlt vor Begeisterung.
"Wir geben unser absolut Bestes, dass es keine Probleme gibt bei diesem Projekt. Katar hat sich der Welt verpflichtet, und wir halten unsere Versprechen, so arbeiten wir hier."

Neun Stadien auf einem Gebiet nur halb so groß wie Hessen

Insgesamt neun komplett neue Stadien baut das kleine Wüstenemirat derzeit – und das in einem Land, das gerade mal halb so groß ist wie Hessen. Und es gibt viele Pläne, wie die Sportstätten auch nach der WM genutzt werden könnten: Das eine Stadion besteht nur aus Containern, soll am Hafen gebaut und danach leicht wieder abgebaut werden können. Ein Stadion soll später zur Hälfte ein Hotel werden, Teile der Sportstätten werden armen Ländern geschenkt. Um nicht auch noch viel zu viele Hotels zu haben, soll ein Teil der Fanbesucher aus aller Welt während der WM auf Kreuzfahrtschiffen übernachten oder in mobilen Zeltstädten in der Wüste.
Baustelle in Katar mit vielen Kränen.
Klimaanlage in allen Bereichen des Stadions - in Katar ist vieles möglich.© Anna Osius
Die wohl wichtigste Einrichtung in den Stadien: Klimaanlagen in allen Bereichen, die zum Teil mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die WM 2022 wird die erste Fußballweltmeisterschaft sein, die im Winter ausgetragen wird, aufgrund der unerträglichen Temperaturen im Sommer am Golf.

Gekickt wird 2022 im Winter

Temperaturen, die die Gastarbeiter Katars ertragen müssen. Eine Armada von Arbeitern aus Ländern wie Indien, Bangladesch und Nepal baut die Stadien – es gab heftige Vorwürfe gegen Katar, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Gastarbeiter seien unmenschlich. Heute will man davon nichts mehr wissen. Katar besserte nach:
"Ich kann es nicht genug betonen: Wir tun hier alles, damit die Arbeiter alles haben, um effizient arbeiten zu können und den Aufenthalt auch zu genießen. Sie sollen produktiv und glücklich sein."
Zwischen zwei Fertigbauten, in denen Bauarbeiter für die WM 2022 leben, hängt Wäsche
"Sie sollen produktiv und glücklich sein": Eigens errichtete Unterkünfte für die Bauarbeiter© Anna Osius
Die Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen ILO beendete im vergangenen Jahr offiziell ihre Untersuchungen gegen Katar. Die ILO begrüßte die Fortschritte im Emirat und sprach von einer ermutigenden Entwicklung.

365 Tage im Jahr wird gearbeitet

Tatsächlich wirken die Unterkünfte, die Journalisten in Katar zu sehen bekommen, sauber und neu: Eine Art Containerstadt in der Wüste, tausende Arbeiter sind hier untergebracht, immer vier Menschen schlafen in einem Raum. Vorhänge sollen ein Minimum an Privatsphäre schaffen.
Es gibt eine Kantine, einen Kickertisch, einen Fitness- und einen Computerraum. Gemütlich ist anders, aber darum geht es Katar nicht. Die Arbeiter schaffen im Schichtsystem, 365 Tage im Jahr. Stadionbau rund um die Uhr.
"Wir sind bereit, jede Frage zu beantworten, wir freuen uns, wir fordern jeden heraus!"
Ausländische Journalisten werden von einem ganzen Tross von PR-Aufpassern umsorgt, die vermitteln wollen, wie makellos weiß die Weste Katars ist. Man habe nichts, aber auch gar nichts zu verbergen. Besichtigung einer Unterkunft? Kein Problem. Interviews mit Gastarbeitern? Selbstverständlich. Umringt von zwei Bauleitern und fünf PR-Aufpassern werden auf der Baustelle zwei hilflose Inder zum Interview präsentiert, der eine mit Sprachfehler, der andere faktisch ohne English-Kenntnisse. Beide beteuern wie ein Mantra, das "everything very, very good" – alles sehr gut sei hier. Man sei "very, very happy".
schmales Klappbett mit buntem Bettuch
Bescheidene Pritsche für die Bauarbeiter© Anna Osius
Als wir nach der Besichtigung der Stadionbaustelle an einer Gruppe verschwitzter Gastarbeiter vorbeifahren, die auf dem Weg in ihre Pause sind, entdeckt einer der Vorarbeiter offenbar das Radiomikrofon.

Jubelnde Gastarbeiter auf Bestellung

Auf Kommando springen alle Gastarbeiter auf, winken fröhlich, jubeln. "Schau, sie sind fröhlich und ausgelassen", sagt einer der PR-Aufpasser. "Sie sind glücklich und dankbar. Weil sie für Katar arbeiten dürfen."
Am Abend kommt noch eine SMS vom Pressesprecher: Ob ich von den vielen geführten Interviews heute vielleicht nur Interview Nummer 1, 3 und 5 verwenden könnte? Das sei besser für ihn. "Danke für Ihr Verständnis."
Auch so sieht WM-Vorbereitung aus.
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