Ursprung der Avantgarde in Osteuropa
Als erstes Museum für moderne Kunst in Osteuropa wurde 1930 das Museum Sztuki im polnischen Lodz gegründet. Bereits die erste Ausstellung zeigte Werke von Wladyslaw Strzeminski und Katarzyna Kobro, Mitglieder der Avantgarde-Gruppe "a.r.". Durch ihre Initiative wurde das Museum zum Hort einer erstklassigen internationalen Sammlung moderner Kunst, zusammengetragen aus ganz Europa. Nun kommen Ost und West zusammen, im Sprengel Museum wird im Rahmen des Deutsch-Polnischen Kulturjahres eine Auswahl von 60 Arbeiten aus Lodz gezeigt.
Zarte Collagen und ätherisch feine Fotoexperimente, aber auch kantig-klar konstruierte Gemälde oder rationalistisch ausgetüftelte Modelle für Raumskulpturen kommen einem irgendwie bekannt vor, nur die Namen sagen dem deutschen Kunstfreund kaum etwas: Dabei können Wladyslaw Strzeminski, Karol Hiller oder Katarzyna Kobro durchaus mithalten mit ihren Avantgarde-Kollegen der zwanziger Jahre, mit Hans Arp, Max Ernst oder André Masson, deren Arbeiten an den weißen Wänden des Sprengel Museums ebenfalls aus der Sammlung des Muzeum Sztuki im polnischen Lodz stammen. Aus der Galerie von sechzig Leihgaben ragt für Ulrich Krempel, den hannoverschen Gastgeber, eine Miniatur heraus, eine Papiercollage des Hausheiligen Kurt Schwitters:
"Für mich war Kurt Schwitters immer ein Drehscheibenwärter. Alle Leute, die von Moskau und Warschau nach Paris wollten, kamen - logisch - durch Berlin, aber auch durch Hannover. Und in Hannover saß dieser Kurt Schwitters. Und der war wirklich ein exzellenter Typ, hatte Kontakt zu Sammlern, hatte Leute vernetzt aus Holland, aus Ungarn, aus Warschau, aus Russland und so weiter. Das war einfach in der miserablen ökonomischen Situation der zwanziger und dreißiger Jahre jemand, der versuchte, die Finanzierung für abenteuerliche Projekte möglich werden zu lassen."
Solch ein Abenteuer ereignete sich Anfang der Dreißiger in Lodz. 1931 wurde die ein Jahr zuvor in einer stattlichen Bürgervilla eingerichtete Sammlung einer Fabrikantendynastie um die stattliche Schenkung avantgardistischer Künstler ergänzt. Das war das Werk von Henryk Stazewski, einem Maler und Plakatkünstler, der zusammen mit seinen Weggefährten der Gruppe "a.r." die Idee für das in Europa einzigartige Künstlermuseum realisierte. Heute noch ein Lehrstück für Kulturpolitiker und Museumsleute, meint Sprengel-Direktor Krempel:
"Es war immer ein osteuropäisches Ereignis, dieses Museum: Man war ja erst mal in Weißrussland, dann ist man eben in Polen gelandet. Eigentlich alles keine Orte, an denen die Avantgarde per se besonders gewollt wurde. Sondern die paar Künstler haben sich in der Politik ihre Partner gesucht, indem sie sagten: da ist eine Initiative, da sind Dinge da, die Künstler schenken unter bestimmten Bedingungen - so würden wir heute doch auch argumentieren."
Das Museum in Hannover bietet sozusagen eine gewohnte Umgebung für die Bilder aus Lodz. Schließlich hat man hier jenes "Abstrakte Kabinett" des russischen Revolutionskünstlers El Lissitzky rekonstruiert, mit dem das damalige Provinzialmuseum unter Alexander Dorner in den Zwanzigern Furore machte - ähnlich wie die "a.r."-Kollektion im fernen Lodz:
"Überall gab es parallele Versuche, die moderne Kunst auch in die Bildung, die Volksbildung einzubauen. Wie ein Museumsmann hier in Hannover - der Dorner -, der das Kabinett der Abstrakten ja als Lerninstrument implantieren ließ. Man versuchte einfach das populär zu machen, dem Volk zugänglich zu machen. Denn die Abstrakten und die Konstruktivisten, die existierten in ihren Hinterstübchen, hatten aber ansonsten ja keine institutionelle Öffentlichkeit."
