Urteil gegen Nawalny bestätigt

"Unheimlich problematisch und unerträglich"

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Alexej Nawalny steht in einem Gerichtssaal in einem Glaskasten und lächelt.
Nawalny nahm das Urteil gelassen und mit einem Lächeln entgegen. © picture alliance / Sputnik / Pavel Bednyakov
Martina Weyrauch im Gespräch mit Axel Rahmlow · 20.02.2021
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Das Urteil gegen Kreml-Gegner Alexej Nawalny stellt Deutschland vor das Problem, sich für eine Haltung zu Russland entscheiden zu müssen. "Wir eiern hin und her", kritisiert Martina Weyrauch von der Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg.
Zweieinhalb Jahre muss der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in einem russischen Straflager verbringen. Ein Gericht in Moskau wies den Einspruch seiner Anwälte gegen ein bereits bestehendes Urteil ab und bestätigte dieses damit. Gleichzeitig verkürzten die Richter aber die Haftzeit wegen eines bereits geleisteten Hausarrestes. Dem 44-Jährigen wird zur Last gelegt, gegen Bewährungsauflagen verstoßen zu haben, als er sich nach einem Anschlag mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe zur medizinischen Behandlung in Deutschland aufhielt.
Nawalny nahm das Urteil sichtlich gelassen hin. Er und seine Anwälte sprachen im Anschluss davon, dass an dem Kreml-Gegner ein Exempel statuiert werden soll. Dass das Urteil keine Überraschung ist, bestätigt auch Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung in Brandenburg. "Was mich irritiert ist, dass man feststellen muss, dass die Ausübung der rechtlich garantierten Grundrechte in Russland nach wie vor nicht funktioniert." Damit funktioniere auch ein wichtiges Prinzip von Demokratie nicht: Die Gewaltenteilung, erklärt Weyrauch, die ihr Amt seit mehr als zwanzig Jahren ausübt.
"Gewaltenteilung heißt ja: Parlament, Regierung und Gerichte sowie Presse kontrollieren sich auch ein Stück selbst und achten auf die andere Gewalt, damit alles in der Balance ist", so Weyrauch. Daher sei die Verurteilung Nawalnys, der möglicherweise in staatlichem Auftrag vergiftet wurde, "unheimlich problematisch und unerträglich".

Deutschland und die EU haben ihre Rolle noch nicht gefunden

Weyrauch selbst wurde 1958 in Ost-Berlin geboren und kennt die Folgen staatlicher Repressionen gegen die eigene Bevölkerung. "Viele Menschen wenden sich ab und ziehen sich ins Private zurück. Das finde ich die größte Gefahr einer Diktatur", sagt die promovierte Juristin. Sie befürchtet daraus resultierend ein mangelndes Engagement für die Gesellschaft.
"Auch Deutschland und die EU haben ihre Rolle noch nicht gefunden. Wir eiern hin und her." Die Bundesrepublik habe noch immer keine Antwort auf Russland gefunden, kritisiert Weyrauch. Man habe zwei Gruppen. "Die einen sagen: Nord Stream 2 beenden, Russland garantiert keine Grundrechte, die Krim-Annexion verstößt gegen völkerrechtliche Prinzipien. Die anderen sagen: Nord Stream 2 weitermachen, enger an Russland rücken, geopolitisch denken, beste Partnerschaft mit Russland", so Weyrauch weiter. Damit laviere man zwischen zu vielen Polen.
Ein Porträt von Martina Weyrauch, der Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Im Hintergrund ist unscharf eine Frau mit Brille zu sehen.
Martina Weyrauch wurde in der DDR geboren und kennt daher staatliche Repressionen.© Patrick Pleul / dpa
"Mein größtes Problem ist, dass Russland, und ganz konkret Putin, Demokratien zersetzt", sagt Weyrauch. Damit hätten sie auch Einfluss auf Europa. "Sie unterstützen demokratiefeindliche Aktivitäten der AfD, Diktatoren, den Rechtspopulismus hier und dort, sie starten Cyberangriffe", so Weyrauch und erklärt: "Das sind Sachen, die uns auch bedrohen". Daher fordert sie eine klare Position zum Umgang mit Russland. Nawalny sei nur ein Beispiel dafür.
(lsc)

Martina Weyrauch wurde 1958 in Ostberlin geboren und studierte nach ihrer Ausbildung zur Kleidungsfacharbeiterin Rechtswissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Während der friedlichen Revolution war sie Mitglied in der Untersuchungskommission gegen Amtsmissbrauch, Korruption und persönliche Bereicherung. Nach verschiedenen Positionen in der brandenburgischen Landesverwaltung, unter anderem als Persönliche Referentin des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD), leitet sie seit 2000 die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung.

Hören Sie hier die ganze Sendung mit Martina Weyrauch:
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