Ursprüngen und Entwicklungen von Straßenkunst nachgespürt

Von Michael Laages · 30.06.2013
Street Culture vereint verschiedene Einflüsse in sich, sie ist außerordentlich durchlässig: Ob Rock oder Ballett, ob Werbung oder zeitgenössische Kunst, alles findet seinen Niederschlag. Deshalb bleibt sie immer aktuell, ist Anna Bründl überzeugt. Sie kuratiert das Festival in Dresden.
Wie lange ist das her? Wirklich schon 30 Jahre? Keith Haring, Erfinder eines sehr eigenwilligen Mal-Stils im öffentlichen Raum, füllte ohne Pause überdimensionale Leinwände auf einer Bühne, im Rücken der Musiker beim Jazz Festival im Genfer-See-Städtchen Montreux; Mitte 20 war damals der Junge mit den Woody-Allen-Zügen; und schon 1990 war er tot. Auch von Haring ist die Rede, wenn es um Graffitti geht – und am Beispiel dieser pfiffigen Punkt-Punkt-Komma-Strich-Kunst wird deutlich, wie lange wir schon leben mit der "urbanen Kultur", von der das Dresdner Festival erzählt.

Mit den Bemalungen etwa eines Eisenbahnwaggons könnten sie zeigen, wie weit die handwerklichen Fähigkeiten reichten, erzählt hier ein "Black Boy" aus der Bronx im Fernsehfilm des schwedischen Fernsehens, das 1974, vor bald 40 Jahren, vom brandneuen Trend berichtete; Kathrin Kaufmann vom Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm zeigte in Dresden Film-Beispiele aus der Geschichte von HipHop und Graffiti.

Neue "Stämme", wie in der Indianer-Zeit, so analysierten die Schweden, wuchsen da heran in den Ghettos der Metropole; und der Gedanke spitzte nur die offensichtliche Erkenntnis zu, dass sich ein auch künstlerisch grundiertes Potenzial jenseits sozial akzeptierter Normen und Formen zu entwickeln begann: künstlerisch, sprachlich, musikalisch.

"Ein essenzielles Merkmal der Street Kultur ist die Durchlässigkeit."

... das sagt Anna Bründl, die Theater- und Tanz-Performances, Ausstellungen, Vorträge, Workshops und Konzerte kuratiert hat in Hellerau.

"Dass man sich auch wirklich beeinflussen lässt, ob das von kommerzieller Werbung ist, ob das von zeitgenössischer Kunst ist, ob man sich von Ballett oder anderen Tanzformen beeinflussen lässt, ob das der Rock ist oder der Pop oder der Underground. Alles verschmilzt in dieser Kultur und deswegen glaube ich bleibt sie auch immer aktuell."

Sie rühmt das programmatische Durcheinander, das Prinzip des "anything goes" in Spiel und Stil.

"Was ich auch spannend finde, dass es viel um Identitäten geht. Man gibt sich eine andere Künstleridentität, mit der man andere Aussagen machen kann, die man so vielleicht nicht machen würde. Dadurch entsteht dann eine sehr spannende Kommunikation."

Ausstellungen füllen Gänge, Räume und Etagen im Festspielhaus, das Berliner "Super Blast"-Kollektiv hat verschiedenste Darstellungsstrategien mit Blick auf die Künste versammelt, vom Environment über die Zeichnung bis zu Foto, Film und Video, und selber eindrucksvolle Mischformen zwischen Comic und Altarbild beigesteuert.

Im Zentrum der zwei Festival-Wochen steht jedoch der Versuch, die außerhalb fester Kunst-Räume entstandene Kultur der alltäglichen Dinge dingfest zu machen auf der Bühne – etwa im Projekt, das die Argentinierin Constanza Macras, in Berlin zu Hause mit der eigenen Compagnie, Anfang des Jahres mit der "HipHop Academy" in Hamburg entwickelt und ursprünglich für die Kampnagelfabrik produziert hat. "Distortion" heißt es, und von "Verzerrung" in der Wahrnehmung von Heimat handelt es ... alle in der "HipHop Academy" sind Deutsche, mit Pass und Brief und Siegel; aber kaum jemand sieht danach aus. In Anlehnung an die Internet-Sprache bezeichnet Macras diese neue Jugend als "Generation 1.5":

Rasend schnell hätte die Zugewanderten sich angepasst – und agierten heute oft deutscher als die Einheimischen, speziell die, die Probleme haben mit dem eigenen Deutsch-Sein. Der nah am HipHop siedelnden Musik hat Macras Lieder unterlegt, die patriotisch klingen, aber weit weg sind von Hass und Rassismus: Brechts und Eislers Lieder für Exil und DDR-Aufbau ...

Sie selbst, sagt die Choreographin, habe eigentlich nie etwas am Hut und im Sinn gehabt mit HipHop; an einen Film nur erinnert sie sich – und auch der ist uralt …

In "Flashdance” gebe es diese eine Szene, wo die braveren Tänzer an einer Breakdance-Truppe vorbei gehen – 12 sei sie damals gewesen, und die Faszination im Augenblick hatte keine Folgen.

Die neuen Künste aber hatten Folgen – das Dresdner Festival hält die Waage zwischen Rück- und Vorausschau. Schon gibt es dank neuer Technologien neue Möglichkeiten; virtuell-digitale Graffiti etwa. Und Anna Bründl empfiehlt für die zweite Woche das französische Ensemble "Shonen":

"Die verbinden sozusagen neue Medien, Tanz und Malerei in einer Performance und die Bewegungen, die die Tänzer auf der Bühne machen, werden von einer Kamera aufgenommen und dann durch ein Computerprogramm in visuelle Bilder verwandelt, die dann auf die Bühne projiziert werden, das ist ein tolles Zusammenspiel."

Ab Mittwoch. In Dresden.
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