Das sollte sich bald ändern - und selbst nach 1945, trotz Eisernen Vorhangs, hatte das Museum Sztuki in der ansonsten grauen Industriemetropole Lodz eine magische Anziehungskraft, führte Nachkriegsavantgardisten wie Günther Uecker oder den Franzosen Daniel Buren nach Polen:
"Man kann das gar nicht überschätzen, wie hoch der Einfluss dieses Museums wirklich gewesen ist. Heute hat sich die Museums-Situation in Polen ja sehr verändert. Damals war das so ein Ort, an dem all diese großen Heroen der zwanziger und dreißiger Jahre verwahrt wurden, in dem die zeitgenössischen avantgardistischen Künstler aus dem Westen auch nacheinander auftauchten aus allen Ecken der Welt, in dem emigrierte polnisch-jüdische Künstler wiederkamen."
Die Frage, wieviel von diesem Einfluß heute noch geblieben ist, quittiert Miroslaw Borusiewicz, Museumsdirektor in Lodz, mit einem Lächeln. Hinter ihm steht - purer Zufall - eine Rauminstallation von Monika Sosnowska, einer Vertreterin der so erfolgreichen jungen Künstlergeneration aus Warschau. Und vor ihm wird eben die Vitrine mit dem einigermaßen ähnlichen, aber nur als Modell ausgeführten Objekt von Katarzyna Kobro aus den dreißiger Jahren eingerichtet:
"Die jungen Künstler sind mehr daran interessiert neue Dinge zu schaffen – das ist der Fortschritt. Aber bei diesem 'run' auf das Neue vergessen sie die Wurzeln, achten nicht auf die Tradition. Und was dabei herauskommt, ist oft schon Jahrzehnte zuvor geschaffen worden - welche Verschwendung von Energie!"
Das muss nicht sein, denn im Museum Sztuki sind tatsächlich viele Avantgarden zu Haus, sogar Joseph Beuys überließ den Polen 1981 ein Konvolut von insgesamt 1000 Blättern und Einzelarbeiten. Und zwar mit seinem typischen Doppelblick, der tagespolitische Gegenwart und die besondere Geschichte gerade dieses Museums zusammenbrachte:
"Das war sehr demokratisch, weil Künstler selbst über die Sammlung entschieden und den Zugang für jedermann ermöglichten. Das war auch einer der Gründe für die Schenkung von Beuys: Zum einen wollte er seine Verbundenheit mit der polnischen Solidarnosc zeigen, zum anderen die Tradition dieses Museums und seiner Avantgarde-Sammlung stärken."
Aber großzügige Gesten sind selten geworden - auch unter Künstlern. Und auf die Politik kann - man glaubt es kaum - eher der polnische Museumsdirektor setzen, während sein hannoverscher Kollege Krempel räsoniert:
"Ich höre aus Polen, daß das Museum Sztuki in diesem Jahr eine erfreuliche Entwicklung genommen hat: Eine Verdoppelung des Etats dadurch, daß sich jetzt die polnische Regierung, das Kultusministerium beteiligt an der Finanzierung dieses städtischen Museums. Das hört man gerne, vielleicht lernt man ja auch bei uns auch einmal aus solchen Entwicklungen in der Politik."
Service:
Die Ausstellung "Die Zeit der Avantgarden. Aus den Sammlungen des Museum Sztuki, Lodz" ist bis zum 17.September 2006 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.
"Für mich war Kurt Schwitters immer ein Drehscheibenwärter. Alle Leute, die von Moskau und Warschau nach Paris wollten, kamen - logisch - durch Berlin, aber auch durch Hannover. Und in Hannover saß dieser Kurt Schwitters. Und der war wirklich ein exzellenter Typ, hatte Kontakt zu Sammlern, hatte Leute vernetzt aus Holland, aus Ungarn, aus Warschau, aus Russland und so weiter. Das war einfach in der miserablen ökonomischen Situation der zwanziger und dreißiger Jahre jemand, der versuchte, die Finanzierung für abenteuerliche Projekte möglich werden zu lassen."
Solch ein Abenteuer ereignete sich Anfang der Dreißiger in Lodz. 1931 wurde die ein Jahr zuvor in einer stattlichen Bürgervilla eingerichtete Sammlung einer Fabrikantendynastie um die stattliche Schenkung avantgardistischer Künstler ergänzt. Das war das Werk von Henryk Stazewski, einem Maler und Plakatkünstler, der zusammen mit seinen Weggefährten der Gruppe "a.r." die Idee für das in Europa einzigartige Künstlermuseum realisierte. Heute noch ein Lehrstück für Kulturpolitiker und Museumsleute, meint Sprengel-Direktor Krempel:
"Es war immer ein osteuropäisches Ereignis, dieses Museum: Man war ja erst mal in Weißrussland, dann ist man eben in Polen gelandet. Eigentlich alles keine Orte, an denen die Avantgarde per se besonders gewollt wurde. Sondern die paar Künstler haben sich in der Politik ihre Partner gesucht, indem sie sagten: da ist eine Initiative, da sind Dinge da, die Künstler schenken unter bestimmten Bedingungen - so würden wir heute doch auch argumentieren."
Das Museum in Hannover bietet sozusagen eine gewohnte Umgebung für die Bilder aus Lodz. Schließlich hat man hier jenes "Abstrakte Kabinett" des russischen Revolutionskünstlers El Lissitzky rekonstruiert, mit dem das damalige Provinzialmuseum unter Alexander Dorner in den Zwanzigern Furore machte - ähnlich wie die "a.r."-Kollektion im fernen Lodz:
"Überall gab es parallele Versuche, die moderne Kunst auch in die Bildung, die Volksbildung einzubauen. Wie ein Museumsmann hier in Hannover - der Dorner -, der das Kabinett der Abstrakten ja als Lerninstrument implantieren ließ. Man versuchte einfach das populär zu machen, dem Volk zugänglich zu machen. Denn die Abstrakten und die Konstruktivisten, die existierten in ihren Hinterstübchen, hatten aber ansonsten ja keine institutionelle Öffentlichkeit."
Das sollte sich bald ändern - und selbst nach 1945, trotz Eisernen Vorhangs, hatte das Museum Sztuki in der ansonsten grauen Industriemetropole Lodz eine magische Anziehungskraft, führte Nachkriegsavantgardisten wie Günther Uecker oder den Franzosen Daniel Buren nach Polen:
"Man kann das gar nicht überschätzen, wie hoch der Einfluss dieses Museums wirklich gewesen ist. Heute hat sich die Museums-Situation in Polen ja sehr verändert. Damals war das so ein Ort, an dem all diese großen Heroen der zwanziger und dreißiger Jahre verwahrt wurden, in dem die zeitgenössischen avantgardistischen Künstler aus dem Westen auch nacheinander auftauchten aus allen Ecken der Welt, in dem emigrierte polnisch-jüdische Künstler wiederkamen."
Die Frage, wieviel von diesem Einfluß heute noch geblieben ist, quittiert Miroslaw Borusiewicz, Museumsdirektor in Lodz, mit einem Lächeln. Hinter ihm steht - purer Zufall - eine Rauminstallation von Monika Sosnowska, einer Vertreterin der so erfolgreichen jungen Künstlergeneration aus Warschau. Und vor ihm wird eben die Vitrine mit dem einigermaßen ähnlichen, aber nur als Modell ausgeführten Objekt von Katarzyna Kobro aus den dreißiger Jahren eingerichtet:
"Die jungen Künstler sind mehr daran interessiert neue Dinge zu schaffen – das ist der Fortschritt. Aber bei diesem 'run' auf das Neue vergessen sie die Wurzeln, achten nicht auf die Tradition. Und was dabei herauskommt, ist oft schon Jahrzehnte zuvor geschaffen worden - welche Verschwendung von Energie!"
Das muss nicht sein, denn im Museum Sztuki sind tatsächlich viele Avantgarden zu Haus, sogar Joseph Beuys überließ den Polen 1981 ein Konvolut von insgesamt 1000 Blättern und Einzelarbeiten. Und zwar mit seinem typischen Doppelblick, der tagespolitische Gegenwart und die besondere Geschichte gerade dieses Museums zusammenbrachte:
"Das war sehr demokratisch, weil Künstler selbst über die Sammlung entschieden und den Zugang für jedermann ermöglichten. Das war auch einer der Gründe für die Schenkung von Beuys: Zum einen wollte er seine Verbundenheit mit der polnischen Solidarnosc zeigen, zum anderen die Tradition dieses Museums und seiner Avantgarde-Sammlung stärken."
Aber großzügige Gesten sind selten geworden - auch unter Künstlern. Und auf die Politik kann - man glaubt es kaum - eher der polnische Museumsdirektor setzen, während sein hannoverscher Kollege Krempel räsoniert:
"Ich höre aus Polen, daß das Museum Sztuki in diesem Jahr eine erfreuliche Entwicklung genommen hat: Eine Verdoppelung des Etats dadurch, daß sich jetzt die polnische Regierung, das Kultusministerium beteiligt an der Finanzierung dieses städtischen Museums. Das hört man gerne, vielleicht lernt man ja auch bei uns auch einmal aus solchen Entwicklungen in der Politik."
Service:
Die Ausstellung "Die Zeit der Avantgarden. Aus den Sammlungen des Museum Sztuki, Lodz" ist bis zum 17.September 2006 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.